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2010

Diese Leichtathletikweltmeisterschaft gehört für mich zu den großen Akzenten, wenn wir in diesem Jahr das Geschenk der Freiheit vor zwanzig Jahren feiern: im vereinigten Berlin, im vereinigten Deutschland, im gemeinsamen Europa, in der einen Welt.

BISCHOF DR. WOLFGANG HUBER PREDIGT IM GOTTESDIENST ZUR ERÖFFNUNG DER LEICHTATHLETIKWELTMEISTERSCHAFT – BERLINER DOM, 13. AUGUST 2009, 18.00 UHR

By GRR 0

Wisst ihr nicht, dass die, die in der Kampfbahn laufen, die laufen alle, aber einer empfängt den Siegespreis? Lauft so, dass ihr ihn erlangt. Jeder aber, der kämpft, enthält sich aller Dinge; jene nun, damit sie einen vergänglichen Kranz empfangen, wir aber einen unvergänglichen. Ich aber laufe nicht wie aufs Ungewisse; ich kämpfe mit der Faust, nicht wie einer, der in die Luft schlägt, sondern ich bezwinge meinen Leib und zähme ihn, damit ich nicht andern predige und selbst verwerflich werde.
(1. Korinther 9, 24-27)

I.
„On your marks“ – -„get set“ – – „go!“
Diese drei kurzen, klaren und unmissverständlichen Ansagen werden in den nächsten Tagen im Berliner Olympiastadion immer wieder von der blauen Tartanbahn aus zu hören sein. Der Schuss der Startpistole hat das „go!“ als letztes Signal allerdings schon längst übertönt und abgelöst.

Nichts ist durchdringender als dieser Schuss. Er geht durch Mark und Bein. Noch in der letzten Reihe des Oberrings ist er im Stadion zu vernehmen. Erst recht elektrisiert er auf der Bahn, wenn der Kampfrichter direkt neben einem steht. Sein Impuls bringt den Körper des Athleten mit aller Kraft in Bewegung. Noch vor einigen Minuten hatte er die Nervosität mit Lockerungsübungen zu überwinden gesucht. In seinen eigenen Ritualen hatte er sich um den Startblock bewegt, bis die Aufforderung erklang: „On your marks“. Dann kauerte er sich
in den Startblock, wo schon bei dem Signal „get set“ die Spannung im Körper unübersehbar wurde.

Und dann der durchdringende Schuss.

Aus dem Sportunterricht in der Schule ist mir noch das Geräusch der Startklappe im Gehör. Sie krönte die Worte: „Auf die Plätze!“, „Fertig!“ „Los!“ und entfesselte bei uns schon damals die aufgestaute Energie der Jugend, die sich dann auf den folgenden 100 oder 200 Metern in mehr oder minder achtbarer Geschwindigkeit entlud.

All diese Impulse, all diese Signale haben nur ein Ziel: Jeder von denen, die dort starten, soll die gleichen Startbedingungen haben. Mit dem Startschuss beginnt der Wettlauf darum, das Ziel möglichst schnell zu erreichen. Fairness muss gelten. Und deshalb gilt hier: Wer zu früh kommt, den bestraft das Leben. Mit dem Startsignal schießt jeder so schnell wie möglich aus dem Startblock. Aber erst auf den folgenden Metern zeigt sich, wer die meiste Schnelligkeit in den Lauf bringt und wer in Schönheit oder Schmerz auf der Strecke bleibt.

Professionell vorbereitet sind alle, die an dieser WM teilnehmen. Jeder, der zu dieser WM angereist ist, hat eine lange Trainingsphase hinter sich. Jeder, der hier in Berlin an den Start geht, hat sich über Jahre hin seiner Disziplin verschrieben, ist in seinem Sport gewachsen, hat sich Schritt für Schritt durch ausgeklügelte Trainingsmethoden und Ernährungsprogramme fit gemacht. Ohne eine solche intensive Vorbereitung ist eine
Spitzenleistung nicht denkbar.

