Mit ihrem Grundverständnis waren die Leichtathleten regelmäßig beim Dachverband angeeckt.
Der Athlet bleibt der Mittelpunkt – Beinahe geräuschlos hat der Deutsche Leichtathletik-Verband eine neue Spitze installiert. Sportdirektor Thomas Kurschilgen will künftig nicht mehr nur auf Medaillen schauen. Friedhard Teuffel im Tagesspiegel
Berlin – Als das Schönste vorbei war, sind sie gegangen, der Sportdirektor und sein ehrenamtlicher Vorgesetzter. Der deutschen Leichtathletik haben Jürgen Mallow und Eike Emrich so viele Ideen hinterlassen, dass es nach den Weltmeisterschaften im vergangenen Jahr in Berlin den Anschein hatte, eine kleine Denkfabrik sei gerade abgeschaltet worden.
Mallow zog es in den Ruhestand, Vizepräsident Emrich nur noch in die Wissenschaft, und ziemlich geräuschlos installierte der Verband eine neue sportliche Leitung. Wenn an diesem Freitag mit dem Start der Diamond League in Doha die Kernzeit der Leichtathletik-Saison anfängt, beginnt auch für die neue Leitung der Wettkampf. Es ist der Wettkampf der Konzepte, wie Leistungssport heute funktionieren soll.
Um sich auf ein Konzept zu einigen, bringen sie eine gute Voraussetzung mit: eine gemeinsame Herkunft. Günther Lohre, der neue Vizepräsident Leistungssport – mehrfacher Deutscher Meister im Stabhochspringen. Der neue Sportdirektor Thomas Kurschilgen – ebenfalls ehemaliger Stabhochspringer. Herbert Czingon, vor der WM schon einer der beiden Cheftrainer – früher Spezialtrainer fürs Stabhochspringen. „Alles reiner Zufall“, sagt Kurschilgen. Aber vielleicht ein Zufall mit System.
„Athleten sind nicht Mittel zum Zweck. Der Athlet steht im Mittelpunkt“, sagt Kurschilgen, früher Cheftrainer der LGO Dortmund und zuletzt Marketingleiter einer Sparkasse. Das ist ihr wichtigster Grundsatz und aus ihm leitet sich einiges ab. „Eine sportliche Karriere ist eine Karriere auf Zeit. Sie muss daher im Einklang stehen mit beruflicher Ausbildung und Gesundheit“, sagt Kurschilgen, „im Zweifel hat die berufliche Karriere Vorrang.“
Kurschilgen: Nicht nur ausschließlich auf Medaillen schauen
Nur wenige Leichtathleten können sich von ihren Prämien und Sponsoreneinnahmen eine langjährige Existenz aufbauen. Es sieht auch nicht danach aus, als könne die Leichtathletik ihren Anteil am Markt der Sportarten deutlich steigern. Der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) fördert die duale Karriere daher noch stärker als andere Verbände. Und die Überzeugung, dass Sport nicht alles ist, vertritt er ebenfalls deutlicher als andere. Der neue Sportdirektor sagt daher: „Uns muss es gelingen, Athleten über Bundeswehr und Bundespolizei hinaus in differenzierte Fördermodelle bei Unternehmen zu integrieren.“ Auch weil zuletzt mehrere große Leichtathletik-Vereine in finanzielle Nöte geraten waren.
Mit ihrem Grundverständnis waren die Leichtathleten regelmäßig beim Dachverband angeeckt. Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) war offenbar nicht überzeugt, dass der DLV den Leistungsgedanken so ernst nehme wie sich das für eine olympische Kernsportart gehört. Die Leichtathleten warfen dem DOSB DDR-Mentalität mit Medaillenfixierung vor, umgekehrt fiel der Vorwurf, zu verkopft und intellektuell an den Leistungssport heranzugehen. Alles vergessen?
Als Dach- und Fachverband im Januar zum großen Gespräch zusammenkamen, habe der DLV „vollumfängliche Unterstützung für unsere Planungen“ bekommen, sagt Kurschilgen. „Ausschließlich auf Medaillen zu schauen und damit dem Erfolg zu bemessen, wertet die individuelle Leistung ab“, sagt Kurschilgen. Es sieht daher nicht danach aus, als werde sich die Leichtathletik groß ändern. Sie wird wohl auch unter der neuen Führung eine Sportart bleiben, deren Vielseitigkeit bisweilen bis zur Unübersichtlichkeit reicht.
„Zur Identität der Leichtathletik gehören 47 Disziplinen“, lautet ein weiterer Grundsatz Kurschilgens. Von einer Reduzierung der Förderung auf erfolgreiche Disziplinen hält er nichts. Von einer Konzentration der besten Athleten in wenigen Leistungszentren nur bedingt etwas. „In einem offenen System wie der Bundesrepublik Deutschland greifen allzu schematische Ansätze nicht.“
Friedhrad Teuffel im Tagesspiegel, Freitag, dem 14. Mai 2010