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25
09
2010

Viele Läufer hatten Tränen in den Augen, als sie durch die Nahtstelle zwischen Ost und West hindurchliefen, andere jubelten lauthals.

Berlin-Marathon: Vor 20 Jahren schrieb der Berlin-Marathon Sportgeschichte: Erster Marathon durch Ost und West noch vor der Wiedervereinigung, Aufstieg in die Eliteliga des Laufsports

By GRR 0

Es ist genau 20 Jahre her, als der Berlin-Marathon zum ersten Mal durch beide Teile der Stadt führte. Noch ein Jahr zuvor, als das Rennen am 1. Oktober 1989 stattfand, war an eine derartige Entwicklung nicht zu denken. Ein Rennen durch das Brandenburger Tor war bestenfalls ein Traum. Das Tor war tabu.

„Früher sind wir am Brandenburger Tor vorbeigegangen zum Start und haben gesagt, das wäre das Größte, da einmal durchzulaufen, aber das werden wir wohl nicht mehr erleben", erinnert sich Bernd Hübner an die Zeiten in den 80er Jahren. Der Berliner ist der einzige Läufer, der bei allen bisher 36 Auflagen des Berlin-Marathons ins Ziel gekommen ist. Als „großes Erlebnis" behält er den Lauf 1990 in Erinnerung.

So wie für Bernd Hübner war es für alle, die in den 80er Jahren zu den Teilnehmern des Rennens gehörten, unvorstellbar, eines Tages auch durch den Ostteil Berlins laufen zu können. Unbewusste Symbolkraft zeigten jene Fotos, auf denen Läufer vor dem Start eines Rennens bei der Gymnastik zu sehen sind: sie lehnten beziehungsweise stützten sich dabei an die Berliner Mauer, die neun Jahre lang auch einer der markantesten Streckenpunkte war.

Während der Berlin-Marathon im Westteil schon in den 80er Jahren ein riesiges Volksfest war, träumten die Läufer im Ostteil Berlins und Deutschlands davon, daran teilnehmen zu dürfen. In grenznahen Gebieten verfolgten sie das Geschen bei dem Laufspektakel über den SFB (den heutigen RBB) im Radio. Doch es gab auch einige, für die sich der Traum eines Starts schon damals erfüllte. Pensionäre oder Läufer, die das Glück hatten, eine Ausreisegenehmigung für einen Verwandtenbesuch in der Bundesrepublik zu erhalten, mischten sich heimlich bereits seit 1982 unter die Starter in West-Berlin.

Die Organisatoren wussten schon damals von den Läufern aus dem anderen Teil Deutschlands, doch es wäre zu gefährlich für die Sportler gewesen, sie offiziell zu begrüßen. „Hätte der Staatssicherheitsdienst der DDR davon Wind bekommen, hätten die Läufer mit Repressalien rechnen müssen“, erzählt Horst Milde, der den Berlin-Marathon als Race-Direktor drei Jahrzehnte lang prägte und entwickelte und ihn zu einem der besten Straßenläufe weltweit machte.

Starts von Läufern aus der DDR blieben meist ganz geheim. Ein Läufer aus Thüringen startete zunächst unter dem Namen seiner Katze, um nicht erkannt zu werden. Später wurde daraus dann der Name seines Hundes und auch der seines Heimatdorfes.

Auch ein anderes Kuriosum beweist den Stellenwert, den der Berlin-Marathon schon zu Mauerzeiten in der DDR hatte: So versuchten viele, auf den Ost-Berliner Fernsehturm zu gelangen, um von dort aus den Start des Laufes hinter dem Brandenburger Tor zu beobachten. In den Jahren 1988 und '89, so haben die Organisatoren später erfahren, musste der Turm daraufhin wegen Überfüllung sogar geschlossen werden.

Durch den Fall der Mauer hatte der Berlin-Marathon eine einmalige Chance: Nun war der Aufstieg in die Eliteklasse der internationalen Straßenläufe möglich. Doch wer dachte am 9. November 1989 an den Berlin-Marathon des 30. September 1990?

Einen Tag später, am 10. November 1989, klingelte bei Cheforganisator Horst Milde das Telefon: Michael Coleman, Sportredakteur bei der Londoner Times und ein engagierter Förderer des Berlin-Marathons redete auf einen damals noch sehr skeptischen Horst Milde ein: „Der Berlin-Marathon wird der Lauf des Jahres – aber Du musst ihn 1990 durch das Brandenburger Tor führen.“

Nur zwei Tage später startete der Marathon-Veranstalterklub seinen traditionsreichen Crosslauf am Teufelsberg – bei diesem Rennen im Grunewald starteten bereits die ersten Läufer aus der DDR. Fortan arbeiteten die Organisatoren an der Realisierung des großen Traums: dem Marathon durch das Brandenburger Tor.

Schon am 1. Januar 1990 startete Milde und sein Team  einen Lauf durch Ost und West auf der Straße des 17. Juni. Die Strecke des Neujahrslaufes führte seitlich des Brandenburger Tores durch die aufgebrochene Mauer. Über 20.000 Läufer beteiligten sich an diesem Rennen über wenige Kilometer, die DDR-Volkspolizisten klatschten unter den Augen des damaligen Präsidenten des Internationalen Leichtathletik-Verbandes (IAAF), Primo Nebiolo, Beifall.

