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04
03
2008

Andeutungen, nicht nur in Zeitungsartikeln, dass die Zeit zum Aufhören gekommen sei, tun ihm weh.

Charles Friedek – Ein tief verletzter Athlet – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung

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„Friedek, du machst noch Sport? Das fragen alle. Du bist 36 Jahre alt, warum hörst du nicht auf?“ Der Weltmeister im Dreisprung von Sevilla 1999 ist ein Athlet mit Vergangenheit, aber er sieht sich ganz entschieden nicht als Sportler von gestern. Weil er damit ziemlich allein zu stehen scheint, hat sich der Sechsunddreißigjährige selbständig gemacht auf dem Weg zu seinen vierten Olympischen Spielen.

Charles Friedek ist ein tief verletzter Athlet. „Wenn ich den allgemeinen Tenor aufnehme, hab ich meine beste Zeit hinter mir“, sagt er bei der deutschen Hallenmeisterschaft in Sindelfingen am vergangenen Wochenende.

Rudolf-Harbig-Preis für sein Lebenswerk

Andeutungen, nicht nur in Zeitungsartikeln, dass die Zeit zum Aufhören gekommen sei, tun ihm weh. Auch dass der Deutsche Leichtathletik-Verband ihm den Rudolf-Harbig-Preis praktisch für sein Lebenswerk verliehen hat, dürfte ein Wink mit dem Zaunpfahl gewesen sein. „Ich habe dazu gesagt, dass ich selber entscheide, wann ich meinen Hut nehme.“
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Friedek macht also weiter. „Ich tu doch keinem weh, oder? Ich bin eine Bereicherung im Dreisprung. Aber warum gibt es eine Tendenz, Sportler, die mit Liebe und Inbrunst bei der Sache sind, auch noch treten und schlagen zu müssen, wenn es ihnen nicht gutgeht?“, klagt er. „Man muss froh sein, dass es solche Einzelkönner gibt, die Beruf und Familie zurückstellen, um ihren Sport auszuüben.“

Einen eigenen Verein gegründet

Bei seinem alten Verein Bayer Leverkusen konnte Friedek nach dem Rückzug seines langjährigen Trainers Bernd Knut seinen neuen Trainer nicht durchsetzen. Ein Vereinswechsel hätte einen Umzug erfordert. Also gründete der Sportler gemeinsam mit seinem Trainingspartner Nils Winter, Weitspringer mit 8,21 Metern Bestleistung, mit seinem Freund Mohammed Charara, einem ehemaligen Sprinter und Bob-Bremser, mit seinem neuen Trainer Sebastian Hess und drei weiteren Freunden einen eigenen Verein.
Mal eben einen eigenen Verein gegründet: Dreispringer Friedek (l) und Weitspr…

 Der wie Friedek 36 Jahre alte Charara, in dessen Unternehmen für Telekommunikation und Softwareanwendungen Friedek als Geschäftsführer beschäftigt ist, dient dem Klub als Vorsitzender und hat ihm den Namen gegeben: Team ReferenzNetzwerk Leverkusen. Am Samstag sorgte Friedek mit dem Gewinn der deutschen Meisterschaft (mit 16,44 Metern), der vierzehnten seiner Karriere, dafür, dass sein Team zum ersten Mal in die Siegerlisten aufgenommen wurde.

Nicht nur am WM-Titel messen lassen

„Sindelfingen ist eine Etappe auf dem Weg“, sagt Trainer Sebastian Hess. „Die nächste Etappe ist, 17,10 Meter zu springen. Dann ist Charles für die Olympischen Spiele qualifiziert.“ Friedek empfindet es als ungerecht, ihn allein am Gewinn der Weltmeisterschaft vor fast neun Jahren mit einem Sprung von 17,59 Metern zu messen. Seine Karriere habe viele Höhepunkte, sagt er ungeduldig und erinnert, neben dem Gewinn der Hallen-Weltmeisterschaft ebenfalls 1999, an die Silbermedaille bei der Europameisterschaft 2002 und an 2005, als er der deutschen Nationalmannschaft im letzten Versuch den Gewinn des Europapokals bescherte.
 
Das Ziel: "schöne Wettkämpfe machen, gute Plazierungen machen, wieder reinkommen"

„Wenn man Athleten allein am Gewinn der Weltmeisterschaft messen wollte, hätten 99 Prozent der Teilnehmer an dieser Meisterschaft keine Daseinsberechtigung“, sagt er in Sindelfingen. „Das muss den Leuten mal in den Kopf reingehen: dass es darum geht, für sich selber das Maximum herauszuholen. Das muss nicht heißen, dass ich wieder 17,60 springe. Das heißt für mich: schöne Wettkämpfe machen, gute Plazierungen machen, wieder reinkommen.“

Beim Absprung das Achtfache des Körpergewichts

Auch den Abstand von mehr als einem Meter zu seiner Bestleistung von 17,59 Metern will Friedek nicht als Lücke und Vorwurf anerkennen. „17 Meter – das ist eine Weite, die niemand in Deutschland wirklich einstufen kann“, sagt er. „Das ist eine Weite, die außer mir vor 15 Jahren ein einziger deutscher Springer übertroffen hat.“ Ralf Jaros sprang damals deutschen Rekord mit 17,66 Metern.

An Tiefpunkten ist Friedeks Karriere nicht weniger reich. In einer Sportart, in der beim Absprung das Achtfache des Körpergewichts auf dem Fuß lastet, können Verletzungen nicht ausbleiben. Erfolg sei davon abhängig, wie groß das verletzungsfreie Fenster sei, sagt Friedek lapidar. Bei den Olympischen Spielen von Athen 2004 zog er sich eine Muskelzerrung zu und schied aus.

Schmerzen in Muskeln und Gelenken vergehen

„Viel schlimmer war es im Jahr drauf. Ich hatte wieder dasselbe Niveau erreicht, da wäre einiges möglich gewesen, und dann reiße ich mir bei der WM in Helsinki in der Qualifikation die Bänder ab“, erinnert er sich bitter. „Das war nicht schön, sechs Wochen in Gips zu gehen und zu lesen: ,Charles Friedek ist eine Lachnummer.'“

Schmerzen in Muskeln und Gelenken vergehen. „Wenn man die Kraft aufgebracht hatte, sich wieder in gute Form zu bringen, hatte man den körperlichen Defekt zwar überwunden, aber viel größer war eigentlich der seelische Schaden“, erinnert sich Friedek. „Man wusste, wie man abgeschrieben wird, was wieder über einen geredet wird. Man hatte das Gefühl: Ich habe jetzt alles verloren, was ich mir erarbeitet hatte. Und viele werden sich die Hände reiben. Leider funktioniert der Sport so.“ Am Samstag genoss er, wie das Publikum ihn mit rhythmischem Klatschen anfeuerte.

Michael Reinsch

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, dem 24.02.2008,  

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