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26
01
2007

Lange bevor die großen Stadtmarathons von heute mit viel Geld die internationale Elite anlockten, gehörte der Klassiker von Košice zu den höheren Weihen in der Marathonszene.

Das Boston des Ostens – Košice-Marathon 2006 – Viertausend Sportler aus 34 Nationen – Deutsche Läuferinnen und Läufer haben seit den Anfängen des Laufes an dessen Geschichte mitgeschrieben und standen mehrmals auf dem Siegerpodest, allein zehnmal auf dem obersten Treppchen – Christel Schemel in LAUFZEIT

By GRR 0

Im Stundenrhythmus setzten die CSA-Flugzeuge, von Prag kommend, in Košice auf. Hier wird einer der berühmtesten Marathons Europas organisiert. Ein "Oldie" – mit Ausnahme der Jahre 1938 und 1940 fand und findet dieser seit 1924 seine Fortsetzung.
1952 wurde ihm der Beiname Friedens-Marathon gegeben. In der Stadt Košice mischten sich seit Jahrunderten die Kulturen der Ungarn, Slowaken, der Deutschen, Russen und Tschechen und kreuzten sich europäische Handelswege. Hier, beinahe auch am geografischen Zentrum Europas, schlug und schlägt der globale Puls.

Kein Wunder, dass die hier ansässige Marathonveranstaltung sich europa- und weltweit etablierte.
Viele Jahrzehnte schon gaben sich in Košice die Weltbesten der Marathonszene ein Stelldichein. Die schnelle Strecke und die hervorragende Betreuung der Teilnehmer sprachen sich herum. Da nahm man auch auf dem zweiten Teil der Pendelstrecke die oft anhebende, starke Herbstbrise in Kauf.

Höhere Weihen in der Marathonszene

Lange bevor die großen Stadtmarathons von heute mit viel Geld die internationale Elite anlockten, gehörte der Klassiker von Košice zu den höheren Weihen in der Marathonszene.
Er entwickelte sich zum "Boston des Ostens", hier traf sich die Weltklasse. Zahlreiche Olympiasieger kamen und liefen hier: Juan Carlos Zabala (Argentinien/Olympiasieger 1932), Jack Holden (Großbritannien/Brüssel 1950), Abebe Bikila (Äthiopien/Rom 1960/Tokio 1964), Mamo Wolde (Äthiopien/Mexiko City 1968), Mikko Hietanen (Finland/Oslo 1946).
Nicht zu vergessen Waldemar Cierpinski, der den ersten und den letzten Marathon seiner Leistungssport-Karriere hier absolvierte. 1974 debütierte er hier bei einer von Wind und Regen schwer heimgesuchten Ausgabe.

Deutsche Siege

Sein überraschender dritter Platz in 2:20:28 h – und das in einem hochkarätig besetzten Elitefeld – war der ausschlaggebende Impuls für seine spätere Laufbahn auf der klassischen Distanz. 1985 gab er an gleicher Stelle als zweifacher Olympiasieger seinen Abschied.
Noch lange vor der deutschen Wiedervereinigung standen in Košice 1981 zwei Deutsche auf dem Siegerpodest: die Wuppertalerin Christa Vahlensieck (2:37:36) und der Magdeburger Hans-Joachim Truppel (2:16:58). Mit ihren nachfolgenden Siegen 1984, 1986, 1987 und 1988 ist Christa Valensieck bis heute ungeschlagene Königin in der Siegerchronik.
Deutsche Läuferinnen und Läufer haben seit den Anfängen des Laufes an dessen Geschichte mitgeschrieben und standen mehrmals auf dem Siegerpodest, allein zehnmal auf dem obersten Treppchen.
Bereits in den Jahren 1926 und 1929 gewann Hans Hempel vom Sport-Club Charlottenburg aus Berlin.
Somit hat der Veranstalter eines der weltgrößten Marathonläufe heute auch einen der ältesten deutschen Laufpioniere des langen Kantens in seiner Chronik aufzuweisen.