In den folgenden Monaten nahm das Organisationsteam um Horst Milde alle bürokratischen Hürden.
Die Verhandlungen mit dem Ost-Berliner Magistrat brachten schließlich die gewünschte Zustimmung: der Weg war frei für den ersten Marathon durch das Brandenburger Tor und damit durch West und Ost. Riesig war das Interesse von Läufern aus aller Welt, an diesem geschichtsträchtigen Marathon teilzunehmen.

Auf 25.000 Läufer limitierten die Organisatoren ihr Rennen. Schnell war der 17. Berlin-Marathon ausgebucht, viele tausend Läufer hatten keine Chance, eine Startnummer zu erhalten.

Einen Schock gab es jedoch wenige Tage vor dem Start: Ausgerechnet das Brandenburger Tor, das Symbol der Wiedervereinigung und des neuen Berlin-Marathon, war eingerüstet worden. Der Mittelpunkt des Laufes drohte im Fernsehen und auf Fotos als Baustelle in die Welt transportiert zu werden. Mit Hilfe der Medien und speziell des SFB gelang es schließlich, die Politiker davon zu überzeugen, das Gerüst noch abbauen zu lassen.

Um 9 Uhr wurde am 30. September 1990 schließlich auf der Straße des 17. Juni am Charlottenburger Tor der Traumlauf gestartet. 16 Jahre nach der Premiere des Berlin-Marathons am Grunewald führte der Kurs nun nach rund drei Kilometern  durch das Brandenburger Tor und somit durch beide Stadthälften. Drei Tage vor der deutschen Wiedervereinigung fand die sportliche Vereinigung von Ost und West in atemberaubender Weise auf den Straßen der künftigen Hauptstadt statt.

Viele Läufer hatten Tränen in den Augen, als sie durch die Nahtstelle zwischen Ost und West hindurchliefen, andere jubelten lauthals. Hinter dem Brandenburger Tor, auf dem damals die Quadriga fehlte, weil sie restauriert wurde, ging es Unter den Linden bis zum Fernsehturm und dann in einem Bogen wieder zurück zum Potsdamer Platz und in den Westteil.

Am Lützowufer gelangte man auf dem Weg nach Kreuzberg wieder zurück auf den alten Kurs, der auf der zweiten Hälfte nur geringfügig verändert wurde. Das Ziel, das 22.806 Läufer und 55 Rollstuhlfahrer erreichten, war wie gehabt auf dem Kurfürstendamm. Eine Million Zuschauer säumten die 42,195 km durch West und Ost.

Mit dem japanischen Unternehmen Yanase hatte der BERLIN-MARATHON 1990 einen neuen Hauptsponsor. So groß war das Interesse in Japan an dem Rennen, dass der Lauf dort live im Fernsehen zu sehen war. In Deutschland gab es eine Premiere: erstmals wurde ein City-Marathon live im TV übertragen. SFB und ARD setzten mit viel Aufwand diese Sendung um und hatten mit 1,5 Millionen Zuschauern eine überzeugende Einschaltquote.

Spitzensportlich legte der Berlin-Marathon 1990 den Grundstein für die zukünftige Entwicklung, die das Rennen zum schnellsten der Welt über die klassische Distanz machen sollte. Christoph Kopp, der damals für die Verpflichtung der Eliteathleten zuständig war, registrierte enormes Interesse von Weltklasseläufern, die am 30. September an den Start gehen wollten.

Es war schließlich Steve Moneghetti, der diesen historischen Berlin-Marathon gewann. Mit 2:08:16 Stunden erzielte der Australier die erste Zeit unter 2:10 in Berlin und verbesserte die Jahresweltbestleistung des italienischen Olympiasiegers Gelindo Bordin um drei Sekunden.

Gidamis Shahanga, der Bruder des Vorjahressiegers Alfredo, wurde in 2:08:32 Stunden Zweiter. Auf Rang drei und vier kamen zwei starke deutsche Läufer aus der damaligen DDR: Der deutsche Marathonrekordhalter Jörg Peter (Dresden), dessen Bestzeit von 2:08:47 Stunden in Deutschland bis heute unerreicht geblieben ist, und der junge Stephan Freigang aus Cottbus. Peter lief 2:09:23 und Freigang, der zwei Jahre später bei Olympia sensationell eine Bronzemedaille gewinnen sollte, rannte 2:09:45.

Eine ehemalige DDR-Athletin, die unmittelbar nach dem Fall der Mauer nach Stuttgart geflüchtet war, feierte einen Heimsieg: Uta Pippig wohnte bereits wieder in Berlin und sollte schon wenige Monate später für den Veranstalterclub starten. Zuvor hatte sie den bundesdeutschen Marathonrekord auf 2:28:03 Stunden verbessert, in Berlin gewann sie nun in der Kursrekordzeit von 2:28:37.

Es war ihr erster großer Marathontriumph – und aufgrund ihrer persönlichen Vorgeschichte ein ganz besonderer Augenblick, der perfekt zu diesem geschichtsträchtigen Berlin-Marathon passte. „Als ich durch das Brandenburger Tor lief, bekam ich eine Gänsehaut“, erzählte Uta Pippig.


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author: GRR

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