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02
10
2012

Von einer falschen Zeitnahme getäuscht, aber dennoch Sieger: Geoffrey Mutai ©Berlin-Marathon/Jiro Mochizuki

Berlin-Marathon – In Berlin gehen die Uhren anders – Michael Reinsch, Berlin in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

30.09.2012 ·  Der Kenianer Geoffrey Mutai gewinnt zwar den Marathon in der Hauptstadt. Doch den Weltrekord verpasst der Kenianer, weil ihn die Zeitnehmer ausbremsen.

Ausgerechnet die Uhr hat in der nach Zahlen und Zeiten verrückten Welt des Marathons das Ergebnis des Berlin-Marathons ruiniert, womöglich sogar den neunten Weltrekord bei diesem Rennen verhindert. Mehr als die Hälfte der Strecke, bis Kilometer 25, zeigte am Sonntag die elektronische Uhr auf dem Begleitfahrzeug der Spitzengruppe um den Kenianer Geoffrey Mutai falsche Zwischenzeiten an.

Dieser, bei idealen Bedingungen gestartet, glaubte deshalb, seine Tempomacher und er brächten Kilometer um Kilometer in 2:50 Minuten hinter sich. In Wirklichkeit wurde ihr Rückstand auf die Marschtabelle gen Bestzeit größer und größer. „Oh, so langsam!" realisierte Mutai, wie er erzählte, als er seine Durchgangszeit von 1:02:12 Stunden auf halber Strecke sah.

Bis dahin sei er, trotz der Zurufe von Renndirektor Mark Milde, beruhigt und entspannt gewesen.

Als er verstanden hatte, dass die Uhren in der Hauptstadt anders gehen, trieb er seine Tempomacher an und forcierte selbst derart, dass er die fünf Kilometer von 30 bis 35 in 14:15 Minuten hinter sich brachte, mit Kilometerzeiten von 2:43 und 2:48 Minuten. „Da habe ich mich selbst umgebracht", sagte er nach dem Rennen. „Lass uns nicht mehr davon sprechen." Bei Kilometer vierzig lag Mutai nur noch sieben Sekunden über der Marschtabelle gen Weltrekord.

Näher kam er der Bestzeit nicht. Auf den letzten 2.195 Metern verlor er, offensichtlich erschöpft, eine weitere halbe Minute. Welch famoser Läufer der dreißig Jahre alte Mutai ist, zeigt seine Siegerzeit: 2:04:15 Stunden, das ist der schnellste Marathon des Jahres, acht Sekunden unter der Zeit des Äthiopiers Ayele Abshero vom Dubai-Marathon im Januar. Zusammen mit seinen spektakulären Siegen in Boston (2:03:02) und New York vom vergangenen Jahr hat er damit zusätzlich zu den 70.000 Euro Sieg- und Zeitprämie von Berlin die mit 500.000 Dollar dotierte Zweijahreswertung der World Marathon Majors gewonnen. Er wird den Scheck beim New York Marathon Anfang November erhalten.

Herzschlagfinale: Mutai vor Kimetto

Auch in Berlin hieß es: Zahlen bitte. Mutai war es ein Anliegen gewesen, den Weltrekord zu verbessern, den im vergangenen Jahr Patrick Makau in Berlin mit 2:03:38 Stunden aufstellte. Denn seit Boston weiß er zwar, dass er der schnellste Marathonläufer der Welt ist. Just dieses Resultat bei Rückenwind und bergab akzeptiert jedoch der Welt-Leichtathletikverband IAAF nicht als Rekord. Um die Spitze der Weltrangliste zu übernehmen, war Mutai nach Berlin gekommen – und dann ließ er sich ausgerechnet von den Zeitnehmern ausbremsen.

Zweiter wurde mit nur einer Sekunde Rückstand der Debütant Dennis Kimetto. „Er ist noch jung", sagte Mutai über seinen 28 Jahre alten Freund und Trainingspartner, der nun hinter ihm der fünfschnellste Marathonläufer der Welt ist. „Er wird noch Gelegenheit haben, den Weltrekord zu brechen." Ursprünglich hatte er Kimetto als Tempomacher verpflichten wollen, doch dieser bat, bis ins Ziel laufen zu dürfen.

Seine Leistung ist nicht wirklich eine Überraschung: Kimetto hat die Halbmarathons von Ras Al Khaimah sowie von Berlin (in 59:14 Minuten) gewonnen; bei den 25 Kilometer von Berlin im Mai lief er in 1:11:18 Stunden Weltrekord. Eigentlich brauche Kimetto noch zwei Jahre Training, um ein richtiger Marathonläufer zu werden, hatte Mutai vor dem Rennen behauptet.

