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2015

Bundesinnenminister Thomas de Maizière ©BMI - Bundesministerium des Innern - Henning Schacht

BMI – Kei­ne För­de­rung mehr für Sport­ar­ten mit Do­ping­pro­blem? Ein Interview mit Bundesinnenminister über die Olympischen Spiele, den Umbau der Spitzensportförderung und Doping.

By GRR 0

Herr Minister, schönen guten Abend.

Guten Abend.

Wir sind hier in Hannover bei der Mitgliederversammlung des Deutschen Olympischen Sportbundes, eine Woche nach dem Nein der Hamburger Bürger zu einer Olympia-Bewerbung für 2024. Die Stimmung ist schlecht, DOSB-Präsident Alfons Hörmann spricht von "Tagen der Wahrheit für den deutschen Sport". Herr de Maizière, was ist Ihre Wahrheit? Warum ist Olympia in Deutschland out?

Olympia ist nicht out. Wir bereiten uns auf die Olympischen und Paralympischen Sommerspiele in Rio vor. Es gibt nach wie vor eine große Olympia-Begeisterung. Junge Sportlerinnen und Sportler träumen davon, bei Olympia Medaillen zu gewinnen.
Aber ein großer Wunsch, Olympische und Paralympische Spiele in Deutschland durchführen zu können, das hat nicht realisiert. Man kann darüber rätseln, woran es gelegen hat. Das Ergebnis war knapp, verloren ist verloren, der Traum ist geplatzt und deswegen sollten wir natürlich jetzt schnell nach vorne gucken.

Aber nichts desto trotz: Man muss ja auch ein bisschen die Vergangenheit aufarbeiten. Und Fakt ist: Möglicherweise gibt es eine Olympia-Begeisterung, aber bitte schön woanders und nicht in Deutschland. Müsste man das nicht aufarbeiten?

Ich habe in meiner Rede vor der DOSB-Mitgliederversammlung verschiedene Fragen gestellt. Eine ist: Haben wir in Deutschland genügend Mut zu Neuem und zu großen Veränderungen? Oder ist es nicht so, dass wir, weil es uns so gut geht, sagen, Veränderung behindert unsere vielleicht Bequemlichkeit.

Die Mutlosigkeit der Bürger war der Grund?

Nein! Ich habe eine Betrachtung, warum große Projekte es in der Durchsetzung so schwer haben, und offenbar gibt es viele, die kritisieren, dass irgendein Autorennen in der Wüste stattfindet und Fußball-Weltmeisterschaften irgendwie in klimatisierten Hallen und sie gerne dabei sind zu kritisieren, wenn Olympische Spiele in Staaten stattfinden, deren demokratische Zuverlässigkeit nicht so hoch ist wie unsere, aber es besser zu machen, dann sich offenbar nicht richtig zutrauen. Das mag eine Rolle gespielt haben.

Dann die Frage: Haben wir jetzt Wichtigeres zu tun als Olympische Spiele, wenn wir so viele Flüchtlinge haben? Wie ist es mit der Terrorgefahr? Ist das nicht zu teuer? Wie hoch ist eigentlich die Glaubwürdigkeit der internationalen Spitzensportverbände? Können wir denen Olympische Spiele in Deutschland anvertrauen? Wie ist es mit den Finanzierungsanteilen zwischen Hamburg und dem Bund? Alle diese Fragen mögen eine Rolle gespielt haben. Darüber können dann gerne mal später Doktorarbeiten geschrieben werden. Es hilft nichts: Das ist das Ergebnis, das haben wir zu respektieren und jetzt gehen wir in die Spitzensportförderung und in die wichtige Rolle des Sports, ohne dass wir auf absehbare Zeit Gastgeber von Olympischen und Paralympischen Spielen sind.

Sie waren Teil der Olympia-Bewerbung. Insofern sitzen Sie mit im Boot. Ein Grund, der jetzt viel diskutiert wurde in den letzten Tagen, auch hier in Hannover, das war die Kostenfrage. Sie haben das Thema angerissen. Der Bund sollte nach dem Willen Hamburgs 6,2 Milliarden Euro Investitionskosten übernehmen. Sie haben diese Garantie aber nicht vor dem Bürgerentscheid gegeben. Für viele war diese ungeklärte Kostenfrage einer der Hauptgründe. Sind Sie schuld?

