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02
10
2008

"Kein Mann im Marathon setzt medial ein solches Ausrufezeichen, er ist die halbe Miete", sagt Renndirektor Mark Milde.

Berlin-Marathon – Gebrselassie hat sein Glück in Berlin gefunden – Sebastian Arlt in der Berliner Morgenpost

By GRR 0

Wo dieser Mann ist, verbreitet sich gleich eine positive, entspannte Atmosphäre. So ist Haile Gebrselassie eben, der momentan wohl populärste Läufer der Welt. Stets gut gelaunt präsentiert sich der 35-Jährige, auch in Berlin. Breit lächelnd, seine blinkend weißen Zähne zeigend sagt der Äthiopier: "Berlin ist meine Glücksstadt."

Das ist kein Satz, dahingesagt, um den Veranstalter und Medien zu erfreuen. Beim Äthiopier kommt er aus vollem Herzen. "Hier haben mich die Leute immer toll aufgenommen und unterstützt." Als Junior nahm er einst erfolgreich bei einem Staffellauf in Berlin teil, später war er stets siegreich, wenn er im Olympiastadion beim Istaf startete. Und vor allem: Hier hat er vor einem Jahr den immer noch gültigen Marathon-Weltrekord (2:04:26 Stunden) aufgestellt – und hier will er am Sonntag bei der 35. Auflage von Deutschlands größtem Marathonlauf erneut Großes leisten.

"Ich bin kein Prophet, eine Zeit werde ich nicht vorhersagen. Wenn es einen Rekord gibt, wäre das wunderbar, wenn nicht, probiere ich es nächstes Jahr wieder", sagt Gebrselassie. Aber er habe immer noch den Traum, eine Zeit von 2:03 Stunden zu laufen. "Ich habe das Potenzial dazu, da gibt es keinen Zweifel."
Zum dritten Mal hintereinander ist es den Berlinern gelungen, den größten Sympathieträger in der Laufszene unter Vertrag zu nehmen. "Kein Mann im Marathon setzt medial ein solches Ausrufezeichen, er ist die halbe Miete", sagt Renndirektor Mark Milde.

Gut 250 000 Euro Startgeld dürfte der Läuferstar für seinen Auftritt kassieren. Milde lässt sich da nicht in die Karten schauen: "Wir haben ihm einen Business-Flug bezahlt – der Rest ist Schweigen." Für den Sieg winken 50 000 Euro – dieselbe Summe noch einmal für einen möglichen Weltrekord.

Lange ist er dem großen Ziel, der Schnellste der Welt über die 42,195 Kilometer zu sein, hinterher gerannt. "König der Läufer ist man erst, wenn man den Weltrekord hat", diesen Satz hatte er viele Jahre vor sich hergetragen. Bis es am 30. September 2007 in Berlin klappte, umjubelt von einer Million Zuschauern an der Strecke. Als er kurz hinter dem Brandenburger Tor durchs Ziel lief, hatte Gebrselassie den bis dahin geltenden Weltrekord um 29 Sekunden verbessert. Haile, was soviel wie "meine Energie" heißt, war endlich an seinem ganz persönlichen Ziel angekommen.

Doch es geht immer weiter für den Mann, der einst über 10 000 m auf der Bahn viermal Weltmeister und zweimal Olympiasieger wurde. 18 offizielle und sieben inoffizielle Weltrekorde hat er während seiner Karriere bereits über diverse Distanzen auf der Bahn und auf der Straße aufgestellt. "Ich denke an keine Grenzen, das würde mich nur hemmen", sagt er.

Bei den Olympischen Spielen in Peking hatte der Äthiopier sich eigentlich den Traum von olympischem Gold im Marathon erfüllen wollen, doch er verzichtete, weil er wegen der Umweltbedingungen in Peking um seine Gesundheit fürchtete. "Nein, ich bereue diese Entscheidung nicht", sagt er rückblickend. Stattdessen ging er über 10 000 m an den Start und wurde Sechster. "Ich war nicht enttäuscht", erklärt er. Und seine Marathon-Vorbereitung auf Berlin sei dadurch auch nicht beeinträchtigt worden.

Renndirektor Milde gibt zu, dass er eben daran erst schon Zweifel gehabt habe. "Doch er ist sehr erfahren und hat das Ziel Berlin absolut im Auge gehabt." Die kurzzeitige Rückkehr auf die Bahn, so Milde, habe nur einen Grund gehabt: "Er fühlte sich verpflichtet und musste das für sein Land tun."

In seiner Heimat ist er der große Held. Die Hauptstraße vom Flughafen hinein in die Hauptstadt Addis Abeba ist nach ihm benannt. Jeder kennt Haile Gebrselassie, der mit Immobilien- und Baufirmen 400 Angestellten Lohn und Brot gibt. Geschäftsmann und Läuferstar – "es macht beides unheimlich Spaß." Auch wenn er manchmal gar nicht weiß, wie er alles schaffen soll, wenn er daheim ist. "Es ist oft passiert, dass ich gar nicht dazu gekommen bin, zu Mittag zu essen." Inzwischen sei er gewappnet: "Ich habe immer ein paar Snacks für zwischendurch dabei."

Erst am Freitagvormittag ist er, direkt aus seiner Heimat kommend, in Berlin eingetroffen. Der Familienmensch möchte soviel Zeit wie möglich mit seiner Frau Alem, den drei Töchtern (Aden, Miharet, Meseret) und Sohn Nathan verbringen. Die sechsköpfige Familie wohnt am Stadtrand der äthiopischen Hauptstadt. Nur selten kann er seiner musikalischen Leidenschaft nachgehen und Keyboard spielen.
Haile Gebrselassie, mit neun Geschwistern aufgewachsen, kommt aus armen Verhältnissen.

Oft bei afrikanischen Läufer als Klischee benutzt, trifft es auf ihn zu: Der junge Haile lief jeden Tag zehn Kilometer zur Schule und wieder zurück. Unter dem Arm die Schulbücher. Der Beginn der Läufer-Karriere.
Ein breites Grinsen geht übers sein Gesicht, wenn er auf sein Alter und ein mögliches Karriereende angesprochen wird. "Vielleicht höre ich in einem Jahr auf, vielleicht in zehn Jahren." Die Olympischen Spiele in London 2012? "Mal sehen." Das nächste Jahr hat er auf alle Fälle fest im Blick.

Dann findet die WM in Berlin statt. "Da komme ich sehr, sehr gern wieder."

Sebastian Arlt in der Berliner Morgenpost, Sonnabend, dem 27. September 2008 

author: GRR

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