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22
04
2010

Großartig waren auch die Leistungen beim Boston Marathon, wo Robert Cheruiyot den Steckenrekord auf für das Streckenprofil kaum mögliche gehaltene 2:05:52 drückte

Das Jahr des Marathonjubiläums kommt in Schwung – Helmut Winter berichtet

By GRR 0

Die Frühjahrklassiker im Marathon beeindruckten bereits mit tollen Leistungen. Und mit dem London Marathon am kommenden Sonntag steht der Höhepunkt vor der Tür.

Nachdem der Frühling nicht nur kalendarisch seinen Einzug vollzogen hat, ist bereits bei den ersten Klassikern über die Marathondistanz das Jahr des 2500. Jubiläums so richtig in Schwung gekommen. Nachdem bereits während des langen und kalten europäischen Winters Haile und seine Mitstreiter in Dubai mit 2:06er Zeiten die Jahresbestenliste anführten, hat wie im Vorjahr Rotterdam am 11. April für Furore gesorgt.

In einem Lauf, der in vielfacher Hinsicht bemerkenswert war, konnte der Halbmarathonspezialist Patrick Makau in 2:04:48 den Eintritt in die absolute Weltklasse vollziehen und zog dabei auch seinen Landsmann Geoffrey Mutai (2:04:55) ebenfalls unter die 2:05er Marke. Mit den beiden 2:04er Zeiten aus dem Vorjahr hat Rotterdam wieder an die glorreichen Zeiten anknüpfen können und hat im Mittel der zehn schnellsten Zeiten mit noch vor kurzer Zeit für kaum möglich gehaltenen 2:05:15 Berlin (2:05:30) und London (2:05:34) deutlich hinter sich gelassen.

Die Qualität dieser Zeiten veranschaulicht schon die Ende der 80er Jahre erzielte und fast 10 Jahre gültige Rotterdamer Weltbestmarke von Densimo in „nur“ 2:06:50. Beeindruckend an Rotterdam ist die Tatsache, dass man fast mit „Nobodies“ über die volle Distanz mittlerweile Rennen organisiert, die selbst die etablierten Marathon Majors kaum kontern können. Auch in diesem Jahr war es wieder faszinierend zu sehen, dass auch bei einem Angriff auf Hailes Weltrekord erstaunlich große Felder bis jenseits der Halbdistanz zusammen bleiben und am Ende ein richtiger Wettkampf um den Sieg entfacht. Dazu kommt dann noch eine großartige Umsetzung im holländischen Fernsehen (von Universalsports übernommen), bei der der leistungssportliche Aspekt – wie sich das gehört – im Fokus stand!

Starker Wind im Mittelteil verhinderte in Rotterdam eine noch bessere Zeit, aber der Sieger Makau, der übrigens seinen internationalen Durchbruch in Berlin mit seinen Siegen beim 25 km Lauf feierte, deutete in der Schlussphase des sehr schnellen Rennens an, über welches Potential er auch im Marathon verfügt. Die Zeiten seines Schlussparts sind in der Tat beeindruckend. Nach 1:58:38 passierte er die 40 km Marke, d.h. 6:10 für den Schlussteil, nur ein Läufer – paradoxerweise der nach ihm einlaufende Geoffry Mutai – war einmal schneller gewesen. Als sich Makau auf dem letzten km von Mutai löste wurde es dann richtig schnell. Die vorletzten 500 m wurden in 1:16 gestoppt (entspricht 2:32 auf 1000m!) und den letzten km lief er in 2:40. Er hatte offensichtlich auch bei 2:04 noch Reserven. Und über die scheint auch Rotterdam zu verfügen. Die holländische Hafenstadt mischt im Marathon beim Konzert der Großen wieder ganz vorne mit.

Ein hohes Leistungsniveau gab es auch in Paris, wenngleich das tolle Ergebnis des Vorjahrs nicht ganz erreicht wurde. Aber auch hier vollzog ein Halbmarathon-Spezialist, Tadesse Tola (ETH), nachdem er im Oktober in Chicago in 2:15 noch weiter unter Wert lief, mit 2:06:41 den Eintritt in die internationale Spitze. Hervorragend in Paris wieder das Ergebnis in der Breite, 16 Läufer unterboten den internationalen Qualifikationsstandard von 2:13. Das schafft ansonsten kaum ein Lauf – weltweit.

Großartig waren auch die Leistungen beim Boston Marathon, wo Robert Cheruiyot den Steckenrekord auf für das Streckenprofil kaum mögliche gehaltene 2:05:52 drückte. Lediglich ein verhaltener Abschnitt im ersten Teil verhinderte, dass Boston sogar Chicago als schnellste Strecke in den USA ablöste. Mit derartigen Leistungen kommt man allerdings nun in Probleme, da das Gefälle über den gesamten Kurs einer Aufnahme in den Bestlisten entgegensteht, da ein Gradient von 1m Höhe pro 1 km Stecke überschritten wird. Bisher lag man mit Zeiten über 2:07:14 gegenüber der Weltspitze deutlich zurück, das hat sich nun geändert.

