Parlament und Regierung drohen dem organisierten Sport mit der Aufkündigung ihrer Freundschaft. Nicht erst die jüngsten Doping-Enthüllungen haben dafür gesorgt, dass sich der Sportausschuss von seiner Rolle als institutionalisierte Lobby der Sportverbände, in der Hinterbänkler um Einladungen und Freikarten feilschen, emanzipiert hat.
Berliner Diktat – Als politikfähiger Partner hat sich der Sport diskreditiert. MICHAEL REINSCH in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ)
Schulkinder und Touristen auf den Emporen des Bundestages staunten nicht schlecht, als das wortgewaltige Schwergewicht Peter Danckert den braven schwäbischen Turnbruder Eberhard Gienger zur Brust nahm. Die Angriffe und Gemeinheiten waren so spektakulär, dass manchem Zuhörer der Mund offenstehen blieb.
Sie waren gar nicht persönlich gemeint. Danckert führte lediglich spektakulär und am lebenden Objekt vor, dass sich in der Sportpolitik der Wind gedreht hat. Funktionären wie dem Vizepräsidenten für Leistungssport im Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB), der Gienger im Ehrenamt ist, weht er nun ins Gesicht. Alle Redner der großen Koalition machten in der Debatte um das sogenannte Anti-Doping-Gesetz deutlich, wie unzufrieden, ja wie verärgert sie über den organisierten Sport und seine Vertreter sind.
Innenminister Wolfgang Schäuble, der bislang als loyaler Partner von Thomas Bach, dem DOSB-Präsidenten, erschien, machte keine Ausnahme.
Parlament und Regierung drohen dem organisierten Sport mit der Aufkündigung ihrer Freundschaft. Nicht erst die jüngsten Doping-Enthüllungen haben dafür gesorgt, dass sich der Sportausschuss von seiner Rolle als institutionalisierte Lobby der Sportverbände, in der Hinterbänkler um Einladungen und Freikarten feilschen, emanzipiert hat.
Der Sportausschuss tagt heutzutage öffentlich und lädt regelmäßig Fachleute zur Anhörung.
Innenminister Schäuble verliert zunehmend die Geduld mit Sportorganisationen, die defensiv taktieren und ihn mit der Frage alleinlassen, warum er einen solchen Augiasstall wie den dopingverseuchten Sport noch staatlich fördern soll. Mehr als mit seiner Drohung gegenüber dem Bund Deutscher Radfahrer und dessen Präsidenten Rudolf Scharping, sie mit der Weltmeisterschaft in Stuttgart allein zu lassen, macht Schäuble mit der Berufung einer Task Force deutlich, dass jede Kumpanei zu Ende ist. Diese Innenrevision soll aufspüren, ob und wo Steuergroschen direkt oder indirekt an Doper und deren Umfeld geflossen sind – und sie gegebenenfalls zurückfordern.
Vor allem aber soll sie diejenigen im eigenen Haus finden, die sich mit Hochleistungsfanatikern augenzwinkernd auf das nationale Interesse an Goldmedaillen verständigten und dieses dann um jeden Preis durchsetzten.
Mit seiner Ankündigung, die Nationale Anti-Doping-Agentur (Nada) künftig stärker und direkt zu fördern, reagiert Schäuble auf den ersten sogenannten Anti-Doping-Workshop der Fachverbände. Diese Veranstaltung wurde hinter geschlossenen Türen abgehalten und brachte außer einem weiteren Forderungskatalog vor allem die Unfähigkeit und den Unwillen des organisierten Sports zutage, eigenes Geld in die Doping-Bekämpfung zu leiten.
Leichtathletik-Präsident Clemens Prokop hatte vorgeschlagen, fünf Prozent der staatlichen Fördermittel der Nada zu überweisen und sie dadurch handlungsfähig zu machen. Die Sportkollegen ließen ihn abblitzen und hinterließen damit in Berlin den Eindruck, dass sie keine politikfähigen Partner sind.
Der Staat wird dem Sport das, was er nicht freiwillig leisten will, deshalb nun diktieren. Der bedauernswerte Eberhard Gienger hat am Mittwoch ein Vorbeben erlebt.
Die Geldstrafe für alle wird folgen.
Michael Reinsch
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Freitag, dem 15. Juni 2007