Mit Blick auf die Tatragipfel

In den letzten 20 Jahren hat der Lauf reichlich an Attraktivität zugelegt. Der einst wetterharte und triste Kurs zur ungarischen Grenze und zurück ist schon lange vergessen.
Renommierte Marathonlaufveranstalter wie die von Boston – Urvater aller jährlich stattfindenden Marathonläufe -, Rom und Prag pflegen heute sehr enge Partnerschaftsbeziehungen zum Košice-Marathon. Die Veranstaltung entwickelte sich zum erlebnisreichen Stadtlauf und lebendigen Lauffest der Generationen. Mütterchen stehen an der Strecke, reichen Wasser und Obst, winken den Athleten zu.
Die Organisation steht auf stabilen Füßen, für die vielen ehrenamtlichen Organisatoren gab und gibt es keine Nachwuchssorgen. Im Jahr 2006 kamen 4.000 Sportler und deren Angehörige aus 34 Ländern – Teilnehmerrekord.
Ob Spitzenathlet oder Ersteinsteiger im Minimarathon, für alle wurden schicke T-Shirts, ein Rucksack und im Ziel eine prächtige Medaille ausgegeben. Am Vorabend gab es eine Pastaparty und eine Präsentation vom Feinsten auf der Bühne in der Altstadt vor dem Lauf.

Vorzeigestrassen

Gestartet wurde die 83. Auflage des Laufes am 1. Oktober 2006 auf der zwei Kilometer langen Flaniermeile der Stadt. Der neue Kurs ist gut ausgesucht und gleicht einer Sightseeing-Tour auf den "Vorzeigestraßen" der slowakischen Metropole.
Kathedrale, Jakobpalais, Jesuitenkirche, St.-Urban-Turm, dazwischen das Abebe Bikila-Denkmal, Dominikanerkirche, Stadion, Universitäten. Wer weiß schon, dass Košice über die größte rekonstruierte Altstadt der Slowakei verfügt, die Stadt der Wissenschaft und des Sports ist und ein international sehr bekanntes Eishockey-Team besitzt?
Die Metropole liegt zudem in traumhafter Nähe zum slowakischen Erzgebirge und zur Hohen Tatra, den "Alpen des Ostens". Bei klarem Wetter schimmern deren Gipfel am Horizont.
(Ergänzende Recherchen: Wolfgang Weising)

Siegertafel von Košice
Männer

1924 Karol HALLA TCH 3:01:35
1925 Pál KIRÁLY HUN 2:41:55
1926 Paul HEMPEL GER 2:57:02
1927 József GALAMBOS HUN 2:48:25
1928 József GALAMBOS HUN 2:55:45
1929 Paul HEMPEL GER 2:51:31
1930 István ZELENKA HUN 2:50:58
1931 Juan Carlos ZABALA ARG 2:33:19
1932 József GALAMBOS HUN 2:43:14
1933 József GALAMBOS HUN 2:37:53
1934 Josef ŠULC TCH 2:41:26
1935 Arthur MOTMILLERS LAT 2:44:57
1936 György BALABAN AUT 2:41:08
1937 Désiré LERICHE FRA 2:43:41
1938 ausgefallen
1939 József KISS HUN 2:47:06
1940 ausgefallen
1941 József GYIMESI HUN 2:56:17
1942 József KISS HUN 3:02:27
1943 Géza KISS HUN 2:50:14
1944 Rezs KÖVÁRI HUN 2:58:49
1945 Antonín ŠPIROCH TCH 2:47:21
1946 Mikko HIETANEN FIN 2:35:02
1947 Charles HEIRENDT LUX 2:36:06
1948 Gösta LEANDERSSON SWE 2:34:46
1949 Martti URPALAINEN FIN 2:33:45
1950 Gösta LEANDERSSON SWE 2:31:20
1951 Jaroslav ŠTRUPP TCH 2:41:07
1952 Erkki PUOLAKKA FIN 2:29:10
1953 Walter BEDNÁ TCH 2:53:32
1954 Erkki PUOLAKKA FIN 2:27:21
1955 Evert NYBERG SWE 2:25:40
1956 Thomas Hilt NILSSON SWE 2:22:05
1957 Ivan FILIN URS 2:23:57
1958 Pavel KANTOREK TCH 2:29:37
1959 Sergej POPOV URS 2:17:45
1960 Samuel HARDICKER GBR 2:26:46
1961 Abebe BIKILA ETH 2:20:12
1962 Pavel KANTOREK TCH 2:28:29
1963 Leonard EDELEN USA 2:15:09
1964 Pavel KANTOREK TCH 2:25:55
1965 Auréle VANDENDRISCHE BEL 2:23:47
1966 Gyula TÓTH HUN 2:19:11
1967 Nedjalko FARI YUG 2:20:53
1968 Václav CHUDOMEL TCH 2:26:28
1969 Demisse WOLDE ETH 2:15:37
1970 Michail GORELOV URS 2:16:26
1971 Gyula TÓTH HUN 2:21:43
1972 John FARRINGTON AUS 2:17:34
1973 Vladimír MOJSEJEV URS 2:19:01
1974 Keith ANGUS GBR 2:20:09
1975 Choe Chang Sop PRK 2:15:47
1976 Takeshi SO JPN 2:18:42
1977 Go Chun Son PRK 2:15:19
1978 Go Chun Son PRK 2:13:34
1979 Jouni KORTELAINEN FIN 2:15:12
1980 Alexej AGUŠEV URS 2:15:25
1981 Hans-Joachim TRUPPEL GDR 2:16:58
1982 György SINKÓ HUN 2:18:48
1983 František VIŠNICKÝ TCH 2:16:52
1984 Ri Dong Myong PRK 2:18:59
1985 Valentin STARIKOV URS 2:17:13
1986 František VIŠNICKÝ TCH 2:18:43
1987 Jörg PETER GDR 2:14:59
1988 Michael HEILMANN GDR 2:17:52