Ich weiß nicht, woher Sie wissen, dass das für viele einer der Hauptgründe war.

Haben uns mehrere Sportfunktionäre gestern gesagt, dass sie das so sehen.

Die Sportfunktionäre sind ja auch oft außerhalb Hamburgs und haben gar nicht mit abgestimmt. Es ist immer super bequem, jetzt Schuldige zu suchen, dann ist irgendwie die Welt wieder in Ordnung. Dass sechs Milliarden ziemlich viel Geld sind und 1,2 Milliarden für Hamburg auch, das ist ja irgendwie klar, und es gibt nicht nur Steuerzahler in Hamburg, sondern es gibt auch Steuerzahler in Frankfurt und München und im ländlichen Bereich irgendwo anders.
Vor allen Dingen war aber die Zeit zwischen der Erstellung eines Finanzkonzepts und dem Ergebnis von Verhandlungen zwischen dem Bund und Hamburg zu knapp. Deswegen teile ich die Einschätzung des DOSB-Präsidenten Hörmann, dass ein wirkliches Problem wahrscheinlich der Zeitpunkt des Referendums war. Sehr früh! Ein späterer Zeitpunkt hätte alle diese und andere Fragen vielleicht leichter erklären können.

Aber das war ja der Wunsch der Hamburger, so früh das Referendum zu machen.

Jetzt stellen Sie schon wieder eine Frage, die dann über die Agenturen, die dann rausgehen, zu dem Ergebnis kommen könnte, de Maizière kritisiert Hamburg, weil das Referendum zu früh war. – Nein! Ich möchte keine Schuldzuweisung machen, sondern ich möchte, dass wir jeder vor unserer eigenen Haustür kehren und jeder fragt, was hätte er und sie besser machen können, und nicht immer mit dem Finger auf andere zeigt. Der Sport hat genug zu tun, die Politik hat genug zu tun und wenn wir das jetzt gemacht haben, dann sollten wir mal nach vorne gucken.

Gut. Aber haben Sie ja noch nicht gemacht. Deswegen kehren wir vor Ihrer Tür. Hätten Sie nicht früher sagen können, alles klar, wir übernehmen so und so viel Kosten?

Die Kostenaufteilung war weit oberhalb von dem, was in München und Leipzig und in Garmisch zugesagt worden war. Aber bei allem Respekt vor den Zeitabläufen: Sie können nicht innerhalb weniger Wochen eine gesamtstaatliche Entscheidung über sechs Milliarden für Olympische Spiele treffen. Da hätten wir mehr Zeit gebraucht.

Waren Sie denn zufrieden mit der Art und Weise, wie die Hansestadt Hamburg mit der Kostenfrage umgegangen ist, zu sagen, wir machen ein riesiges Infrastruktur-Projekt hier für die Olympischen Spiele, zahlen aber nicht mehr als 1,2 Milliarden, Punkt, aus?

Das wäre auch Gegenstand der Gespräche gewesen. Dass jedenfalls eine Stadt versucht, Olympische Spiele nicht nur als etwas zu organisieren, was irgendwie zwei, drei Wochen dauert, sondern das einen nachhaltigen Struktureffekt für die Stadt und die Region hat, das ist doch legitim. Sonst kann man auch den Kritikern gar nicht entgegen, die sagen, warum gebt ihr so viel Geld aus für zwei Wochen. Das war übrigens in München ganz genauso. München lebt bis heute infrastrukturell von den Sommerspielen 1972. Die Frage ist immer nur, wer was bezahlt.

Und wer hätte es bezahlen sollen aus Ihrer Sicht?

Ja das ist eine müßige Frage, denn leider haben wir ja jetzt nicht Olympische Spiele.

Gut. Sie wollen es partout nicht beantworten. Deswegen lassen wir das jetzt mal bei Seite. Ist ja auch nur ein Faktor, hohe Kosten für Infrastruktur. Sie haben Sicherheitsbedenken angesprochen. Nur: Das alles war zum Beispiel vor zwei Jahren kein großes Thema. Haben Sie auch schon angerissen. Als es um die Winterspiele in München ging, da war ja die Infrastruktur größtenteils vorhanden. Am Ende stand trotzdem genauso wie heute ein Nein. Wird es nicht mal Zeit, dass sich der Sport grundsätzlich Gedanken macht über seine Probleme?

