Und wenn man dann noch feststellt, dass beim Berliner Lauf nur 6 Deutsche unter 1:10 einliefen, in Ageo bei sogar deutlich schlechteren Bedingungen 295 junge Läufer diese Marke unterboten, kann man ermessen, welche einmalige Dinge sich auf Japans Straßen abzuspielen scheinen.
Demonstration einzigartiger Leistungsdichte – Der Ageo City Halbmarathon beeindruckt auch in diesem Jahr mit einmaligen Zeiten – Helmut Winter berichtet
Auch ein für die Jahreszeit ungewöhnlicher Anstieg der Temperaturen konnte die Aktiven beim Ageo City Halbmarathon 2009 nicht davon abhalten, wieder ein Ergebnis in der Breite zu produzieren, das vermutlich weltweit einmalig ist.
Über die schier unfassbaren Zeiten, die bei dieser Laufveranstaltung am nördlichen Stadtrand Tokios jedes Jahr erzielt werden, hatten wir bereits vor Jahresfrist berichtet (https://www.germanroadraces.de/298-0-8319-die-samurais-auf-den-strassen-.html).
Auch der Lauf am letzten Sonntag machte diesbezüglich keine Ausnahme. Bei keineswegs günstigen äußeren Bedingungen, am Tag zuvor hatte eine Hochdruckfront das schlechte Wetter der letzten Woche schlagartig vertrieben und brachte einen Anstieg der Temperaturen auf für den Laufsport wenig förderliche 22°C. Trotzdem erzielten vorwiegend Schüler von umliegenden High Schools Resultate über die Halbmarathondistanz, die nach hiesigen Maßstäben kaum zu begreifen sind
Ageo, recht passend auch als das „Pamplona des Laufsports“ bezeichnet, denn das ungestüme Losrennen nach dem Start auf der Laufbahn im dortigen Stadion hat in der Tat gewisse Ähnlichkeiten mit der Stierhatz in der spanischen Stadt gemeinsam. Dabei ist es insbesondere die Aussicht auf Plätze in den Staffeln für den Hakone-Ekiden zu Neujahr in einem der vielen Highschool-Teams, die diesen Lauf zu großer Popularität verhalfen. Die letzte Chance für eine entsprechende Qualifikation lockt jedes Jahr ein Feld noch recht junger Läufer an, dass in dieser Leistungsbreite kaum irgendwo anders anzutreffen ist.
Und wenn auch die Zeiten in diesem Jahr durch die deutlich schlechteren Bedingungen etwas „zurückfielen“, sollten die nachstehenden Fakten in allen Belangen für sich sprechen. Es siegte ein talentierter Nachwuchsmann Shota Hiraga von der Saku Chosei High School in sehr guten 1:03:44. Was sich aber dahinter abspielte, ist ohne Übertreibung wieder als geradezu sensationell zu bezeichnen.
Auch in der Wärme und unter permanenter Sonneneinstrahlung liefen 16 junge Läufer unter 1:05, 57 unter 1:06, 115 unter 1:07, 181 unter 1:08, 241 unter 1:09, 295 unter 1:10. Und in den letzten beiden Jahren blieben sogar 400 Läufer unter 1:10. Wie gesagt: über die Halbmarathondistanz! Unglaublich!
Was diese Zahlen bedeuten, kann man sich vor Augen führen, wenn man einen Vergleich mit der bundesdeutschen Laufszene 2009 anstellt. Ein Blick in die Ergebnis- und Bestenlisten im Halbmarathon weisen einen Herrn Friedrich aus Passau mit einer Zeit 1:07:17 als 10. der DLV-Bestenliste für das Jahr 2009 aus; mit dieser Zeit wurde er bei den deutschen Meisterschaften in diesem Jahr Vierter.
Dabei ist zu betonen, dass die DLV-Liste für alle (!) deutschen Läufer sowie alle Läufe des Jahres gilt. Man ist in der Tat irritiert, wenn man hört, dass am Sonntag in Ageo 136 Läufer unter dieser Marke blieben. Beim größten deutschen Halbmarathon in Berlin im April – ein Lauf in der absoluten Weltspitze – blieben nur insgesamt 25 Läufer unter dieser Marke, darunter kein Deutscher! Und wenn man dann noch feststellt, dass beim Berliner Lauf nur 6 Deutsche unter 1:10 einliefen, in Ageo bei sogar deutlich schlechteren Bedingungen 295 junge Läufer diese Marke unterboten, kann man ermessen, welche einmalige Dinge sich auf Japans Straßen abzuspielen scheinen.
Über die fehlende Leistungsbreite deutscher Läufer ist ausreichend hingewiesen und geschrieben worden, das soll hier deshalb nicht weiter vertieft werden. Aber bezeichnend ist dieser Klassenunterschied zwischen Japan und Deutschland schon. Zeigt doch insbesondere der Lauf in Ageo, dass die erweiterte breite Spitze, die es auch in Deutschland vor gut 20 Jahren durchaus gegeben hat (beim Paderborner Osterlauf in den 80er Jahren liefen über 130 Läufern die 25 km z.B. unter 1:30), in einem anderen Teil des Globus durchaus noch gibt.
Während in der absoluten Weltspitze Kenianer und Äthiopier weitgehend die Dinge bestimmen, und insbesondere die japanischen Männer wegen ihrer Leistungen an der Spitze im eigenen Lande heftig kritisiert werden, zeigen die engagierten Breitensportler einen Leistungswillen, der in allen Belangen beeindruckt und mittelfristig sicher auch die Basis für herausragende Spitzenleistungen darstellen dürfte.
Die Zahlen und Zeiten von Ageo zeigen leider sehr deutlich, vor welchem Nachholbedarf die deutsche Langlaufszene steht. Es gibt eigentlich nur ein erfreuliches Statement der Hoffung zu dieser Thematik:
Viel tiefer kann das Leistungsniveau der engagierten Breite auf Deutschlands Straßen nicht mehr sinken. Etwas „Ageo“ täte schon gut.
Helmut Winter
1. Shota Hiraga – 1:03:44
2. Yuki Munakata – 1:03:58
3. Yohei Yamamoto – 1:04:02
4. Yuki Marubayashi – 1:04:05
5. Naohiro Domoto – 1:04:26
6. Tomoya Mizukoshi – 1:04:28
7. Daichi Yamazaki – 1:04:31
8. Sho Matsueda – 1:04:36
9. Kohei Okamoto – 1:04:39
10. Daisuke Koyama – 1:04:41
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