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19
07
2009

- Wenn Jürgen Hingsen, Silbermedaillengewinner im Zehnkampf, sich erinnert, wie er und andere bundesdeutsche Mehrkämpfer sich einst \"die Kante gegeben haben\", als ihnen mitgeteilt wurde, dass die Bundesrepublik 1980 nicht an den Spielen in Moskau teilnehmen wird.

Countdown zur Leichtathletik-WM: Noch 27 Tage – Wenn sich Legenden erinnern – Sebastian Arlt in der Berliner Morgenpost

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Am eindrucksvollsten ist es, wenn die Erinnerungen noch einmal wach werden. Wenn die Weitsprung-Olympiasiegerin Heike Drechsler davon erzählt, wie sie sich "gegrämt" hat, als die DDR die Olympischen Spiele 1984 in Los Angeles boykottierte.

– Wenn Jürgen Hingsen, Silbermedaillengewinner im Zehnkampf, sich erinnert, wie er und andere bundesdeutsche Mehrkämpfer sich einst "die Kante gegeben haben", als ihnen mitgeteilt wurde, dass die Bundesrepublik 1980 nicht an den Spielen in Moskau teilnehmen wird.
 
Wenn Kugelstoß-Olympiasieger Udo Beyer davon spricht, dass ihm "ein großer Stein vom Herzen gefallen ist", als die Spiele 1972 in München nach dem Anschlag auf die israelischen Sportler fortgesetzt wurden. Oder Ulrike Nasse-Meyfarth noch einmal das für sie "schockartige Erlebnis" aufleben lässt, als sie 1972 als 16-Jährige Olympia-Gold im Hochsprung gewann.

Zu einem "Wiedersehen der Legenden" hatte Organisator Christian Schenk, selbst 1988 Olympiasieger im Zehnkampf, an zwei Abenden in die Mercedes-Welt am Salzufer eingeladen. Im Vorfeld der Leichtathletik-WM in Berlin sollten Sportler zu Wort kommen, die in den 70er- und 80er-Jahren Leichtathletik-Geschichte geschrieben haben. Die eben bei den Spielen 1972 dabei waren, die heiter begannen und über die dann ein dunkler Schatten fiel.

Die aber auch die Olympiaboykotte von Moskau 1980 (u. a. ohne einige westliche Länder wie die USA und die Bundesrepublik) und Los Angeles 1984 (u. a. ohne östliche Länder wie die UdSSR und die DDR) miterlebten.
Man wolle sich erinnern, aber auch kritisch hinterfragen, so Schenk. Vielleicht, so mutmaßte er, habe er sich gerade wegen des letzten Punktes auch etliche Absagen eingehandelt. Mancher Altstar mag befürchtet haben, sich doch – gerade von den auf dem Podium vertretenen Journalisten – wieder Fragen nach Doping gefallen lassen zu müssen.

in Befürchtung, die aber (fast) unbegründet war. Etwas verräterisch schien da ein Satz des als Doping-Experten geschätzten Rundfunk-Journalisten Herbert Fischer-Solms (Deutschlandfunk), der in einem Nebensatz davon sprach, "vergattert" worden zu sein: "Wir haben hier keine Doping-Diskussion."

So war man sich ziemlich einig, dass früher in Ost und West gedopt wurde – und dass auch heute fleißig munter weiter gedopt wird. Nachgebohrt wurde bei den Athleten nicht. Auch nicht bei 400-Meter-Olympisiegerin Marita Koch, die 1985 einen Weltrekord mit 47,60 Sekunden aufstellte, der heute noch Bestand hat. "Ich hatte eine Zeit, da habe ich gedacht: Hätte ich bloß diesen blöden Weltrekord nicht aufgestellt", gab sie zu. "Dann hätte ich keine Angriffsfläche für Journalisten abgegeben."

Christian Schenk zitierte einen Satz der Schriftstellerin Christa Wolf, dem nichts hinzuzufügen ist: "Das Vergangene ist nicht tot, es ist nicht einmal vergangen."

Sebastian Arlt in der Berliner Morgenpost, Sonntag, dem 19. Juli 2009 

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