Zunächst ist es interessant, was Sie beobachten, dass das Ergebnis der Bürgerbefragung in München, Garmisch und Hamburg ähnlich war, obwohl andere Bedingungen diskutiert wurden.

Keine so schwierige Beobachtung.

Aber weil jetzt alle sagen, es lag an speziellen Hamburger Effekten – in München und Hamburg gab es andere spezielle Effekte und trotzdem war das Ergebnis ähnlich. Das ist ja eine interessante Beobachtung, die in der Öffentlichkeit meines Erachtens zu kurz kommt und möglicherweise damit zu tun hat, dass die Gründe eher außerhalb des Sports als innerhalb des Sports zu suchen sind.

Vielleicht sind sie auch gerade deswegen innerhalb des Sports zu suchen, weil der Bürger möglicherweise einfach keine Lust mehr hat, Sportorganisationen in sein Land zu lassen, die er als nicht ganz koscher ansieht.

Nun möchte ich mal gerne sagen: Wir ärgern uns alle über Skandale in Sportverbänden. Aber man darf jetzt das Kind auch nicht mit dem Bade ausschütten. Erstens sind es ganz überwiegend internationale Sportverbände, und auch da nicht alle. Der größte und bedeutendste, das IOC, ist gerade in einer großen Reform, um Glaubwürdigkeit wiederzugewinnen. Und genauso wie ich es falsch finde zu sagen, die Politiker – damit meint man Spitzenpolitiker genauso wie ein kleines Gemeinderatsmitglied -, sollte man auch nicht sagen, die Sportfunktionäre. Damit tut man vielen Unrecht.

Aber man kann ja sagen, die Sportorganisationen, die zum Beispiel einen Host-City-Vertrag vorlegen, der der Ausrichterstadt alle Risiken auferlegt und dem IOC Einnahmen definitiv garantiert, ohne sich an den Risiken zu beteiligen.

Auch da ist in der IOC-Reform einiges in Gang gekommen. Auch da haben die internationalen Sportminister entsprechende Beschlüsse gefasst.

Und es gibt eine Steuerbefreiung.

Es gibt eine Steuerbefreiung für solche großen Veranstaltungen, zum Teil auch für den Fußball. Das ist so. Das finde ich auch nicht schön. Aber da gilt: Wir können natürlich in unserer Sandburg bleiben und mit dem Fuß auf den Boden stampfen und sagen, alle anderen irgendwie verhalten sich falsch und nur wir verhalten uns richtig. Das Ergebnis wird nur sein, dass solche Veranstaltungen an uns vorbeigehen.
Und jetzt muss man mal sagen: Jetzt haben wir eine Abstimmung für Olympische und Paralympische Spiele knapp verloren. Aber wir kämpfen um die Europameisterschaft in Deutschland. Wir wollen, dass große internationale Europa- und Weltmeisterschaften in Deutschland weiterhin stattfinden. Das ist auch erfolgt, ohne Finanzskandale, mit fairen Wettbewerben, mit großem Erfolg, und das soll auch so bleiben.

Zum Beispiel eine Blankovollmacht beziehungsweise Steuerbefreiung jetzt für die EM-Bewerbung, die würde der Bund weiterhin geben?

Da gibt es internationale Regeln und Usancen und die werden auch für Bewerbungen anderer Disziplinen und insbesondere des Fußballs gelten wie bisher. Es gibt jetzt keinen neuen Zuschlag, keinen neuen Rabatt oder irgendwie etwas wegen des Themas Hamburg.

Sie haben die IOC-Reform angesprochen, die sogenannte Agenda 2020. Jetzt hat es nach dem Beschluss dieser Agenda schon einen Entscheid gegeben für die Winterspiele 2022. Den Zuschlag hat Peking bekommen. In der Agenda 2020 geht es vor allen Dingen um die Durchführung nachhaltiger Spiele. Jetzt gibt es in Peking weder Schnee, noch ein Skigebiet. Experten rechnen damit, dass die Kosten höher werden als in Sotschi 2014. Was sagt das über die Reformagenda von Thomas Bach aus?

