Michael Reinsch - Foto: Horst Milde
Debatte über Menschenrechte: „Sport hängt zehn Jahre hinterher“ – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
„Der Sport muss Verantwortung übernehmen“ – sagt Mary Harvey, Vorstandsvorsitzende des Centre for Sport and Human Rights.
Im Menschenrechtsausschuss muss sich der organisierte Sport die geballte Kritik von Experten anhören – die Spitzenverbände sind nicht eingeladen. Gleichzeitig sorgt der Sportausschuss für Verwunderung.
„Sport wird oft als gesellschaftliches Gut hochgehalten“, sagt Mary Harvey, und sie spielt damit auch auf dessen öffentliche Förderung an. „Doch um diese Lizenz zu behalten, muss der Sport Verantwortung übernehmen.“
Damit fasste die ehemalige Torhüterin der amerikanischen Fußball-Nationalmannschaft zusammen, was die Sachverständigen dem Bundestagsausschuss für Menschenrechte in dessen öffentlicher Anhörung zum Thema Sport am Mittwoch in Berlin ins Stammbuch schrieben: Druck auf Verbände und Veranstalter dazu auszuüben, die Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte der Vereinten Nationen zu übernehmen.
„Sport als Branche hängt zehn Jahre hinterher oder mehr“, konstatiert Harvey, heute Vorstandsvorsitzende des mehr als sechzig Organisationen vertretenden Centre for Sport and Human Rights mit Sitz in Genf.
„Bad governance der Sportverbände“
Die gute Nachricht sei, betonte auch Wenzel Michalski, Direktor von Human Rights Watch Deutschland, dass es keiner neuen Gesetze und Regelungen bedürfe, da es die UN-Leitprinzipien längst gebe. Das Problem: „Bad governance der Sportverbände.“ Druck wirke, urteilte er mit Blick auf die sich bessernde Situation der Arbeiter, die in Qatar die Stadien für die Fußball-Weltmeisterschaft bauten und machte daraus eine Empfehlung.
Nicht nur in Qatar, in China und in Russland gilt es, Menschenrechte durchzusetzen. Athleten Deutschland fordert, dies auch in Deutschland zu tun. „Athletinnen und Athleten stellen aus menschenrechtlicher Sicht eine Risikogruppe dar“, konstatiert Maximilian Klein für die Organisation.
Dies bedeute interpersonale Gewalt und Missbrauch, die Beschneidung von Arbeitnehmerrechten, Eingriffen in die Meinungsfreiheit etwa durch Regel 50 der Olympischen Charta sowie Einschränkung bei der Selbstvermarktung des eigenen Bilds wie durch Regel 40.
Klein beklagte zudem die „fragwürdige Unabhängigkeit und menschenrechtliche Kompetenz im Kontext der internationalen Sportschiedsgerichtsbarkeit durch den CAS“. In Deutschland sei eine schlüssige Gesamtstrategie von Verbänden und Staat notwendig.
China und Qatar im Visier
Auch Athleten Deutschland fordert die Implementierung der UN-Leitprinzipien und nennt sie eine menschenrechtliche Sorgfaltspflicht. Der Staat solle seine Förderung an deren Erfüllung knüpfen. Klein regte an, das von der Regierung geplante Zentrum für Safe Sport, das auf seine und die Initiative von Athleten Deutschland zurückgeht, langfristig zu einer unabhängigen Nationalen Integritätsagentur auszubauen.
Weder nach China noch nach Qatar gehörten sportliche Großereignisse, sagte Friedhelm Julius Beucher, als Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes (DBS) der höchstrangige Vertreter des organisierten Sports in der Anhörung. Von Deutschem Olympischen Sportbund und Deutschem Fußball-Bund waren Sachverständige nicht eingeladen.
Der Sportausschuss des Bundestages beschäftigte sich, worauf Beucher mit Verwunderung hinwies, zur selben Zeit mit der Reform der Spitzensportförderung. Dabei gehörten dessen Mitglieder doch gewiss auch zur Zielgruppe dieser Anhörung. Sie können, wie die Öffentlichkeit auch, die Anhörung des Ausschusses um 25 Stunden zeitversetzt am Nachmittag dieses Donnerstags im Parlamentsfernsehen anschauen, vielleicht sollten sie das sogar.
Großveranstaltungen als Chance
Olympische und Paralympische Spiele hätten schon durch die Umsiedlung von Menschen für die Veranstaltungen Menschenrechte verletzt, sagte Beucher. Die Empfehlungen von Internationalem Olympischem Komitee und Welt-Fußballverband FIFA für eine Menschenrechtsstrategie seien wichtige Schritte, die sich in der Praxis bewähren und auf allen Ebenen umgesetzt werden müssten.
Die Expertise des DBS liege im Sport, sagte er, weshalb es unerlässlich sei, externe und belastbare Einschätzungen von staatlichen Institutionen, Menschenrechtsexperten und entsprechenden Organisationen einzuholen. Andererseits seien Sportgroßveranstaltungen die Chance, Werte des Sports in die Mitte der Gesellschaft zu tragen.
In der Sportpolitik des Bundes sei kein Bekenntnis zu den Menschenrechten verankert, kritisiert der Verein Zentrum für Menschenrechte und Sport, vertreten von seinem Präsidenten Jonas Burgheim. Eine explizite und kohärente Herangehensweise sei nicht zu erkennen.
Burgheim fordert die Integration von Menschenrechten in die Sportpolitik.
Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Mittwoch, dem 11. Mai 2022