Die Trainingsmethoden haben sich gewandelt. Die körperliche Vorbereitung hat auch manche Grenzen überschritten. Dass der Sport von Doping gereinigt wird und davon frei bleibt, ist eine der wichtigsten Aufgaben für die Zukunft des Sports. In anderer Hinsicht aber sind die Wettkämpfe genauso wie eh und je: Egal zu welcher Zeit jemand Leistungssport getrieben hat, immer musste er für den Sieg zuallererst gegen sich selbst kämpfen. Bevor man auf einen Gegner trifft, ist die eigene Trägheit, die eigene Schwäche zu überwinden.
Der Kampf gegen sich selbst ist die entscheidende Voraussetzung dafür, den Kampf auch gegen andere zu gewinnen.

II.
Schon der Apostel Paulus wusste dies
, wenn er der Gemeinde in Korinth schreibt: „Wisst ihr nicht, dass die, die in der Kampfbahn laufen, die laufen alle, aber einer empfängt den Siegespreis? Lauft so, dass ihr ihn erlangt. Jeder aber, der kämpft, enthält sich aller Dinge; jene nun, damit sie einen vergänglichen Kranz empfangen, wir aber einen unvergänglichen.

Ich aber laufe nicht wie aufs Ungewisse; ich kämpfe mit der Faust, nicht wie einer, der in die Luft schlägt, sondern ich bezwinge meinen Leib und zähme ihn, damit ich nicht andern predige und selbst verwerflich werde.“

Sportlich war der Apostel Paulus nach allem, was wir wissen, nicht. Als unansehnlich galt er. Klein und untersetzt war er von Gestalt, von Krankheit gezeichnet, so wird er geschildert – und so schildert er sich selbst. Dass der Apostel Sport getrieben hat, halte ich, wenn Sie mir den Vergleich gestatten, für genauso unwahrscheinlich wie im Fall von Winston Churchill, von dem kein Zitat berühmter geworden ist als sein unnachahmliches: No sports.
Aber offenbar interessierte Paulus sich für den Sport seiner Zeit.

Mit wenigen Strichen konnte er ihn genau schildern. Zwei Sportarten stellt er uns vor Augen: den Wettlauf und den Faustkampf. Den Wettlauf muss man sich als einen Lauf über knapp zweihundert Meter vorstellen. Im antiken Olympia umfasste das Stadion eine Laufstrecke von 186 Metern. Viele schauen zu. Genau wie heute. Sie achten auf die Schönheit der Läufer genauso wie auf ihre Schnelligkeit. Nicht nur gut soll der Sieger sein, sondern auch schön.

Für beides erhält er dann den Siegerkranz. Der mag anschließend wieder verwelken; im Augenblick des Sieges ist er zeitlos schön.

Schon Paulus also wusste, dass der Wettkampf selbst im Vergleich zur Länge der Vorbereitung verschwindend kurz ist. Über 100 Meter brauchen die schnellsten Läufer der Welt weniger als 10 Sekunden. Nur wer darin mehr sieht als den Erfolg des Augenblicks, kann diese Art von Schinderei auf sich nehmen. Enthaltsamkeit nennt der Apostel Paulus diese Art von Schinderei. Das war noch zu Zeiten, in denen man seine Leistungsfähigkeit allein durch Askese stählte; von Doping war noch keine Rede.

Keinen Zweifel lässt er daran, was er mit dieser Askese meint. Wer siegen will, „enthält sich aller Dinge“. Dass der Apostel dabei nicht nur Essen und Trinken eingeschlossen sehen will, ist klar. Enthaltsamkeit gilt ihm als Weg zum sportlichen Erfolg.

Sportlerinnen und Sportler sind heute öffentliche Personen. Ihr Ruhm gehört zum begehrtesten, was unsere Mediengesellschaft zu vergeben hat. Aber dieser Ruhm ist vergänglich. Diese Diagnose des Paulus trifft auch heute noch zu: Jene erhalten einen vergänglichen Kranz, wir aber einen unvergänglichen.
 