Das müssen Sie erst mal den IOC fragen. Ich hätte mir gewünscht, wir hätten Olympische Winterspiele in München und Garmisch. Dann würden sich alle diese Fragen nicht stellen. Es ist leicht zu meckern über andere; es ist schwerer zu sagen, wir machen es selbst und besser.

Aber es gab ja durchaus einen Bewerber, der eine relativ nachhaltige Bewerbung auf den Weg gebracht hat. In Almaty gibt es zumindest Schnee und Berge, was ja ein nachhaltiges Kriterium zumindest ist für die Durchführung Olympischer Winterspiele, und das IOC hat trotzdem anders entschieden, obwohl sie eine Reformagenda 2020 haben.

Ich kann jetzt nicht in die Köpfe der IOC-Mitglieder gucken, aber ich finde, für Winterspiele hätte ich mir noch ein paar andere Bewerber dazu gut vorstellen können, wenn ich mir die Bedeutung des Wintersports in vielen Ländern angucke.

DOSB-Präsident Alfons Hörmann hat hier in Hannover bei der DOSB-Mitgliederversammlung deutlich mangelnde Unterstützung durch die Politik für den Sport beklagt.

Nein.

Doch, hat er gemacht.

Dann waren Sie in einer anderen Veranstaltung.

Nein, ich war absolut in der gleichen Veranstaltung wie Sie. Sie wissen das auch ganz genau. Können Sie das nachvollziehen?

Nein, nein. Herr Hörmann hat in einer bemerkenswerten Rede, die ich nicht zu jedem Element teile, aber es war eine starke Rede, sehr viel Selbstkritik am Sport gemacht und hat auch kritische Anmerkungen an die Politik gemacht und hat sehr richtig gesagt, wir müssen jetzt alle Schwachstellen nach seiner Meinung, die es gibt, im Sport, im nationalen, im internationalen, in der Politik, die müssen wir jetzt in Ruhe analysieren. Aber zu sagen, dass der Kernbereich seiner Rede irgendwie eine Kritik der Kern sei …

Ich habe das Wort Kern nicht benutzt.

.., das jedenfalls habe ich so nicht gehört.

Da muss ich jetzt zwei Fragen anschließen.

Gerne!

Zum einen: Wo hat er genau Selbstkritik geübt? Ich habe jetzt im Hinterkopf gehabt, dass er gesagt hat, wir müssen uns viele Fragen stellen, und wenn ich mir alle diese Fragen stelle, komme ich zum Schluss, ich würde alles genauso wieder machen. Wo ist da die Selbstkritik?

Nein. Er hat bei der Frage der Bewerbung für die Olympischen und Paralympischen Spiele Hamburg gesagt, er würde das wieder so machen, mit einer sehr wichtigen Ausnahme, nämlich dass der Zeitpunkt zwischen dem Finanzkonzept oder überhaupt der Bewerbung und dem Referendum zu kurz war. Er hat dann sehr viele selbstkritische Punkte angesprochen, zum Beispiel: Wie ist der Einfluss deutscher Spitzenfunktionäre in internationalen Sportorganisationen? Hätte man da früher gucken können? Hätten sie sich früher wehren können? Warum sind es überhaupt so wenig? Wie geht die Öffentlichkeit damit um auch im Sport und all das? Das fand ich sehr kritische Anmerkungen, sehr offene auch. Das wird ihm auch Kritik eintragen von den Betreffenden, aber das ist so.

Was die Politik angeht, so hat er unterstrichen, dass wir gemeinsam die Reform der Spitzensportförderung begehen wollen. Er hat den Verdacht geäußert wegen einer Internet-Veröffentlichung des BISp, dass es irgendwie eine Art Dominanzanspruch geben könnte der Politik gegenüber dem Sport. Das habe ich unverzüglich dementiert. Er hat sich bedankt für die erhöhten Zuwendungen im Spitzensport, aber eine Zuwendung in Höhe von drei Millionen für ein bestimmtes Projekt kritisch diskutiert. Ich meine, wo, wenn nicht auf einer Mitgliederversammlung, soll man differenziert Lob und Tadel verteilen als hier. Das hat er gemacht.

Wie geht es weiter in Deutschland mit dem Spitzensport, Herr de Maizière? Sie haben angesprochen die Spitzensportförderung. Ist es nicht möglicherweise sogar eine Chance für den deutschen Sport, jetzt, wo ein so warmer Mantel einer Olympia-Bewerbung wegfällt, dass man mal grundsätzliche Fragen auch stellen kann, was für einen Spitzensport wollen wir?

