Zunächst kann man Renndirektor Mark Milde nur beglückwünschen, nach dem Ende der Ära Haile auf die Karte „Rotterdam“ gesetzt zu haben.
Berlin-Marathon – „Running in the rain“ – Anmerkungen zum 37. Berlin-Marathon vom 26. September 2010 – Helmut Winter berichtet
Auch die Launen des Wettergottes konnten den Erfolg der 37. Ausgabe des Berlin-Marathons kaum schmälern. Obwohl es an beiden Tagen der Veranstaltung und ganz besonders bei der Laufveranstaltung unablässig regnete, ist die leistungssportliche als auch die organisatorische Bilanz sehr positiv zu werten. Dabei war schon beim Start exakt um 9:03 Uhr klar, dass unter diesen Bedingungen eine Jagd auf Hailes Bestmarke von 2008 an gleicher Stelle nur wenig Erfolg versprach.
Es gab bisher kaum eine Ausgabe in den 36 Jahren, bei der so massiver Niederschlag die Veranstaltung heimsuchte. Aber schon an dieser Stelle ist zu bemerken, dass die Organisation seitens SCC-running derart routiniert und souverän über die Bühne ging, dass auch solche äußeren Einflüsse den Ablauf der Veranstaltung kaum beeinflussten.
Dabei stellen solche Bedingungen wie am letzten Sonntag jeden Organisator von Freiluftveranstaltungen vor große Probleme, in Berlin wurden sie aber großartig gemeistert. Eine „1“ mit Sternchen für eine Organisation, die sich in immer mehr Teilbereiche gliedert und ohne eine große Helferschar nicht mehr zu bewältigen wäre.
Dass Marathonläufe „open-air“-Events sind, ist jedem vertraut, man hofft aber immer auf die Gunst der Stunde. Und da wurde Berlin in den letzten Jahren von Petrus recht gut bedient, Hailes Weltrekorde 2007 und 2008 sind zu einem nicht unwesentlichen Teil der meteorologischen Komponente geschuldet. Dabei sah es im Vorfeld noch bestens aus, eine Woche zuvor meldeten die Wettervorhersagen (nicht: Wetterberichte!) beste Konditionen, die sich aber kurz vor dem Lauf zunehmend verschlechterten. Das Resultat: ca. 26 Liter/m2 am Sonntag, für asphaltierte Straßen ist das eine gewaltige Menge und bei Spurrillen sind Pfützen und kleine Seen die Folge. Zur Verteidigung der Meteorologie sei aber angefügt, dass die Wetterlage am Wochenende sich sehr different darstellte. In Prenzlau, ca. 50 km nördlich von Berlin, fiel mit unter 1 Liter/m2 kein nennenswerter Niederschlag, südwestlich in Brandenburg aber fast die doppelte Menge wie in Berlin. Leider lag Berlin am Sonntag etwas zu südlich.
Denn sonst wäre das Unternehmen Weltrekord bei den Männern ein sehr realistisches Unterfangen geworden. Es ist aber müßig aus den tollen Ergebnissen an der Spitze auf entsprechende Zeiten zu extrapolieren. Einen „Regen-Weltrekord“ gibt es noch nicht. Über das Ergebnis und den Rennverlauf ist hinreichend berichtet worden, trotzdem lohnt der Blick auf einige Details.
Zunächst kann man Renndirektor Mark Milde nur beglückwünschen, nach dem Ende der Ära Haile auf die Karte „Rotterdam“ gesetzt zu haben. Denn im Gegensatz zu den recht enttäuschenden weiteren Vorstellungen von Kwambai und Kibet nach ihrem Superlauf in Rotterdam 2009, haben Makau und Mutai die Erwartungen vollauf bestätigt. Ihre Leistungen waren insbesondere auch angesichts des Wetters von Extraklasse und zeigen auf welchem Niveau mittlerweile die internationale Spitze im Marathonlauf angekommen ist.
2:05 – hier sogar bei ungünstigen Bedingungen – wird schon fast zum Standard. In Chicago wird man das mit Interesse verfolgt haben, und falls dort in zwei Wochen das Wetter mitspielt (da ist man diesbezüglich weit weniger verwöhnt als in Berlin), werden sicher Wanjiru und vor allem Kebede noch mehr Mut bekommen, sich an Hailes Bestmarke zu messen.
