Es gibt Juristen, die Chambers in einem Rechtsstreit mit BOA gute Chancen geben, aber Chambers weiß auch, dass er vorher etwas für sein Image tun muss
Brief aus der Dopingküche – Thomas Hahn in der Süddeutschen Zeitung – Mit den Worten des früheren Balco-Chefs Victor Conte erklärt Sprinter Dwain Chambers, wie er einst die Fahnder austrickste – auch um seine Kooperationsbereitschaft im Antidopingkampf zu dokumentieren.
Wenn der überführte Doper Dwain Chambers aus London zuletzt zu seiner zweiten Karriere als Sprinter sprechen sollte, bemühte er gerne diese Wendung mit den Beinen. Er wolle seine Beine sprechen lassen, sagte er, und tat das dann auch, vor allem bei der Hallen-WM in Valencia im März, bei der er trotz aller Kontroversen um seine Person Zweiter wurde.
Aber am Freitag haben ihm seine Beine nichts genutzt. Denn da hatte Chambers einen Termin beim britischen Sportbund, um seine Kooperationsbereitschaft im Antidopingkampf zu dokumentieren. Es war ein wichtiger Termin. Nach all seinen halbherzigen Erklärungen will Chambers endlich glaubwürdig nachweisen, dass er wirklich zur Aufklärung beitragen will nach seinem Fehler, ab 2002 bis zu seinem positiven Test auf das Designersteroid THG im Sommer 2003 Kunde des kalifornischen Doping-Labors Balco gewesen zu sein. Und damit er nichts Falsches sagte, hatte er einen Brief dabei. Einen Brief des früheren Balco-Chefs Victor Conte, der ein ziemlich detaillierter Werkstattbericht aus der amerikanischen Dopingküche ist.
"Das höchst entwickelte Dopingprogramm"
Chambers hat zuletzt versucht, beim Rugby-Klub Castlewood unterzukommen, was ihm ebensowenig gelang wie zuvor seine Bemühung, Football-Profi zu werden. Geradeauslaufen ist nunmal das, was er am besten kann. Chambers scheint endgültig verstanden zu haben, dass sein Heil im Sprint liegt, und peilt nach Aussage seines Anwalts Nick Collins nun auch einen Olympia-Start an, der ihm nach den Regeln des Britischen Olympischen Komitees (BOA) wegen seines Dopingvergehens lebenslang verwehrt ist.
Es gibt Juristen, die Chambers in einem Rechtsstreit mit BOA gute Chancen geben, aber Chambers weiß auch, dass er vorher etwas für sein Image tun muss. Also tritt er jetzt als eine Art Kronzeuge auf, wenn auch mit Contes Worten.
Conte listet in seinem Brief, den die BBC veröffentlichte, sorgfältig auf, was Chambers wann wie oft zu sich nahm, und gewährt aufschlussreiche Einblicke in den Alltag eines fachmännisch angeleiteten Dopers. Conte stellt "das höchst entwickelte Dopingprogramm der Sportgeschichte" vor, nach dem auch die längst entlarvten US-Sprinter Tim Montgomery (einst 100-Meter-Weltrekordler) und Kelli White (2003 Doppelweltmeisterin) funktionierten. Dazu gehört vor allem ein strikter Medikationsplan in der Vorbereitungsphase. Die Pharma-Aktivitäten vor der Saison umfassten den Gebrauch von THG, Testosteron, Epo, Wachstumshormon (HGH) und Insulin.
Montags und mittwochs THG
THG nahm Chambers laut Conte meist montags und mittwochs, wenn er die intensivsten Krafttrainingseinheiten der Woche hatte. "30 Einheiten der Flüssigkeit wurden unter die Zunge platziert im Rahmen des Morgenroutine." Warum? "Der Zweck war Heilung und Behebung von Gewebe-Schäden." Mit seiner Testosteron/Epitestosteron-Creme rieb sich Chambers bevorzugt dienstags und donnerstags die Unterarme ein. "Der Zweck war, die Unterdrückung des körpereigenen Testosterons durch den THG-Konsum auszugleichen und die Erholung zu beschleunigen."
Epo benutzte Chambers drei Mal pro Woche in den ersten 14 Tagen jedes Trainingszyklus’. Danach spritzte er die 4.000 Einheiten Epo einmal pro Woche, normalerweise mittwochs.
Auch die Frage, warum ein Sprinter ein Medikament einnimmt, das den Sauerstofftransport im Blut und damit die Ausdauer verbessert, erklärt Conte: Epo bringe "einen großen Vorteil für Sprinter, weil es sie befähigt, mehr Wiederholungen auf der Bahn zu machen und in der Vorbereitungphase einen viel größeren Trainingsumfang zu erreichen".
HGH nahm Chambers an drei Abenden pro Woche. Es sollte bei der Erholung nach sehr hartem Krafttraining helfen. Insulin spritzte er ebenfalls nach harten Krafttrainingseinheiten. Dazu nahm er einen Dextrose-Protein-Kreatin-Trunk. Es ging darum, Energie-Speicher aufzufüllen und das Muskelwachstum zu fördern. Und für die direkte Wettkampfvorbereitung hatte Chambers wiederum sein Modafinil und sein Liothyronin. Von dem – allerdings bisher nicht verbotenen – Schilddrüsenhormon Liothyronin nahm er zwei Tabletten à 25 Milligramm eine Stunde vor dem Rennen, um den Stoffwechsel anzuregen. Dazu eine 200-Milligramm-Tablette des Psychostimulans Modafinil.
Missed Test als Einladung
Dass das alles so gut funktionierte – Tim Montgomery etwa ist nie positiv getestet worden -, lag erstens daran, dass die verwendeten Substanzen seinerzeit nicht oder nur kurz nachweisbar waren; Chambers konnte nur positiv auf THG getestet werden, weil der Trainer Trevor Graham eine Spritze mit dem Mittel an das Antidopinglabor in Los Angeles geschickt hatte, um seine früheren Balco-Kollegen anzuschwärzen.
Zweitens schlüpften die Athleten fleißig durch die Lücken des Testsystems. Conte schreibt, dass die Sportler ihre Mailboxen voll sprachen, um von Fahndern nicht erreichbar zu sein. Dass sie bewusst falsche Ortsangaben machten und bei ihren Dopingzyklen genau den Zeitpunkt abpassten, wann sie sich einen Dopingtest leisten konnten. Auch die Missed-Test-Regel, nach der es sich ein Athlet zwei Mal erlauben kann, von Fahndern verpasst zu werden, beschreibt Conte als Einladung für Doper: "Athleten können weiter tarnen und täuschen, bis sie zwei Missed Tests haben, was im Grunde heißt, dass sie bis zu dieser Zeit weiter dopen können."
Conte saß nach dem Balco-Prozess vier Monate wegen Beihilfe zu Steroidvertrieb und Geldwäsche im Gefängnis. Heute hat er wieder einen Vertrieb für Nahrungsergänzungsmittel. Und so offensiv, wie er sich jetzt als Antidopingkämpfer anbietet, sieht er darin wohl auch eine Werbung für sein Geschäft. Trotzdem sind seine Einblicke wertvoll, nicht nur für Chambers.
Wilhelm Schänzer, Leiter des Kölner Antidopinglabors, sagt: "Es ist sicherlich sehr hilfreich zu sehen, in welchen Phasen die Verbindungen eingesetzt wurden."
Thomas Hahn in der Süddeutschen Zeitung, Sonnabend, dem 17. Mai 2008