So sehe ich das auch. Ich habe ja vielen Ihrer Fragen widersprochen. Hier will ich ausdrücklich dem zustimmen. Wir machen ein richtiges Gespräch und das finde ich auch gut so. – Die Idee, die Spitzensportförderung zu verändern, ist ja jetzt nicht jetzt entstanden, sondern sie ist vor etwa neun Monaten entstanden durch ein gemeinsames Gespräch, was Herr Hörmann und ich hatten, und auf folgender Analyse beruhte. Wir geben relativ viel Geld aus für den Spitzensport, und zwar nicht nur aus dem Geschäftsbereich des Innenministeriums, sondern wenn Sie die ganzen Personalstellen von Bundeswehr, Zoll und Bundespolizei addieren und was die Länder an Infrastruktur zur Verfügung stellen, ist das ziemlich viel Geld. Und das ist Spitzensportförderung. Und die Frage stellt sich, warum, obwohl die Mittel gleich geblieben oder erhöht worden sind, warum eigentlich jedenfalls die Leistungen der Spitzensportler nicht besser, sondern gleichbleibend oder schlechter geworden sind. Nun kann man sagen, andere Nationen haben mehr gemacht. Das ist so.

In jeder Hinsicht möglicherweise.

Und auch vielleicht in einer Hinsicht, die wir nicht billigen oder nicht teilen, oder durch totale Spezialisierung auf eine bestimmte Sportart, wo es viele Medaillen gibt. Aber selbst wenn man das in Rechnung stellt, bestand die Gefahr, dass wir ins Mittelmaß abrutschen. Deswegen haben wir uns vorgenommen zu versuchen, ob wir nicht durch Veränderung der Spitzensport-Förderstrukturen und dann gegebenenfalls auch mit Geld wieder in die Spitzengruppe reinkommen können.

Wie definieren Sie Mittelmaß beziehungsweise Spitzengruppen im Spitzensport? Sie haben gesagt, das haben Sie auch heute wieder bekräftigt, Sie haben es in einem Interview vor ein paar Monaten gesagt, deutsche Athleten holen gemessen an der Wirtschaftskraft und an der Sporttradition ein Drittel zu wenig Medaillen. Oder umgekehrt: Wir könnten ein Drittel mehr Medaillen holen. Also es geht um Medaillen?

Das war auch jetzt nicht allein meine Idee, sondern das war berichtet aus den Gremien, die wir haben. Wenn man die Spitzensportförderung verändert, braucht man ja ein Ziel. Und wenn das Ziel ist, wir bleiben so gut wie wir sind, dann sollten wir es gar nicht erst anfangen, sondern wir wollen besser werden. Und was ist der Maßstab für bessere Leistung im Spitzensport? Das sind Spitzenplätze und das heißt nun mal Medaillen im Sport. Die Sportler haben das übrigens am wenigsten kritisiert, sondern eher diejenigen, die ohnehin schon kritisch sind gegenüber der Spitzensportförderung.
Wir sind jetzt so weit, dass wir die Analyse halbwegs abgeschlossen haben, und jetzt gehen wir in die Phase der Konzepte und wir wollen dann ein Konzept vorstellen nach Abschluss der Olympischen Sommerspiele in Rio.

Da müsste ich Ihnen jetzt mal widersprechen. All die Sportler, und zwar wirklich durchgehend all die Sportler, mit denen wir sprechen, die haben auf diese Forderung gesagt, oder auf diese Bestandsaufnahme – nennen Sie es wie Sie es wollen -, weiß der eigentlich gar nicht, was los ist international, wie kann er das fordern. Das war das, was uns viel gespiegelt wurde jetzt in den letzten Monaten, gerade auf diese ein Drittel mehr Medaillen Äußerung.

Dass die Spitzensportler gesagt haben, wir sind zufrieden mit dem Rang der Spitzensportnation Deutschland in der Welt, da habe ich aber keinen getroffen. Dass es viele gibt, die Sorgen haben, dass andere Staaten – ich will jetzt gar keine Regionen nennen, aber manche auch östlich von uns – durch eine besonders spezielle Form von Spezialisierung oder auch unter Einbeziehung vielleicht von nicht ganz sauberen Methoden versuchen, da bestimmte Spitzenleistungen zu erbringen, das ist wahr. Das kann uns aber nicht davon abhalten, besser zu werden als wir sind.