Weiterhin bemerkenswert sind die Zeiten für die beiden Streckenhälften, die der Sieger – bestens bekannt in Deutschland durch seinen Sieg und Platz 2 beim Frankfurt Marathon 2008 und 2009 – in 1:03:27 und 1:02:25 zurücklegte. Dabei fällt die Strecke auf den ersten 10 km stark ab und bietet im zweiten Teil nicht nur mit dem Heartbreak Hill gewaltige Steigungen. Somit realisierte Robert Cheruiyot einen negativen Split für die zweite Hälfte der ganz besonderen Art.

Ferner braucht man sich in Boston keinen neuen Namen für den Steckenrekordler merken, wobei aber der noch junge Robert (Kiprono) Cheruiyot und der Seriensieger von Boston Robert (Kipkoech) Cheruiyot noch nicht einmal miteinander verwandt sind. Die Statistiker dürften sich freuen.

Solide das Ergebnis in Wien, wo Athletenkoordinator Mark Milde aus Berlin nach dem „Debütantenrennen“ des Vorjahres wieder internationale Spitzenläufer aufbot. Die Siegerzeit von Henry Sugut in 2:08:40 entsprach nicht ganz den Erwartungen, war aber starken Windböen geschuldet, die gerade im Mittelteil das Tempo gravierend reduzierten. Und auch für den Weidlinger Günther wachsen die Bäume nicht in den (Marathon-)Himmel; seine Verletzung aus dem Vorfeld brach wieder auf, doch der Österreicher quälte sich bravourös in 2:14:05 ins Ziel. Sub-2:10 waren geplant. Zudem wurde Wien auch ein Opfer der Vulkanasche aus Island. Es konnten ca. 1500 Aktive nicht rechtzeitig an den Start kommen und ein Relais-Flugzeug für die TV-Übertragung nicht starten.

Es wurde in dieser Sendung dann immer wieder betont, dass die Technik die ganze Nacht zuvor an dem Problem gearbeitet hatte. Genutzt hatte das wenig, die Übertragung war von der leistungssportlichen Seite nur drittklassig. Bleibt zu hoffen, dass das nur an der Vulkanasche lag. Ansonsten sollten die Verantwortlich nach Rotterdam oder Berlin schauen, um zu lernen wie man einen Marathon überträgt. Oder auch nach London, wo die BBC schon seit Jahren herausragende Arbeit macht.

Und nicht nur auf die kann man sich am kommenden Sonntag freuen, wenn wieder ein Feld der Extraklasse an den Start geht, bei Männern sowie Frauen. Auch In London hat der Vulkan auf Island bereits Spuren hinterlassen. Einige Spitzenathleten saßen bis vor kurzem noch in Nairobi am Airport fest, die Pressekonferenz am Mittwoch wurde bereits verschoben. Aktuell sieht es aber mit dem Elitefeld recht gut aus, Deutschlands Hoffnung im Lauf der Frauen, Irina Mikitenko, reiste mit Zug und Privatjet in die britische Hauptstadt. Sie will den Hattrick in London komplettieren, was sicher diesmal noch schwerer werden wird als in den Vorjahren.

Sollte das Rennen der Frauen nicht zu schnell werden, dürfte die Russin Liliya Shobukhova kaum zu schlagen sein. Nach der Galavorstellung von Mara Jamauchi (GBR) beim Halbmarathon in New York gehört sie nach ihrem zweiten Platz im letzten Jahr zu den ernsten Widersachern von Irina. Irina hatte in den beiden letzten Jahren im Vorfeld den Paderborner Osterlauf mit beeindruckenden Leistungen gewonnen, bleibt zu hoffen, dass ihre verletzungsbedingte Absage dort in diesem Jahr kein schlechtes Omen für den Sonntag ist.

Da werden allerdings nach Lage der Dinge die Männer im Fokus stehen, denn die Qualität der Starter ist in der Tat einmalig – auch nach der Absage eines der Topfavoriten, Martin Lel (KEN). Dazu kommen noch diverse Ankündigungen im Vorfeld, die ein sehr schnelles Rennen erwarten lassen. Es ist nicht unrealistisch anzunehmen, dass es am Ende sehr nahe an Hailes Bestmarke von 2:03:59 gehen könnte. Dass in London die ersten drei der WM 2009 von Berlin an den Start gehen, ist schon fast einen Randerscheinung gegenüber dem Wirbel, den insbesondere Vorjahressieger Samuel Wanjiru hinsichtlich des Marathon-Weltrekords in letzter Zeit entfacht hatte.

