Gesa Krause - 2018 MonteCarlo Diamond League MonteCarlo, Monaco July 20, 2018 Photo: Giancarlo Colombo@PhotoRun Victah1111@aol.com #run.photo
„Das war wirklich haarscharf“: Gesa Krause zittert sich ins WM-Finale Oregon22- Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Ein hauchdünner Vorsprung reicht Gesa Krause, um bei der Leichtathletik-WM das Finale über 3000 Meter Hindernis zu erreichen. Der Endlauf ist eine Belohnung für ihren eisernen Willen.
Gesa Krause spurtete mit einer Konkurrentin um die Wette, die weit und breit nicht zu sehen war. Aus der zweiten Gruppe ihres Vorlaufs, abgehängt von sechs Konkurrentinnen, stürmte sie allein aus einer Verfolgergruppe über die Zielgerade von Hayward Field und sank, nach 9:21,02 Minuten im Ziel, erschöpft zu Boden.
Um 23 Sekunden hatte sie damit im Vorlauf über 3000 Meter Hindernis am Samstag in Eugene in Oregon zwar die enttäuschende Zeit ihres Saisoneinstiegs von Stockholm unterboten; als Schlag ins Gesicht hatte sie das Resultat bezeichnet. Doch damit war die Europameisterin von 2016 und 2018 in ihrem zweiten Rennen des Jahres immer noch achtzehn Sekunden von ihrer Bestleistung entfernt und erreichte in ihrem Lauf lediglich Platz sieben.
Mit den letzten Reserven
Sie konnte nicht ahnen, dass ihr geradezu dickköpfiges Anstürmen gegen das Schicksal sie doch in den Endlauf der Weltmeisterschaft getragen hatte. Wenn es am Mittwoch um den Titel geht, ist sie dabei. Drei Runden vor Schluss waren Zweifel in ihr Bewusstsein gekrochen. „Ich habe gedacht: Ich kann mich nicht mehr mobilisieren“, verriet sie.
Doch dann rang sie ihrem Körper, wie üblich, die letzten Reserven ab. Während sie in den Tiefen des Stadions auf das Resultat des dritten und letzten Vorlaufs wartete, verließ sie ihr eiserner Wille. Tränen überwältigten die 29-Jährige, als sie sich eingestand, dass sie nach fünf WM-Finals, nach Platz drei bei den Titelkämpfen von Peking 2015 und Doha 2019, diesmal den Endlauf wohl von der Tribüne aus würde verfolgen müssen. Sie schlug die Hände vors Gesicht. Ihr kleiner, durchtrainierter Körper zitterte.
„So viele Hindernisse standen uns im Weg“
Eigentlich war das zu erwarten gewesen nach dieser Saisonvorbereitung. Von Höhentraining zu Höhentraining war sie seit Januar gereist, von Kenia nach Südafrika, von den Rocky Mountains in die Alpen. Nach einer Entzündung der Achillessehnen und verschiedenen kleinen Infekten erwischte sie in Davos eine heftige Bronchitis.
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„So viele Hindernisse standen uns im Weg“, sagte sie, die in ihrem Metier Hindernisse leichtfüßig überspringt. All die Kilometer in der dünnen Luft, all die Reisen, all die Wochen und Monate fern von Freunden und Familie: Sollte das umsonst gewesen sein?
Mental belastend
Nach dem Olympischen Spielen von Tokio 2021 hatte Gesa Krause ein Vierteljahr Pause eingelegt, um sich von den intensiven Olympia-Vorbereitungen, der auf die Spiele 2020, die ausfielen, und der auf die Spiele 2021, auszuruhen. Nicht nur körperlich hatten die vergangenen Jahre ihre Spuren hinterlassen, sondern waren besonders durch das viele Alleinsein in der Pandemie auch mental sehr belastend.
Dann gab in Eugene Sembo Almayew den Kampf mit Gesa Krause auf – ganz offenkundig, ohne überhaupt zu wissen, dass sie mit der Deutschen im Wettbewerb stand. Deutlich abgehängt im dritten Vorlauf ließ sie weit vor dem Ziel locker und rannte enttäuscht und ohne Biss als Fünfte ins Ziel.
Ein wackeliges Lächeln
„Wenn die Äthiopierin sich hintenraus nicht aufgegeben hätte“, resümierte Gesa Krause, „wäre ich jetzt nicht im Finale.“ Erleichterung erfasste sie, in ihrem Gesicht zeigte sich ein wackeliges Lächeln. 9:21,10 Minuten standen für Almayew zu Buche, acht Hundertstelsekunden mehr als für Gesa Krause.
Damit gehörte Rang fünfzehn, der letzte Platz im Endlauf, der Deutschen. „Das zeigt mir, dass man bis zum letzten Meter kämpfen muss“, sagte sie. „Ich bin stolz, dass ich nicht den Glauben verloren habe.“ Sie sei nicht in der Verfassung, um eine Medaille zu kämpfen, räumte Gesa Krause ein; Schnellste der Vorläufe war die für Kasachstan startende Norah Jeruto mit 9:01,54 Sekunden.
Doch mit Platz fünfzehn werde sie sich nicht zufrieden geben, versprach Gesa Krause. Anders als im Fußball gehe es in der Leichtathletik nicht lediglich um Sieg und Niederlage, machte sie ihrem Publikum und womöglich auch sich selbst klar, schließlich gelte es Vorläufe zu überstehen und sich für Endläufe zu qualifizieren. „Das sechste WM-Finale hintereinander zu erreichen ist auch ein Erfolg“, urteilte sie: „ein sehr, sehr großer Gewinn.“
Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Sonntag, dem 17. Juli 2022