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29
03
2022

Einer der Unterzeichner: Idriss Gonschinska, Vorstandsvorsitzender des Leichtathletik-Verbandes - Foto: DLV

Brandbrief an den DOSB: Blockierte Förderung im Spitzensport – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

Sportdirektoren aus deutschen Fachverbänden werfen der Dachorganisation vor, nur noch Controller zu sein. Schablonendenken, Kleinteiligkeit und Bürokratie destabilisiere selbst die Erfolgreichen.

Die Spitzensportreform, die der damalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière im Juli 2015 mit seiner Forderung nach einem Drittel mehr Medaillen bei Olympischen Spielen angestoßen hat und die zu erheblichen Veränderungen in den Strukturen des deutschen Spitzensports geführt hat, ist nach Überzeugung der Fachleute in den Verbänden weder sportlich noch struk­turell auch nur annähernd am Ziel.

Es fehle eine konsistente Gesamtkonzeption, be­klagen für den Spitzensport Verantwortliche aus einer Reihe von Verbänden. Schablonendenken, Kleinteiligkeit und Bürokratie bestimmten das Handeln. Dies destabilisiere sogar erfolgreiche Verbände.

Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB), dessen Präsident Thomas Weikert, Vorstandsvorsitzender Torsten Burmester und Spitzensportvorstand Dirk Schimmelpfennig den Brandbrief der Sportdirektoren am Freitag erhielten, will sich aktuell nicht zu den Vorwürfen äußern. Zunächst soll mit den Be­teiligten gesprochen werden. Unterzeichnet hat – mit sportlichem Gruß – eine bislang nicht an die Öffentlichkeit getretene Sprechergruppe der Sportdirektoren. Sie besteht aus Idriss Gonschinska, dem Vorstandsvorsitzenden des Leichtathletik-Verbandes, Jens Kahl, Sportdirektor des Kanu-Verbandes, Jörg Bügner vom Triathlon-, Axel Kromer vom Handball-, Richard Prause vom Tischtennis-, Jannis Zamanduridis vom Ringer-, Tino Koch vom Jujutsu- und Antje Franke vom Sporttaucher-Verband.

Keine Äußerungen zu den Vorwürfen: Der DOSB steht in der Kritik

Anlass zur Klage der Fachleute sind neue bürokratische Anforderungen von­seiten des DOSB im Hinblick auf Ver­bands­gespräche und Kaderkriterien. Für die Verbände ist unklar, wer den Spitzensport und dessen Förderung steuert. Die Rollenverteilung zwischen DOSB und Bundesinnenministerium, das den Spitzensport und die Verbände mit gut 300 Millionen Euro jährlich fördert, sehen sie als nicht geklärt an. Dem DOSB werfen sie ein verändertes Selbstverständnis weg vom Interessenvertreter und Unterstützer hin zum Controller vor. „Eine vorrangige Aufgabe des DOSB sollte sein, die Spitzenverbände auf dem Weg in die internationale Spitze zu unterstützen“, heißt es in dem Brief: „Nur so kann das globale Ziel Top 5 im Olympischen Sommersport und Top 3 im Olympischen Wintersport erreicht werden.“

Alarmierende Mängelliste

37 Medaillen, Platz neun im inoffiziellen, aber für die deutsche Spitzensport-Organisation maßgeblichen Medaillenspiegel setzten bei den Olympischen Sommer­spielen von Tokio 2021 (mit 10 Goldmedaillen, 11 aus Silber und 16 dritten Plätzen) einen Trend fort, den Niedergang trotz einer Verdopplung der Spitzensportförderung durch den Bund in­nerhalb von zehn Jahren. Auch deshalb plant das Innenministerium zur Verteilung der Millionen und zur Steuerung von dessen Einsatz eine von Sport und Staat unabhängige Spitzensport-Gesellschaft. Sie soll in diesem Jahr etabliert werden.

Der Plan läuft, obwohl er kaum gegen den Widerstand des DOSB realisiert werden dürfte, auf dessen Entmachtung hi­naus. Dies wirft ein Schlaglicht auf die Rolle Schimmelpfennigs, des starken Mannes im deutschen Spitzensport. Sein Vertrag läuft Ende des Jahres aus. Einer Verlängerung steht nicht nur der Umstand entgegen, dass der DOSB, sobald die Spitzensport GmbH existiert, kaum noch einen Vorstand für Leistungssport braucht. Der Vertrag kann nicht verlängert werden, solange eine Kommission das Verhalten des damaligen DOSB-Präsidenten Alfons Hörmann und seinem Team im Umgang mit anonymen Vorwürfen aus der DOSB-Belegschaft nicht be­wertet hat. Das ehemalige Vorstandsmitglied Karin Fehres war unter Druck ge­setzt worden, zuzugeben, den anonymen Brief verfasst zu haben, obwohl sie die Autorenschaft bestritt.

Die Sportdirektoren kommen auf eine alarmierende Mängelliste.

Dazu gehört, dass Förderung statt am Erfolg am Po­tential ausgerichtet sein sollte und dass Trainer verlässliche Arbeitsverträge und angemessene Entlohnung erhalten müssten. Sie fordern eine Beteiligung von Athletenvertretern an Strukturgesprächen, eine sachgerechte Konzentration der Stützpunktstruktur und die wissenschaftliche Unterstützung des Leistungssports. Diese Eckpunkte seien in großen Teilen inhaltsleer geblieben, schreiben sie.

Ihre Pointe: Die Liste stammt aus dem Konzept von DOSB und Innenministerium zur Neustrukturierung des Leistungssports. Die Mitgliederversammlung des DOSB hat sie 2017 beschlossen.

Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Sonntag, dem 27. März 2022

 

 

author: GRR