III.
Gibt es das überhaupt, einen unvergänglichen Siegerkranz?
Lohnt es sich, über den vergänglichen Ruhm hinaus zu denken, der nun einmal das Höchste ist, was Menschen aus eigener Kraft erlangen können?

Es gibt einen solchen Kranz: Er ist nicht das Kennzeichen für einen vergänglichen Ruhm, sondern für eine unverlierbare Würde. Er verdankt sich nicht unserer menschlichen Kraft, sondern der Güte Gottes. Er ist nicht einem einzigen vorbehalten, sondern wird uns allen angeboten. Wer diesen Siegerkranz erhält, braucht dafür keinen andern auf einen zweiten Platz zu verweisen. Dieser Siegerkranz wird reichlich vergeben. In der Taufe ist er uns bereits verliehen worden.

In vielen unserer brandenburgischen Dorfkirchen findet sich ein besonderes Ausstattungsstück: ein Taufengel. An einem Seil hängt er von der Decke herab, schwebend hält er die Taufschale. Wenn eine Taufe ansteht, kann man ihn hinunterziehen, das Taufwasser in die Schale geben und die Taufe vollziehen. Wird er nicht gebraucht, so schiebt man ihn wieder in die Höhe; der Platz in der eng bemessenen Dorfkirche ist wieder
frei. Ein austariertes Gegengewicht sorgt dafür, dass der Engel in jeder gewünschten Höhe schwebt.

Manche dieser Engel aber halten nicht nur die Taufschale in der einen Hand. In der anderen Hand halten sie einen Siegerkranz. Ich habe mich schon immer gefragt, woher diese Verbindung von Taufschale und Siegerkranz stammt. Dabei ist die Antwort doch so einfach. Sie stammt von Paulus. Jene empfangen einen vergänglichen Kranz, wir aber einen unvergänglichen.

Dass uns in der Taufe dieser Siegerkranz verheißen ist, macht das Laufen, das Kämpfen, das Trainieren, die Enthaltsamkeit nicht überflüssig. Aber der Unterschied ist klar.
Noch einmal mit Paulus gesprochen: Ich aber laufe nicht ins Ungewisse, ich kämpfe mit der Faust, nicht wie einer, der in die Luft schlägt, sondern ich bezwinge meinen Leib und zähme ihn, damit ich nicht anderen predige und selbst verwerflich werde.

Gottes Gnade verdanken wir die Würde unseres Lebens. Wir halten uns an einen Siegerpreis, den wir nie selbst erringen können. Deshalb bestimmt Dankbarkeit unser Leben. Aber auch Dankbarkeit hat ihre Folgen. Es gibt auch eine Disziplin des Glaubens.
Wir brauchen Formen, in denen wir uns bewusst halten, was uns trägt – im Leben und auch im Sterben. Auch das Leben im Glauben braucht Trainingseinheiten, Zeiten der Besinnung und der Selbstprüfung, Zeiten der Freude und des Glücks, Zeiten der Liebe und der Hingabe an Menschen, die uns brauchen. Wer die Einheit mit Gott erleben will, braucht Zeiten, in denen er sich für Gott öffnet.

IV.
Deshalb ist es gut und richtig, dass wir als Kirchen bei dieser Leichtathletikweltmeisterschaft klare christliche Akzente setzen
. Wir öffnen Räume für Gott. Es ist notwendig, dass Sportlerinnen und Sportler in den Sportlerhotels und im Stadion die Möglichkeiten erhalten, sich im Gebet an Gott zu wenden und sich im Gespräch über den Glauben auszutauschen.