Nach den Weltrekorden im Jubiläumsjahr „2500 Jahre Marathon“ über den Halbmarathon und die 25 km (unerwartet kam am Sonntag während des Laufs in Berlin bei besseren Bedingungen im holländischen Utrecht noch ein Weltrekord über 10 km in sensationellen 26:44 hinzu) fehlt als Krönung noch der Rekord über die Kerndistanz.
In Frage kommt eigentlich in diesem Jahr nur noch Chicago und mit Einschränkungen Amsterdam im Oktober oder Fukuoka Anfang Dezember. Beim New York City Marathon im November will und kann Haile nur gewinnen.
Dabei verlief das diesjährige Rennen in Berlin im ersten Teil recht unerwartet, denn nach einem wegen der schlechten Bedingungen verhaltenen Beginn wurde man immer schneller und lag nach der 10 km Marke sogar im Bereich von Hailes Rekordläufen. In der Grafik, die die Zeitdifferenzen pro km zu Hailes Läufen in Berlin zeigt (bezogen auf den Weltrekord von 2007), ist dann aber zu erkennen, wie man den mit Pfützen übersäten Straßen in den Stadtteilen Kreuzberg und Schöneberg Tribut zollen musste und vom Rekordkurs immer weiter zurückfiel. Der Abschnitt nach 13 km war mit 3:05 der langsamste des gesamten Laufs, wobei diesem Abschnitt schon fast eine besondere Aura zukommt, denn auch Haile lief hier ähnlich unvermittelt langsame Splits.
Der schnellste Abschnitt wurde in 2:49 zur 8 km-Marke bewältigt. Auf dem Hohenzollerndamm jenseits der 30 km legte die nun nur noch dreiköpfige Spitze plus einem „Hasen“ noch einmal zu und war bei 34 km auf Kurs von Hailes Rekord aus 2007. Doch für eine weitere Jagd zum Rekord bei Zwischenzeiten auf höchstem Niveau fehlte am Ende schlichtweg die Kraft.
Die Grafik zeigt dies sehr nachdrücklich. Noch etwas zeigt die Analyse der Läufe aus den letzten Jahren in Berlin: die Rekorde werden auf dem Schlussteil ab 35 km erzielt. Und dieser Schlussteil war durch einen Dreikampf an der Spitze ungleich spannender als in den Vorjahren, wo Haile bei seinen Temporennen alle Gegner bereits hinter sich gelassen hatte, so diese überhaupt gegen Haile antreten durften.
Und der Wind wird auch am Sonntag eine große Rolle spielen, denn neben idealen Temperaturen und hoffentlich kaum Regen soll der recht kräftig blasen (30 km/h) und dazu noch aufböen. Dann könnten nämlich die Rekordjäger vor ein ähnliches Problem gestellt werden, mit dem sich Haile beim ersten Auftritt in Berlin konfrontiert sah, als er Tergats Rekord im Visier hatte. Mit Hilfe zweier Grafiken blicken wir auf Hailes einmalige Leistungen in Berlin zurück, wo in den ersten beiden Jahren die Marke von Paul Tergat von 2:04:55 (gestrichelte horizontale Linie) das Ziel der Rekordjagden war.

In der Grafik der Zeitdifferenzen zum bestehenden Weltrekord ist schön zu erkennen, dass Haile bereits 2006 bestens auf Kurs war (rote Kurve), bis nach 35 km auch durch den scharfen Gegenwind ein massiver Leistungseinbruch eintrat, und er am Ende Tergats Marke um eine Minute verfehlte. 2007 lief das weitaus besser (blaue Kurve), Haile holte bald einen Vorsprung von ca. 30 Sekunden heraus, den er dann bis ins Ziel halten konnte: 2:04:26.
Angesichts der äußeren Bedingungen waren die Leistungen in der Tat bemerkenswert, die – auch das wurde schon vermeldet – Berlin mit der noch vor einigen Jahren kaum für möglich gehaltenen Zeit von 2:05:09 wieder an die Spitze der schnellsten Marathonläufe bringt (Mittel der zehn schnellsten jemals auf einer Strecke erzielten Zeiten), 5 Sekunden vor Rotterdam und fast eine halbe Minute vor London. Wie rasant sich die Dinge im Marathon in den letzten Jahren entwickelt haben, zeigt ein Blick auf die Berliner Bestenliste, die nur noch eine Zeit über 2:06 aufweist. Und das sind die 2:06:05 von Ronaldo da Costa vor etwa 10 Jahren. Das war damals eine Ausnahmeleitung und Weltrekord, das Zehnermittel in Berlin ist mittlerweile fast eine Minute besser!