Auch in diesen Fall sprechen die Zahlen gegen ihn: 2:04:16 Stunden – das ist die beste Zeit, die je ein Marathon-Debütant erreichte, und – inoffiziell und ohne Berücksichtigung von Boston – Weltrekord für Zweitplazierte. Das Publikum, sagte Kimetto am Sonntag, habe ihn mit seiner Freundlichkeit und seiner Unterstützung davon überzeugt, vor der Zeit in Berlin zu starten.

Der schnellste Marathon der Welt

Mutai und Kemetto waren die ersten von neun Kenianern auf den ersten Plätzen. Zehnter wurde der Japaner Masakazu Fujiwara in 2:11:31 Stunden. Mit einer rechnerischen Durchschnittszeit von 2:04:37 Stunden für die zehn schnellsten Sieger ist Berlin damit der schnellste Marathon der Welt.

Mit einer Verbesserung seiner persönlichen Bestzeit um zweieinhalb Minuten auf 2:13:10 Stunden erreichte Jan Fitschen den 14. Platz. „Ich bin happy, dass ich weiß, dass ich Marathon laufen kann", sagte der einstige Europameister über 10.000 Meter. Nach reichlich einer Stunde hatte er sich sogar die Zeit genommen, ein Toilettenhäuschen aufzusuchen. Nach zwanzig Sekunden – Bestzeit – war er wieder im Rennen.

Wie er schwärmte auch Anna Hahner vom Berliner Publikum: „Ich hatte Gänsehaut am ganzen Körper." Die junge Hessin aus Fulda war bei ihrem zweiten Lauf über die Marathondistanz nach 2:30:37 Stunden im Ziel, von einer Enttäuschung, nicht unter 2:30 gelaufen zu sein, konnte keine Rede sein.

Zehn Minuten vor ihr war die Äthiopierin Aberu Kebede im Ziel (2:20:30); sie gewann zum zweiten Mal in Berlin. Schnellste Europäerin war, hinter der Äthiopierin Tirfi Tsegaye (2:21:19), die Ukrainerin Olena Shurnho (2:23:32).

Die Spitze der Laufbewegung

40.000 Teilnehmer, praktisch die Einwohnerzahl einer Kleinstadt, waren bei dem größten Marathon des europäischen Festlands auf den Beinen. Sie leisteten einen Beitrag zur aktuellen Diskussion um den Rang von Sport und Leistungssport in der Gesellschaft.

Sie sind die Spitze der deutschen Laufbewegung oder wenigstens ihr Anfang. Nun beginnt die Herbstkampagne der Langläufe. Die Startplätze für Berlin waren schon im Dezember vollständig vergeben, wer sich in diesem Jahr entschloss, Teil der Massenbewegung in der Hauptstadt zu werden, musste auf dem Schwarzmarkt aktiv werden.

Am 28. Oktober steht der Frankfurt-Marathon an, dessen Teilnehmer durch die Verpflichtung von Patrick Makau die Chance haben, Teil eines Weltrekordrennens zu werden.

 

Michael Reinsch, Berlin in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Sonntag, dem 30. September 2012

 

Ergebnisse Berlin-Marathon

 

MÄNNER: 1. Geoffrey Mutai (Kenia) 2:04:15 Min.; 2. Dennis Kimetto (Kenia) 2:04:16; 3. Geoffrey Kipsang (Kenia) 2:06:12; 4. Nicholas Kamakya (Kenia) 2:08:28; 5. Josphat Keiyo (Kenia) 2:08:41; 6. Josphat Jepkopol (Kenia) 2:08:44; 7. Jonathan Maiyo (Kenia) 2:09:19; 8. Eliud Kiptanui (Kenia) 2:09:59; 9. Felix Keny (Kenia) 2:10:22; 10. Masakazu Fujiwara (Japan) 2:11:31; …14. Jan Fitschen (Wattenscheid) 2:13:10; … 26. Jan Förster (Mannheim) 2:23:20; … 30. Fabian Borggrefe (Spergau) 2:25:58, … 19.308. Marc Heinrich (FAZ) 4:21:57.

FRAUEN: 1. Aberu Kebede (Äthiopien) 2:20:30 Std.; 2. Tirfi Tsegaye (Äthiopien) 2:21:19; 3. Olena Schurgno (Ukraine) 2:23:32; 4. Flomena Chepchirchir (Kenia) 2:24:56; 5. Fate Tola (Äthiopien) 2:25:14; 6. Alewtina Biktimirowa (Russland) 2:28:45; 7. Caroline Chepkwony (Kenia) 2:30:34; 8. Anna Hahner (Mainz) 2:30:37; 9. Sonia Samuels (Großbritannien) 2:30:56; 10. Degefa Biruktayit (Äthiopien) 2:33:27; …16. Antje Ungewickell (Berlin) 2:49:23; … 29. Heike Volkert (Tübingen) 2:54:41.

author: GRR

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