Aber erhöht man dann nicht den Druck an Sportler, sich international anzupassen? Wir wissen, dass es Sportarten gibt, wo das Doping-Problem so groß ist, dass man fast von einem flächendeckenden Doping sprechen kann, Stichwort Leichtathletik.

Wir wollen keinen Erfolg um jeden Preis. Wir haben gerade ein Anti-Doping-Gesetz verabschiedet, was, glaube ich, auch ein klares Zeichen gegen Doping ist.

Aber widerspricht sich das nicht?

Nein. Ich halte das für eine Ergänzung und für eine notwendige Ergänzung. Wir werden Eltern nicht dazu bringen, ihre Kinder auf ein Sportinternat zu tun, schulische Leistungen vielleicht nicht ganz ernst zu nehmen wie sportliche Leistungen, das Kind jeden Tag zum Training zu bringen und abzuholen, mit Verletzungen gegebenenfalls rechnen zu müssen, wenn diese Eltern Sorge haben, dass ihr Kind zwischendurch gedopt wird und hinterher ein seelisches oder körperliches Wrack ist. Das werden wir nicht hinkriegen, jedenfalls nicht in Deutschland, und das wollen wir auch nicht. Deswegen ist Sauberkeit des Sports und auch die Integrität des Sports – Stichwort Sportwetten und vieles andere mehr – eine Erfolgsgrundlage für erfolgreichen Spitzensport in Deutschland, nicht umgekehrt.

Müsste man nicht aber trotzdem angesichts der Situation, der internationalen Situation auch möglicherweise sagen, wir machen uns völlig unabhängig davon? Wir sehen zu, dass unsere Athleten, die ja eh sehr ehrgeizig sind, weil sie Spitzensport machen, sich so gut entwickeln können wie es geht, und dann schauen wir mal?

Ja. Wir können uns dann unabhängig machen, wenn wir darauf uns konzentrieren, deutsche Meisterschaften auszurichten und stolz darauf sind, wer deutscher Meister geworden ist, und lassen Die Welt die Welt sein. Ich halte das nicht für richtig. Sport ist international, die olympische Idee ist international, wir wollen, uns mit den Besten der Welt messen. Wir müssen dafür kämpfen, dass auch der internationale Sport sauber bleibt. Vielleicht muss man auch auf bestimmte Disziplinen verzichten, wo es strukturell jedenfalls vielleicht einen höheren Verdacht gibt, dass gedopt wird, als andere. Das mag alles sein. Aber dass wir uns zurückziehen auf uns selbst, das geht weder im Sport, noch in der Wirtschaft, noch in internationaler Verantwortung bei Sicherheits- und Außenpolitik. Das ist eine Lektion der Öffnung nach der deutschen Teilung und der Überwindung der Teilung Europas. Deutschland ist Teil der Welt und Deutschland muss internationale Verantwortung übernehmen. Und wenn wir dabei sein wollen, dann sollten wir auch dabei sein auch im Sport.

Mit anderen Worten, wenn ich das jetzt richtig verstehe: Der Sprinter, der sich in Deutschland möglicherweise – wir wissen es nicht – zu sauberen Leistungen bekennt, sagt, ich will sauber meine Leistung bringen, der vielleicht sogar deutschen Rekord läuft, nebenbei arbeitet, aber dann mit 10,03 Sekunden, sage ich jetzt mal, im Halbfinale von Olympischen Spielen ausscheiden würde, weil die Weltelite unter zehn Sekunden läuft, der hat dann schlechte Karten, der wird in Zukunft nicht mehr gefördert?

Nein. Wenn wir einen Spitzensprinter hätten, der ins Halbfinale der Olympischen Spiele käme, wäre das ein riesengroßer Erfolg. Wenn wir aber über drei Olympische Winterspiele beim Rodeln, beim Bob und beim Biathlon nie wieder eine Medaille gewinnen, dann müsste man über Förderung nachdenken.

Sie haben gesagt, wir wollen uns international messen. Die Spitzensportler auch heute in deutscher Tradition sind ein Stück weit Diplomaten in Trainingsanzügen wie damals in der DDR für Sie?

