2015 IAAF World Championships Beijing, China August 22-30, 2015 Photo: Andrew McClanahan@PhotoRun Victah1111@aol.com 631-291-3409 www.photorun.NET
Bolt gewinnt über 100 Meter – Der richtige Sieger – Michael Reinsch, Peking in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Für Usain Bolt war es offensichtlich eine mächtige Anstrengung, etwas, das er beim Sprint noch nie gezeigt hat. Für die Welt der Leichtathletik, die sich am Sonntagabend im Vogelnest von Peking versammelt hatte, war es eine Riesenerleichterung.
Der jamaikanische Wunder-Läufer war im Sprint-Finale der Weltmeisterschaft wieder so gut in Form, dass er seinen amerikanischen Herausforderer Justin Gatlin besiegt hat. In 9,79 Sekunden war Bolt im Ziel des Vogelnests, so schnell wie im ganzen Jahr noch nicht.
Vom Startschuss weg war ihm die Anstrengung anzusehen: wie er auf Bahn fünf aus dem Startblock schnellte und seinen langen Körper entfaltete, wie er gleichauf mit den Konkurrenten darum rang in Tritt zu kommen, wie er den hauchdünnen Rückstand auf Gatlin zunächst mühsam hielt und dann, mit sichtbarer Anstrengung, überwand. Beide, Bolt in seinem gelben jamaikanischen Trikot mit schwarzen Streifen, Gatlin im roten Dress des Team USA auf Bahn sieben, warfen sich schon Meter vor dem Ziel der Linie entgegen, mit verzerrten Gesichtern, als seien sie am Ende ihrer Kräfte, als wollten sie die Anstrengung mit einem Sturz beenden.
„Man kann das Rennen rostig nennen“
Fast fiel Gatlin, fast war Bolt nicht die Hundertstelsekunde, die er brauchte, vor dem Mann im Ziel, der, zurückgekehrt von zwei Dopingsperren, zum personifizierten Bösen in der Welt der Leichtathletik geworden war, dem Schnellsten der Saison. Und so triumphierte Bolt im Ziel, mit geballten Fäusten, auch dies eine Geste, die man von ihm nicht kennt. „Man kann das Rennen rostig nennen“, sagte er später: „Ich hätte schneller rennen können. Dieser Titel bedeutet mir eine Menge. Es war eine lange Saison, und ich bin von einer Verletzung zurückgekommen.“
Zunächst waren es die jamaikanischen Fans allein gewesen, die seinen Namen skandierten, dann riefen die Mehrzahl der Fans auf der Haupttribüne: „Usain Bolt!“ Die Protagonisten umarmten sich in der Zielkurve, doch wenn das ihr Versuch war, ihr Duell in sportlichen Dimensionen zu halten, misslang er. Während Bolt, wie schon vor dem Start ganz der Beherrscher der Situation, eingehüllt in die grün-gelb-schwarze Flagge, die rote Bahn des Stadion abschritt und die Huldigungen des Volks entgegen nahm, klimperte der Superstar des Konzertsaals, der chinesische Pianist Lang Lang, auf einem Elektro-Klavier neben der Laufbahn wilde Akkorde.
Die Regie der Veranstaltung zeigte auf den Anzeigentafeln im Innenraum Bilder eines Feuerwerks: Ein Hurrah für Usain Bolt, den richtigen Sieger. Man mochte sich nicht das betretene Schweigen oder den deplatzierten Jubel vorstellen, den ein Sieg von Gatlin ausgelöst hätte. Der 29 Jahre alte Bolt, Besitzer aller drei Weltrekorde in den Sprint-Disziplinen, hat nun, zusätzlich zu seinen sechs Olympiasiegen, neun WM-Titel gewonnen. Wie es aussieht, hat er hier in Peking auch noch den über 200 Meter in Reichweite. Der Sieg mit der Staffel ist fraglich: vier Amerikaner, Gatlin, Bromell, Rogers und Gay waren im Finale schneller als der zweite Jamaikaner, Asafa Powell.
Jamaika gab dennoch den Ton an im Vogelnest. „One Love“ sangen die Fans zunächst a capella, den Song von Bob Marley mit der Zeile „Let‘s get together and feel allright“. Die Regie reagierte, indem sie das Stück im Original spielte, gefolgt von „You Can Get It If You Really Want“. Du kriegst, was du willst, wenn du wirklich willst. „But you must try, try and try…“ Hat Bolt vielleicht gewonnen, weil alle es so sehr wollten?
Welch ein Glück, dass Gatlin, der in Vorlauf und Halbfinale stets der Schnellste gewesen war – lediglich 9,77 Sekunden brauchte er im Semifinale, während Bolt nach einem Stolperer in 9,96 Sekunden fast zwei Zehntel langsamer war – dass der Amerikaner beim Start nur die siebtbeste Reaktionszeit hatte (0,165 Sekunden). Jedenfalls war der Olympiasieger von 2004 und Weltmeister von 2005 nicht auf und davon, als der jamaikanische Riese begann, sich nach einer Reaktionszeit von 159 Tausendstelsekunden aufzurichten und in Schwung zu kommen. Wie hätte die Sportart, die von Doping-Verdächtigungen an beinahe allen Fronten bedrängt wird, einen 33-jährigen feiern sollen, der schneller läuft als zu Zeiten, als er jünger und gedopt war?
Bolt gewinnt Finale über 100 Meter
Das chinesische Publikum, oft im Verdacht, sich nicht wirklich für Leichtathletik zu interessieren und die Leistungen von Ausländern zu ignorieren, war an diesem Abend hingerissen. Su Bingtian, der Usain Bolt Asiens mit zwei Kontinentalmeisterschaften auf beiden Sprintstrecken, lief im Halbfinale 9,99 Sekunden. Damit unterbot er seinen chinesischen Rekord und zog in der Qualifikation für den Endlauf mit dem Franzosen Vicaut und dem Amerikaner Bromell gleich.
Damit waren neun Läufer fürs Finale in dem gleißend erleuchteten Stadion unter dem Nachthimmel Pekings qualifiziert waren. „Su! Su! Su!“ schrien in einem machtvollen Crescendo die chinesischen unter den 50.000 Zuschauern. So klingt es, wenn eine Sportart einen Kontinent erobert.
Keine Angst vor der möglichen Niederlage
Und dann marschierten Polizisten auf und Ordner in Zivil, um die Zuschauerblöcke an der Zielgeraden vor einem Ansturm zu bewahren. Vielleicht galt dieser Schutz in Teilen auch Su. Doch Bolt übernahm, nachdem er als einziger Sprinter die Siegerehrung des polnischen Hammerwerfers Pawel Fajdek in respektvollem Stillstand abgewartet hatte, die Hauptrolle in der Show, die seine war.
Mit Blick in die Kamera mimte er eine Rasur seines strubbeligen Bartes. Nur zu Olympia tritt er glatt rasiert an. Er zitierte seine Pose des Blitzewerfers und er rollte mit den Augen, als Lang Lang wild auf dem Klavier herumklimperte. So verhält sich niemand, der Angst vor einer Niederlage hat.
Welch ein Finale: Weniger als zehn Sekunden nach dem Startschuss herrschte Harmonie in der Welt der Leichtathletik.
Michael Reinsch, Peking in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, dem 23. August 2015
Hier die Online-Petition zum Unterstützen gegen die DLV-LAUFMAUT:
Online-Petition "Stoppt die DLV-Laufmaut"
German Road Races e.V. (GRR) auf facebook:
https://de-de.facebook.com/germanroadraces
German Road Races e.V. (GRR) auf twitter:
https://twitter.com/germanroadraces