2008 World Cross Country Edinburgh, Scotland, UK March 30, 2008 Photo: Giancarlo Colombo@Photo Run Victah1111@aol.com 631-741-1865 www.photorun.NET
Der Beste verliert im Matsch – Bekele erlebt beim Cross eine herbe Niederlage – Jörg Wenig im Tagesspiegel
Ein schönes Weihnachtsfest sieht anders aus. Am äthiopischen Weihnachtstag, dem 7. Januar, war Kenenisa Bekele nicht zu Hause. Stattdessen startete der Ausnahmeläufer, der mit seinen Weltrekorden der Zeit voraus zu sein scheint, beim hochkarätigsten Crossrennen des Jahres in Edinburgh.
Doch in Schottland erlebte Kenenisa Bekele, bezogen auf seine Platzierung, eine der größten Pleiten seiner Karriere. Während seine Frau mit den beiden kleinen Kindern in Addis Abeba Weihnachten feierte, lief der Doppel-Olympiasieger durch den matschigen und hügeligen Holyrood Park in Schottland und kam hinter zehn Konkurrenten unter ferner liefen ins Ziel.
22 Sekunden betrug sein Rückstand in dem 3-Kilometer-Rennen auf den Sieger, den 1500-Meter-Olympiasieger Asbel Kiprop (Kenia).
Athleten wie die britischen Youngster Jonny Hay, Ricky Stevenson oder Ross Millington waren ein gutes Stück vor Bekele unterwegs und können nun von sich sagen, den besten Läufer der Welt hinter sich gelassen zu haben. So etwas passiert Kenenisa Bekele selten. Erst zum vierten Mal in seiner Karriere hat der bisher erfolgreichste Crossläufer der Welt, der allein bei Cross-Weltmeisterschaften 20 Goldmedaillen sammelte, einen Lauf im Gelände nicht gewonnen. Und zum ersten Mal seit knapp zehn Jahren kam er bei einem internationalen Rennen nicht unter die ersten zehn – ausgenommen drei Läufe, bei denen Bekele aufgab.
Trotzdem konnte der 29-Jährige noch lächeln. „Ich wusste vorher, dass meine Form nicht so gut ist. Natürlich bin ich nicht zufrieden mit dieser Platzierung – Rang elf, das ist nicht meine Welt. Aber es ging heute einfach nicht besser“, erklärte er und fügte hinzu: „Ich bin froh, dass ich gesund und ohne Verletzungsprobleme in das Olympiajahr gestartet bin.“ Sein Blick auf die Spiele in London bleibe optimistisch: „Ich denke, im Sommer werden wir wieder den richtigen Kenenisa Bekele sehen.“
Dass er in Edinburgh trotz des misslungenen Rennens noch locker blieb, hängt auch mit seiner Situation vor einem Jahr zusammen. Damals war der 5000- und 10 000-Meter-Weltrekordler nach einer Kette von Verletzungen an einem Tiefpunkt angelangt. Bekele weiß heute: Es kann noch viel schlimmer kommen als im Holyrood Park. „Ich war damals dicht dran, meine Karriere zu beenden“, erzählte er in Edinburgh. Gut eineinhalb Jahre lang konnte Bekele keinen Wettkampf bestreiten. „Ich hatte es immer wieder versucht und mich immer wieder neu verletzt. Das war eine harte Zeit. Ohne die Unterstützung meiner Familie und meiner Freunde hätte ich aufgegeben.“
Bei den Weltmeisterschaften in Daegu im vergangenen August lief er dann sein erstes Rennen seit Januar 2010. Im 10 000-Meter-Finale gab der Titelverteidiger jedoch auf. Nur zweieinhalb Wochen später meldete er sich eindrucksvoll in Brüssel zurück und stellte bei seinem 10 000-Meter-Sieg eine Jahresweltbestzeit auf. Edinburgh war nun jedoch wieder ein Rückschritt. „Ich will noch nicht zu früh in Topform sein, denn ich kann die Form dann nicht bis zu den Olympischen Spielen halten“, erklärte er.
Ein bisschen klang dies wie Zweckoptimismus, denn in früheren Jahren hatte er es stets geschafft, nach einer erfolgreichen Wintersaison auch im Sommer wieder in Topform zu sein. Und oft ist es im Langstreckenbereich so, dass Läufer nach einer guten Crosssaison auch im Sommer stark sind.
Doch vielleicht fällt Kenenisa Bekele auch die Motivation schwerer als früher. Zumal er inzwischen, ähnlich wie sein früheres Vorbild Haile Gebrselassie, in Äthiopien auch geschäftlich tätig ist. „Ich habe zwei Hotels gebaut, die in den nächsten Monaten eröffnet werden. Es ist mir wichtig, für meine Zeit nach dem Sport Perspektiven zu haben“, erzählte der Läufer, der aber heute nicht mehr an ein Karriereende denkt. „Nach den Spielen von London will ich weiter Bahn-Langstreckenrennen laufen.
Wann ich vielleicht zu den Straßen- und Marathonrennen wechseln werde, kann ich noch nicht sagen. Ich habe noch viel Zeit.“
Jörg Wenig im Tagesspiegel, Dienstag, dem 10. Januar 2012