Nein, sie sind Vorbilder nach innen und außen. Und wenn es eine Sportlerin oder ein Sportler schafft, gerade international auf saubere Weise eine Medaille oder einen herausragenden Platz zu gewinnen, dann tut das auch Deutschland gut. Ich verwende gerne folgendes Beispiel: Wenn bei Weltmeisterschaften, bei Olympischen Spielen die Siegerehrung ist, dann wird ja für den ersten Platz nicht das Logo des Sponsors gezeigt oder irgendetwas Kommerzielles gezeigt, sondern dann wird die Nationalhymne gespielt. Das bedeutet, auch nach außen hin ist Spitzensport zu einem Teil Repräsentanz eines Landes nach außen. Das ist so. Das war seit Jahrhunderten so. Das ist auch gar nicht anrüchig, dass Nationen im Wettstreit miteinander stehen, und zwar friedlich, und das steht uns gut zu Gesicht. Das motiviert auch junge Menschen und deswegen finde ich das nicht anstößig, sondern gut.

Jetzt ist der internationale Spitzensport sicherlich in einer schwierigen Situation. Wir haben es ja jetzt schon mehrfach angesprochen. Viele Eltern stellen sich grundsätzlich möglicherweise die Frage: Ist es überhaupt erstrebenswert für mein Kind,, Spitzensport zu machen? Oder noch anders gefragt: Ist es überhaupt erstrebenswert für den Staat, Spitzensport zu fördern?

Die Eltern machen es ja, wenn sie ihre Kinder ermuntern, das zu tun, hoffentlich nicht nur für den Staat, sondern auch für sich und für das Kind. Ein gesunder Ehrgeiz ist auch gut. Ein übertriebener Ehrgeiz, wie wir das ja auch erlebt haben bei Sportlern und Eltern von Sportlern, ist natürlich nicht gut. Das tun sie schon für sich, das finde ich absolut in Ordnung.
Richtig ist allerdings – und das gilt weit über den Sport hinaus -, dass jede Form von Hochleistung auch ein vom Durchschnitt abweichendes Leben verlangt. Sie können nicht eine Spitzengeigerin werden mit zehn Minuten Üben am Tag. Sie können nicht ein Spitzeningenieur werden, ohne dass Sie nicht fleißig arbeiten. Sie können kein Hochleistungssportler werden, ohne dass Sie nicht in irgendeiner Weise – und zwar vielleicht über zwei oder zweieinhalb Jahrzehnte – Ihr Leben in den Dienst dieser Sache stellen. Und ich finde, wir brauchen Spitzenleistungen als Deutschland nicht nur im Spitzensport, sondern in anderen Bereichen. Das heißt, wir müssen diejenigen, auch die Eltern ermutigen, die sagen, ja, ich habe da ein begabtes Kind, das kann gut Klavier spielen, das kann gut Sport machen, das kann gut Rechnen, und das wollen wir mit dieser Begabung fördern. Durchschnitt ist der Feind jeder Spitzenleistung.

Aber dennoch, Herr de Maizière. Angenommen, sie hätten ein Kind mit einer sportlichen Spitzenbegabung in bestimmten Sportarten. Oder anders gefragt: Gibt es eine bestimmte Sportart, wo Sie möglicherweise jetzt sagen würden, angesichts der Situation in dieser Sportart, olympische Sportart, lieber nicht?

Da fielen mir schon welche ein. Aber wenn ich sie jetzt nennen würde, dann ahne ich schon wieder, dass ich Protestbriefe vom Verband kriege. Deswegen lasse ich es lieber.

Nur zu! Wir schneiden es möglicherweise raus.

Nein, nein. Ich will es bei der Formulierung mal bewenden lassen, dass es bestimmte Sportarten gibt, wo auch viele Mediziner sich fragen, ob es mit normalen Umständen überhaupt möglich ist, solche Leistungen zu bringen. Die stehen mehr auf dem kritischen Prüfstand als andere.

Das heißt alle Ausdauersportarten?

Nicht alle Ausdauersportarten. Es ist schon ein Unterschied, ob Sie die Tour de France mitfahren, jeden Tag die Berge hoch bei großer Hitze, oder ob Sie ein Einzelzeitfahren bei Olympischen Spielen machen. Das ist schon ein großer Unterschied.