1989 Karel DAVID TCH 2:18:39
1990 Nikolaj KOLESNIKOV URS 2:20:28
1991 Vlastimil BUKOVJAN TCH 2:18:21
1992 Wieslaw PALCZYSKI POL 2:16:24
1993 Wieslaw PALCZYSKI POL 2:14:11
1994 Petr PIPA SVK 2:15:03
1995 Marnix GOEGEBEUR BEL 2:13:57
1996 Marnix GOEGEBEUR BEL 2:17:41
1997 My Tahar ECHCHADLI MAR 2:16:22
1998 Andrzej KRZYSCIN POL 2:14:29
1999 Robert ŠTEFKO SVK 2:14:10
2000 Ernest KIPYEGO KEN 2:14:35
2001 David KARIUKI KEN 2:13:27
2002 David KARIUKI KEN 2:12:40
2003 Georgy ANDREEV RUS 2:13:24
2004 Adam DOBRZYNSKI POL 2:12:35
2005 David MAIYO KEN 2:16:07
2006 Edwin KIPCHOM KEN 2:12:53

Frauen
1980 Šárka BALCAROVÁ TCH 2:50:15
1981 Christa VAHLENSIECK FRG 2:37:46
1982 Gillian BURLEY GBR 2:43:26
1983 Raisa SADREIDINOVÁ URS 2:34:41
1984 Christa VAHLENSIECK FRG 2:37:19
1985 Lucia BEAJEVOVÁ URS 2:38:19
1986 Christa VAHLENSIECK FRG 2:41:08
1987 Christa VAHLENSIECK FRG 2:38:40
1988 Christa VAHLENSIECK FRG 2:39:03

1989 Alena PETERKOVÁ TCH 2:31:28
1990 Carol McLATCHIE USA 2:46:00
1991 Mária STAROVSKÁ TCH 2:46:00
1992 Dana HAJNÁ TCH 2:43:27
1993 Jelana PLASTININOVÁ UKR 2:42:11
1994 Ludmila MELICHEROVÁ SVK 2:40:27
1995 Gouzel TAZETDINOVÁ RUS 2:43:03
1996 Gouzel TAZETDINOVÁ RUS 2:44:28
1997 Wioletta URYGOVÁ POL 2:38:56
1998 Wioletta URYGOVÁ POL 2:46:23
1999 Katarína JEDINÁKOVÁ SVK 2:55:39
2000 Ivana MARTINCOVÁ CZE 2:46:17
2001 Galina ŽULJEVOVÁ UKR 2:36:55
2002 Tadelech BIRRA ETH 2:36:49
2003 Elena MAZOVKA BLR 2:39:23
2004 Rika TABASHI JAP 2:33:52
2005 Edyta LEWANDOWSKA POL 2:37:48
2006 Natalia KULESH BLR 2:36:47
Quelle: www.kosicemarathon.com

