„Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich keine Medaille will“, sagte sie nach ihrem Saisoneinstand bei den Halleschen Werfertagen am Wochenende
Christina Obergföll – „2009 wird mein Jahr“ – Michael Reinsch, Halle, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
25. Mai 2009 Es gibt noch optimistische Leichtathleten. „Mit den Gefühl von heute wird es nicht mehr lange dauern, bis ich wieder siebzig Meter werfe“, sagt Christina Obergföll. Die Speerwerferin aus Offenburg, die mit ihrem dritten Platz von Peking für die einzige Medaille des Deutschen Leichtathletik-Verbandes bei den Olympischen Spielen des vergangenen Jahres sorgte, will auch bei der Weltmeisterschaft von Berlin wieder aufs Siegespodest.
„Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich keine Medaille will“, sagte sie nach ihrem Saisoneinstand bei den Halleschen Werfertagen am Wochenende, der ihr mit der Siegweite von 68,40 Meter überzeugend gelang. Bundestrainerin Maria Ritschel lobte: „Eine ganz schöne Granate.“ Fräulein Obergföll und ihr Gefühl für den großen Wurf kontrastierten deutlich mit der Stimmungslage der anderen vermeintlichen WM-Favoriten unter den Werfern.
Die dreimalige Weltmeisterin Franka Dietzsch tröstete sich, ebenso wie der Silbermedaillengewinner der WM von Osaka, Robert Harting, damit, dass der Diskus zwar aus dem Sektor, aber immerhin weit geflogen war. Der beste ihrer beiden gültigen Würfe erreichte nicht einmal sechzig Meter. Sie werde sich nun nicht gleich in die Saale stürzen, sagte Franka Dietzsch bitter, aber schön sei das alles nicht.
Harting, der mit 64,78 Meter ebenfalls unter seinen Möglichkeiten blieb, klagte über eine Rückenentzündung und technisches Versagen: „Ich habe zwei Beine, aber ich benutze sie nicht.“
„Es lässt sich nicht vermeiden, dass wir auch übers Speerwerfen sprechen“
Dagegen sind Wurf und Gefühl bei Christina Obergföll derzeit eins. Wenn sie sagt, im Wintertraining habe sie neue Reize gesetzt, klingt das viel nüchterner, als es in Wirklichkeit ist. Gemeinsam mit Trainer Werner Daniels reiste sie im Dezember zu Speerwurf-Olympiasieger Andreas Thorkildsen nach Oslo, im Januar hielt sie mit dem Norweger und seinem Team Trainingslager in Südafrika. „Ich habe ihm einiges abgeschaut“, sagte sie in Halle. „Er hat uns zugeschaut und Tipps gegeben.“
Seit dem vergangenen Jahr ist die Siebenundzwanzigjährige mit Boris Henry liiert, dem einstigen Weltklasse-Speerwerfer und neuen Bundestrainer der Männer. „Es lässt sich nicht vermeiden, dass wir auch übers Speerwerfen sprechen“, sagte sie. „Er war mit seinen Sportlern mit in Portugal im Trainingslager.“ Die Welt der Christina Obergföll dreht sich ums Speerwerfen.
Optimistisch war sie, wenn sie in Halle das Wintertraining in erste Ergebnisse umsetzte, schon oft und sprach von Weltrekord und Olympiasieg. Doch nicht ein Mal konnte sie ihre Hoffnungen mit so weiten Würfen festigen wie diesmal. Gleich im ersten Anlauf gelang ihr die Siegweite, mit der sie Europameisterin Steffi Nerius (Leverkusen) um fast fünf Meter übertraf; dreimal warf sie über 65 Meter. Jeder ihrer fünf gültigen Versuche ging weiter als der beste der Russin Maria Abakumova (Dritte mit 61,69 Meter), der Silbermedaillengewinnerin von Peking.
Im Fall Goldmann die Finger verbrannt
„2009 wird mein Jahr“, hat sich die Speerwerferin in goldenen Lettern zu Hause auf den Kühlschrank geklebt, und daran glaubt sie. Noch im Herbst sah es nicht danach aus. Da hatte sie die Solidaritätserklärung von zwei Dutzenden Sportlern für Werner Goldmann unterschrieben. Während sie in Südafrika trainierte, erschien in ihrer Heimatzeitung die Schlagzeile: „Obergföll unterstützt Doping-Trainer.“
Da habe sie sich die Finger verbrannt, resümierte sie nun, und wisse doch gar nicht recht, wie sie das alles einordnen solle. Man dürfe die Opfer von Doping nicht vergessen, sagt sie. Andererseits sollte man jemandem, der zwanzig Jahre lang sauber gearbeitet habe, nicht die Chance auf einen Erfolg bei der WM in seiner Heimatstadt Berlin verbauen.
Mit Gefühl allein kommt nicht einmal Christina Obergföll bei diesem Thema weiter.
Michael Reinsch, Halle, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Montag, dem 25. Mai 2009