Wir haben Oasen der Stille eingerichtet, in denen Geistliche aus vielen Nationen als Ansprechpartner zur Verfügung stehen. Im Stadion steht unsere Kapelle den Athleten, Trainern, Funktionären, Journalisten und vielen anderen offen. Hier kann die Freude über den Sieg ebenso vor Gott gebracht werden wie die Enttäuschung bei Niederlagen. Im einen wie im anderen Fall wissen wir: Bei Gott haben wir einen unvergänglichen Kranz, eine bleibende Würde.

Wer diese Dimension des Glaubens aus dem Spitzensport heraushalten will, hat von der Ganzheitlichkeit menschlicher Existenz nichts verstanden. Die Leichtathletikweltmeisterschaft ist nicht nur eine internationale Leistungsshow der besten Leichtathleten der Welt. Nein, eine solche Weltmeisterschaft gibt auch Raum zur
Begegnung. Mit anderen Menschen wie mit Gott.
 
Sportliche Großveranstaltungen haben schon immer die Begegnung zwischen Menschen unterschiedlicher Kultur gefördert und die internationalen Beziehungen gefestigt. Hier begegnen sich Menschen mit unterschiedlichen Einstellungen, Religionen, Herkünften, Sitten und Bräuchen. Sie öffnen sich füreinander und tragen dazu bei, dass das gegenseitige Verstehen wächst. Auch diese Weltmeisterschaft birgt die Chance in sich, Mauern zwischen Menschen einzureißen.

Gerade am heutigen Tag ist mir dies besonders wichtig. Heute vor 48 Jahren wurde die Berliner Mauer gebaut. Schießbefehl und Stacheldraht waren jahrzehntelang innerdeutsche Realität. Am 13. August 1961 wurden Familien und Freunde auseinander gerissen. Voneinander getrennt wurden auch Sportlerinnen und Sportler, die vorher in einem Verein zusammen ihren Sport trieben. Häuser und auch Kirchen wurden gesprengt, um einen breiten, unüberwindlichen Todesstreifen zwischen Ost und West zu legen. Die Begegnung zwischen Menschen und die Kommunikation über Grenzen hinweg sollten verhindert werden. Aber das Leben bricht sich Bahn.

Vor zwanzig Jahren fiel die Berliner Mauer. Das kommt uns noch heute wie ein Wunder vor. Kerzen und Gebete halfen, dass dies möglich wurde. Einander fremde Menschen lagen sich in den Armen und weinten vor Glück. Die Kraft des Glaubens wurde sichtbar.

Diese Leichtathletikweltmeisterschaft gehört für mich zu den großen Akzenten, wenn wir in diesem Jahr das Geschenk der Freiheit vor zwanzig Jahren feiern: im vereinigten Berlin, im vereinigten Deutschland, im gemeinsamen Europa, in der einen Welt.

Wahr ist leider auch, dass in unserer Welt immer wieder neue Mauern errichtet werden. Hass und Neid, Missgunst und Habgier schieben sich zwischen die Menschen. Im Sport errichten unfaires Verhalten und Doping Mauern des Unverständnisses. Dass wir uns damit nicht abfinden, ist unsere gemeinsame Pflicht. Gerade von einer Weltmeisterschaft in Berlin muss dieses Signal ausgehen: Wir legen die Mauern von unerlaubter
Leistungssteigerung und unfairem Verhalten nieder und setzen ein Zeichen für einen fairen, friedlichen Sport.

In ihm wird nicht nur um den vergänglichen Siegerkranz gekämpft, sondern auch um den unvergänglichen. Nicht nur um Medaillen geht es, sondern auch um die Würde des Menschen. Darum beten wir; dafür erbitten wir Gottes Segen.

Deshalb legen wir alles in Gottes Hand. Was wir tun können, ist fertig und bereit. Die Weltmeisterschaft kann beginnen.

Für uns und alle Beteiligten kann dies nur heißen: „On your marks“ – – „get set“ – -„go!“

Amen

 

Quelle: Pressestelle
der Evangelischen
Kirche in Deutschland (EKD)
Herrenhäuser Str. 12
30419 Hannover

Kirche und Sport

author: GRR

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