Chronik sportlichen Pioniergeistes

Den Anstoß gaben einst drei ostslowakische Sportfunktionäre, die begeistert vom Olympischen Marathonlauf in Paris 1924 in ihre Heimat zurückgekehrt waren. Beseelt von der Idee, daheim einen solchen sportlichen Wettstreit zu organisieren, veröffentlichten sie in der Zeitschrift "Kassai Naplo" des damaligen Amateur-Sportverbandes eine Ausschreibung für einen Marathonlauf von Košice hinaus über Land und zurück.
Als Ruhm sollte der Sieger – an Frauen hatte sich damals solch ein Ansinnen noch nicht gerichtet – den offiziellen Titel eines slowakischen Meisters nebst Urkunde und einen wertvollen Preis erhalten.

Schließlich fanden sich acht Debütanten, die bereit waren, sich auf das Abenteuer einzulassen.
Es war der 28. Oktober 1924, kurz vor 16.30 Uhr, als der Pistolenschuß des Starters durch die kalte Herbstluft schallte. Wenige Meter weiter begrüßten bereits zahlreiche ebenso neugierige wie begeisterte Zuschauer die Akteure mit Applaus. In einem Pkw Tatra folgten die Kampfrichter. Sie wurden von der Menge mit sarkastischen Rufen bedacht:
"Warum lauft ihr nicht? Mit dem Auto kann das jeder."
Am Ausgang des Startgeländes warteten Radfahrer, um die Athleten zu begleiten bzw. sie den zahlreichen Zuschauern, die in den Straßen Košices auf die Abenteurer warteten, vorauseilend anzukündigen. Einige Zeitzeugen hatten sich die besten Plätze auf einer hölzernen Haupttribüne gesichert. Von dort aus bejubelten sie schließlich nach 3:01:35 h den Sieger Karol Halla, der im Zieleinlauf einen Lorbeerkranz umgehängt bekam – eine Tradition, die bis heute beibehalten wurde.

Viele Jahre später sollte ihm in Form einer Skulptur auf marmornem Sockel vor dem Ostslowakischen Museum ein kleines Denkmal gesetzt werden.
Noch beim Abendessen nach der Laufpremiere gab der Sieger den entscheidenden Anstoß für die Zukunft. Er wolle sich besser und gründlicher auf einen kommenden Marathonlauf vorbereiten, äußerte er und fügte zwei Wünsche hinzu: Zum einen, dass der Lauf von nun an jährlich stattfinden möge und zum anderen, dass es auch eine internationale Teilnahme geben solle. Dem Wunsch wurde seit- dem entsprochen. Selbst in den schlimmsten, von Kriegswirren gezeichneten Jahren, fiel der Lauf nur zweimal aus.

Košice
Fläche: 242,33 km²
Einwohner: 234.969 (2006)
Höhe: 208 m ü. N.
Offizielle Website:
www.kosice.sk

Lage: Zweitgrößte Stadt der Slowakei, nahe den Grenzen zu Polen, der Ukraine und Ungarn am Fluss Hornád.
Griechisch-katholischer sowie evangelischer Bischofssitz, seit 1995 Sitz des römisch-katholischen Erzbistums in der Ostslowakei, Universitätsstadt.
Wichtige Funktion für den Ost-West-Verkehr, der Italien und Österreich mit der Ukraine und Russland verbindet.
Der internationale Flughafen wurde 2006 privatisiert, wobei der neue Mehrheitseigentümer der Flughafen Wien-Schwechat wurde.

Geschichte: Gegen Ende des 11. Jahrhunderts wurde der Ort in das Königreich Ungarn eingegliedert. Aus dem Jahr 1230 stammt die erste schriftliche Erwähnung der Stadt. Später Eingliederung in die Tschechoslowakei bzw. Slowakei.
Sehenswürdigkeiten: Die Dominante der Stadt – Elisabeth-Dom (15. Jahrhundert), Michaels-Kapelle, Urban-Turm, Janko-Borodá-Theater, Bischofspalais, Stadtbefestigung, Dominikanerkirche und der Zoo.

Christel Schemel
LAUFZEIT 12/2006

https://www.kosicemarathon.com/

Nächster Lauf:
7. Oktober 2007

author: GRR

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