Auch Weltmeister Abel Kirui hat den Rekord ins Visier genommen, allerdings gleichfalls die Aussagen nicht nur auf London sondern auch auf einen möglichen Start im Herbst in Berlin oder sonst wo bezogen. Mittlerweile haben aber die Ereignisse die wackren Kenianer fast überholt, denn in beeindruckender Konsequenz hat Zersenay Tadese (ERI) am 21. März in Lissabon mit 58:23 Wanjirus Weltrekord über den Halbmarathon um 10 Sekunden verbessert. Dabei demonstrierte der mehrfache Halbmarathon- und Cross-Weltmeister eine derartige Leistungsstärke und Moral, dass eine außergewöhnliche Zeit über die volle Distanz keine Überraschung wäre. Nach 6 km lief er Lissabon das Rennen allein und den Abschnitt von 10km nach 20 km in einmaligen 27:25.

Zieht man dazu Tadeses Eigenschaften als Frontrunner in Betracht, kann es in London nur ein sehr schnelles Rennen geben, das bei der Klasse der Starter lediglich durch widrige Wetterbedingungen gebremst werden könnte. Dies ist aber kaum zu erwarten, die Vorhersage für Sonntag ist günstig: 13 – 17°C, leicht bewölkt, allerdings merklicher Wind. Im letzten Jahr war Tadese bei seinem Debut nach sehr schnellem Beginn bei 25 km aus der Spitze herausgefallen und kurz danach ausgestiegen. Nach dem grandiosen Lauf von Lissabon, bei dem er nebenher Haile Gebrselassie den 20 km Weltrekord auf der Straße abnahm, hat er sich ganz auf London konzentriert und im Gegensatz zum letzten Jahr auf eine sehr gute Platzierung bei der Cross-WM verzichtet.

Entscheidend wird am Sonntag sein, wie die Elite beim Nachlassen und beim Aussteigen der Pacemaker reagieren wird. Im letzten Jahr haben Wanjiru und Mitstreiter nach furiosem Beginn zu lange toleriert, dass sich in Richtung 25 km das Tempo immer mehr verschleppte. Aus diesem Fehler sollte man gelernt haben, und wenn – wie in Lissabon – Tadese die Initiative ergreift, dürfte spätestens die Jagd nach Hailes Bestmarke eröffnet sein. Nach Tola in Paris und Makau in Rotterdam würde es nicht überraschen, wenn in London ein weiterer großer Halbmarathonspezialist auf der vollen Distanz Überragendes leistet.

Auch bei den Pacemakern spielt der Halbmarathon eine Rolle: Peter Kamais, Sieger bei New Yorker Halbmarathon im März, wird einer der gleichfalls hochkarätigen Tempomacher sein. Nach Paul Radcliffes Fabelweltrekord vor sieben Jahren an gleicher Stelle könnte es eine weitere Sternstunde des Marathons geben.

Für die Zuseher in Deutschland ist Eurosport live dabei. Die Frauen starten um 9 Uhr, die Männer um 9:45 Ortszeit, nach MESZ ist das eine Stunde später.

Und wer den Livestream der BBC empfangen kann, der kann die Rennen der Frauen und Männer separat schauen. Es dürfte sich lohnen.

Die Eliteathleten beim London-Marathon am 25.4.2010:

1  Samuel Wanjiru                       KEN     2:05:10     WANJIRU
2  Duncan Kibet                           KEN     2:04:27     KIBET
3  Abel Kirui                                KEN     2:05:04     KIRUI
4  Martin Lel                                          KEN      2:05:15       LEL      abgesagt
5  Tsegaye Kebede                      ETH    2:05:18     KEBEDE
6  Jaouad Gharib                         MAR   2:05:27     GHARIB
7  Emmanuel Mutai                     KEN     2:06:15     MUTAI
8  Yonas Kifle                             ERI     2:07:34     KIFLE
9  Abderrahim Bouramdane         MAR     2:08:20     BOURAMDANE
10 Marilson Gomes dos Santos    BRA     2:08:37     DOS SANTOS
11 Abdi Abdirahman                   USA     2:08:56     ABDI
12 Satoshi Irifune                      JPN     2:09:23      IRIFUNE
13 Takayuki Matsumiya              JPN     2:10:04      TAKAYUKI
14 Ridouane Harroufi                  MAR    2:10:14    HARROUFI
15 Dan Robinson                       GBR     2:12:14     ROBINSON
16 Zersenay Tadese                   ERI      DNF            TADESE
17 Andrew Lemoncello                GBR     Debut         LEMONCELLO
18 Peter Nowill                           AUS     Debut     NOWI

Helmut Winter

author: GRR

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