Tergat hatte Renndirektor Mark Milde nach Gebrselassies Zielankunft angerufen, um den Berlinern zu ihrem neuen Rekord zu gratulieren. Milde reichte das Telefon gleich an seinen Sieger weiter
Berlin-Marathon – „Sorry, Paul“ – Ein umjubelter Haile Gebrselassie verbessert den Weltrekord seines Freundes Paul Tergat. Friedhard Teuffel im Tagesspiegel
Berlin – So leicht ist Haile Gebrselassie wohl noch nie eine Entschuldigung gefallen. Darüber, dass er einem Freund ganz bewusst etwas weggenommen hatte, konnte er nur lachen. „Sorry, Paul. Der Weltrekord gehört jetzt mir. Aber du kannst es ja nächstes Jahr wieder probieren“, sagte Gebrselassie und amüsierte sich köstlich. Es war ein Telefongespräch zwischen den beiden schnellsten Marathonläufern der Welt, der eine stand im Ziel hinter dem Brandenburger Tor, der andere ist gerade in Kenia.
Nur dass seit Sonntag nicht mehr Tergat der schnellste ist – Gebrselassie hat ihn um 29 Sekunden überholt, als er am Sonntag den Berlin-Marathon in 2:04:26 Stunden gewann. „Paul hat Verständnis dafür“, sagte der Äthiopier Gebrselassie und lachte wieder, sie seien schließlich Freunde.
Tergat hatte Renndirektor Mark Milde nach Gebrselassies Zielankunft angerufen, um den Berlinern zu ihrem neuen Rekord zu gratulieren. Milde reichte das Telefon gleich an seinen Sieger weiter. „Eine große Geste, dass er sich gemeldet hat“, fand Milde. Berlin hat also seinen Ruf verteidigt, unter den großen Marathons der schnellste zu sein. Schon Tergat hatte seinen Weltrekord vor vier Jahren in Berlin aufgestellt, und Gebrselassies Weltbestleistung ist nun schon die insgesamt sechste in Berlin. Auch Falk Cierpinski, Sohn des zweimaligen Marathon-Olympiasiegers Waldemar Cierpinski, hat es nicht bereut, sich Berlin als seinen ersten Marathon in Deutschland ausgesucht zu haben. Nach 2:19:06 Stunden kam der 29-Jährige gestern als 23. ins Ziel und machte damit ebenso Hoffnung auf eine Beschleunigung der deutschen Marathonläufer wie Irina Mikitenko mit ihrem furiosen zweiten Platz.
Als Gebrselassie von den Ursachen für den Sieg erzählen sollte, fielen ihm zuerst die äußeren Umstände ein, nicht die eigene, innere Stärke. „Es war ein perfekter Tag heute mit einer großartigen Atmosphäre.“ Damit meinte der 34 Jahre alte Läufer vor allem das Publikum. Doppelt so viele Zuschauer wie 2006, so kam es ihm vor, „das hat 60 bis 70 Prozent meiner Leistung ausgemacht“, lobte er charmant die Zuschauer. Das mag auch daran gelegen haben, dass er sich im vergangenen Jahr nicht so wohlgefühlt hatte. Das Wetter gefielt ihm nicht, und mit seiner Siegeszeit von 2:05:56 war er am Ende auch nicht zufrieden.
Auf jeden Fall wurde Gebrselassies Leistung gefeiert, und das in einer Zeit, in der Weltrekorde gerade in der Leichtathletik eine gehörige Portion Skepsis hervorrufen. Doch auf den Straßen von Berlin, durch die der Marathon fröhlich wie der Rosenmontagszug rauschte, wird ein Weltrekord wohl unbefangener aufgenommen als in einem Stadion.
Unter seinen vielen Weltrekorden auf der Bahn und auf der Straße ist Gebrselassie sein jüngster auch sein wichtigster. Das mag nicht nur an den 130 000 Euro Gesamtprämie liegen. „Marathon ist die Königsdisziplin“, sagte er. Mit fünf starken Tempomachern hatte sich Gebrselassie auf den Weg gemacht, und sie beschützten ihn wie fünf Leibwächter gegen einen unsichtbaren Feind: den Wind. Im vergangenen Jahr hatte sich der Wind Gebrselassie auf den letzten Kilometern in den Weg gestellt und eine schnellere Zeit verhindert. Außerdem war Gebrselassie 2006 manchmal vor seinen Tempomachern hergelaufen, „diesmal habe ich sie vorwegrennen lassen“, sagte er.
Bei Kilometer 30 wurde aus dem Teamprojekt Marathonbestzeit jedoch ein Einzelunternehmen, die letzten beiden Tempomacher zogen sich zurück, und Gebrselassie lief allein an der Spitze weiter. Wenn er einen Konkurrenten auf den letzten Kilometern gehabt hätte, vielleicht hätte er sogar sein großes Ziel erreicht, 2:03 Stunden zu laufen. „Das hatte ich mir eigentlich vorgenommen, aber es ist auch so wunderbar“, sagte er. Vielleicht war es sogar so schön, dass sich Gebrselassie für lange Zeit von Berlin verabschiedet hat. Renndirektor Milde befürchtet jedenfalls, Gebrselassie könnte Berlin am Sonntag enteilt sein.
„Seine Mission hat er erst einmal erfüllt. Er wird nun wahrscheinlich andere Rennen bestreiten“, sagte Milde und deutete an, sich in Zukunft möglicherweise wieder auf den Rekord der Frauen zu konzentrieren, den ihnen die Britin Paula Radcliffe vor vier Jahren in London weggeschnappt hatte. Doch nach seinem Rekordrennen hat Gebrselassie auch gesagt: „Es ist möglich, hier noch schneller zu laufen.“ Warum sollte er das anderen überlassen?
Friedhard Teuffel
Der Tagesspiegel
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