Okay. Wir bleiben mittelbar beim Thema Doping. Der Bund hat auf Ihre Initiative hin einen neuen 10,5 Millionen Euro Hilfsfonds für die Doping-Opfer der ehemaligen DDR aufgelegt. In Ihrer Rede haben Sie das noch mal betont und gleichzeitig an den Sport appelliert, ebenfalls der Verantwortung des Sports gerecht zu werden, mit wie auch immer gearteten Hilfszahlungen an die Opfer. Aber der Sport hat darauf gar nicht reagiert. Sind Sie enttäuscht?

Kann ja noch kommen und ich habe auch ganz positive Signale aus dem Sportausschuss durch den DOSB gehört. Notfalls machen wir das auch alleine, weil das schon ein gesellschaftliches Anliegen ist.

Würden Sie dann noch erhöhen?

Aber ich finde es schon richtig, dass der organisierte Sport überlegt, wie sein Beitrag sein könnte. – Was heißt erhöhen? Das ist ja kein Schadensersatz. Was wir hier versuchen ist, in Fortsetzung einer abgeschlossenen Maßnahme von früher einen solchen Doping-Opferfonds wieder aufzulegen. Es soll eine Geste sein, eine bestimmte Summe, mit der man versucht, Schaden ein bisschen wiedergutzumachen. Das, glaube ich, ist geboten, wenn man sieht, dass bestimmte Spätfolgen durch Krankheiten, die sonst nur alte Menschen bekommen, auftreten: Zittern, Krebs, alles Mögliche andere. Dann, finde ich, ist es an der Zeit, auch 25 Jahre nach der deutschen Einheit dieses Kapitel noch einmal aufzurufen, dann allerdings auch zu beenden. Das war ein vom Staat organisiertes Doping, aber zum Dopen gehören auch immer zwei, nicht nur der, der das anordnet oder vorbereitet oder fördert, sondern auch einer, der es nimmt, der auch verdeckt. Wie viele Pillen sind einfach Mädchen gegeben worden, ohne zu sagen was das ist?

Es wurde ja teilweise sogar auch mehr gegeben.

Vielleicht wurde auch von den Trainern und so weiter mehr gegeben und all das. Man kann jetzt nicht sagen, das war der Staat und der Sport hat damit nichts zu tun. Deswegen fände ich es schon gut, wenn wir da noch einen Schritt vorankommen. Aber trotzdem bleibt die Aufgabe auf jeden Fall richtig und notwendig.

Jetzt haben Sie gesagt, Sie haben positive Signale bekommen bei der Sportausschuss-Sitzung. Vor einigen Wochen war das. Wir haben seitdem, ehrlich gesagt, nur totale Verweigerung gehört. Was macht Sie tatsächlich optimistisch, dass da ein Umdenken wie auch immer geartet stattfindet, beziehungsweise haben Sie irgendwelche Druckmittel? Wie gehen Sie in diese Verhandlungen mit dem Sport rein?

Nein, ich habe kein Druckmittel. Ich möchte jetzt auch nicht die Leistungssport-Förderung reduzieren, damit wir Doping-Opfern helfen. Das würde ja nur neue Gräben aufreißen. Ich finde, dass darüber einfach noch mal weiter gesprochen werden muss.

Und da sind Sie tatsächlich zuversichtlich, dass es da irgendwann zu einer Lösung kommt? Heute gab es ja noch nicht mal gar keine Anmerkung. Es gab zu vielen Sachen Anmerkungen auf das, was Sie gesagt haben; dazu gar nicht.

Ich bin einfach mal ein zuversichtlicher Mensch. Das hat mir der liebe Gott mitgegeben.

Damit sind wir tatsächlich schon am Ende angelangt dieses Sportgesprächs mit dem Bundesinnen- und damit auch Sportminister Thomas de Maizière. Herr de Maizière, vielen Dank.

Ich bedanke mich auch für das Gespräch und es war ja auch ein richtiges Gespräch.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Quelle: BMI – Bundesministerium des Innern

Bundesministerium des Innern

Deutschlandradio.de / 06.12.2015 (das Interview führte: Philipp May)

Ein Interview mit Bundesinnenminister über die Olympischen Spiele, den Umbau der Spitzensportförderung und Doping.

author: GRR

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