Aber im Regen von Berlin gab es noch eine weitere Leistung zu erwähnen. Und die betrifft die TV-Übertragung, erstmals bei n-tv und Eurosport. Obwohl die Berliner öffentlich rechtliche Medienanstalt „rbb“ den Marathon über viele Jahre mit hohem Aufwand und tollen Aufnahmen übertrug, war die bundesweite TV-Präsenz wegen Trachtenumzügen und sonstiger gesellschaftlich relevanter Ereignisse in den Hintergrund getreten.
Ferner lag es dem Sender nur bedingt daran, spitzensportliche Inhalte des Berlin Marathons zu vermitteln, regionaler Fußball in zweiter und dritter Liga hat dort einen wesentlich höheren Stellenwert. Zudem wurde die Übertragung des Marathons auch verwendet, andere Sendeplätze des Senders zu bewerben. Es waren vor allem diese Entwicklungen, die die Veranstalter bewogen, neue Wege zu gehen. Und obwohl die TV-Übertragung durch den Regen sehr beeinträchtigt wurde, waren bei n-tv Ansätze einer Marathon-Übertragung zu sehen, über die man sich als Laufinteressierter nur freuen kann.
Unmittelbar mit Beginn des Laufs wurde man bestens über den Ablauf in Kenntnis gesetzt, es gab Zwischenzeiten und km-Anzeigen, und Rene Hiepen und Martin Grüning zeigten sich bestens informiert. Nur wenn man bei einem Bericht über einen Marathonlauf die leistungssportlichen Entwicklungen transportiert, kann man diesen Aspekt auch einer breiteren Öffentlichkeit vermitteln.
Dass die Macher der Sendung leider Probleme mit den Launen des Wetters bekamen, war schade, aber nicht der Übertragung anzulasten (ggfs. hätte man im Vorfeld auf noch redundantere terrestrische Übertragungskanäle, ggfs. auch mit geringerer Bandbreite setzen sollen). Das Konzept der Übertragung und die sonstige Realisation (auch angesichts des „Sauwetters“) waren großartig. Wenn jemand neben den Läufern im Ziel eine Medaille an diesem Tag verdient hätte, dann war das Rene Hiepen und das gesamte n-tv Team. Mit einigen technischen Verbesserungen kann man sich schon heute auf die TV-Übertragung der nächsten Ausgabe des Berlin Marathons freuen.
Und bei der ist dann hoffentlich auch wieder Bernd Hübner dabei, der als einziger Teilnehmer alle früheren 36 Ausgaben hinter sich gebracht hatte. Der sympathische Laufsportler und Lauforganisator, der auf seiner Homepage schon Einträge bis zum 50. Berlin Marathon vorbereitet hatte, musste in diesem Jahr erstmals passen. Auch mit dieser nicht einfachen Entscheidung hat Bernd Zeichen gesetzt, die das mögliche Risiko in den Vordergrund stellte.
Es bleibt zu wünschen, dass dieses Beispiel der „Vernunft“ gerade über die langen Stecken Schule macht und Bernd nächstes Jahr wieder dabei ist. Und zwar als Läufer! An der Strecke war er natürlich diesmal präsent und feuerte fleißig an.
Fazit: Auch wenn der Regen etwas gestört hat, den großen Erfolg hat das kaum tangiert. Der Berlin Marathon war wieder ein Highlight des Laufsports und ein unverzichtbares Event im Veranstaltungskalender der deutschen Hauptstadt, der so viele Menschen auf friedliche und sportliche Weise zusammenbringt. In nur knapp einem Jahr gibt es schon die nächste Ausgabe.
Und obwohl der Regen die Rekordjagd ertränkte, der Weltrekord war ja schon zuvor in Berlin und bleibt folglich zunächst auch dort.
Helmut Winter
Helmut Winters Preview:
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