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20
09
2009

Das Traumpaar von Berlin: Atsede Besuye und Haile Gebrselassie

Berlin-Marathon – Gebrselassie gewinnt, aber ohne Weltrekord – Michael Reinsch, Berlin, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

20. September 2009 „Gebt mir Zeit!“, bat Haile Gebrselassie nach dem Berlin-Marathon. „Ich will nicht einfach bei 2:03 Stunden aufhören. Lasst es mich versuchen!“ Zum vierten Mal hat der inzwischen 36 Jahre alte Äthiopier den größten Marathon auf dem europäischen Kontinent gewonnen.

Doch obwohl nur fünfzehn Athleten je schneller waren als er am Sonntag, machte er kein Hehl daraus, dass er mit der Siegeszeit von 2:06:08 Stunden sein Ziel dennoch enttäuschend deutlich verfehlt hatte: seinen Weltrekord von 2:03:59 Stunden um eine Minute zu verbessern. Und so musste er sich fragen lassen, ob er wirklich noch einmal den Rekord angreifen würde. „Was für eine Frage!“, antwortete er. „Ich will nicht zu Hause sitzen und mich langweilen.“ Im Übrigen will er 2012 in London auch noch Olympiasieger werden.

Alles hatte so gut begonnen am Sonntag. Gebrselassie war in Form, die Berliner Luft war bei klarem Himmel kühl. „Das wird leicht, habe ich mir heute morgen gesagt“, verriet er. „Ich werde unter 2:03 laufen.“ Den Mann, der ihm Beine machen sollte, schüttelte er schon vor der Halbzeit ab: Wilson Kibet, der kenianische Herausforderer des schnellsten Marathonläufers der Welt, der Mann, der vor fünf Monaten in Rotterdam in 2:04:27 Stunden siegte, fiel schon in Kreuzberg zurück, mehr als zwanzig Kilometer vor dem Ziel. Hüftprobleme, ließ er ausrichten, nachdem er sich weitere zehn Kilometer später aus dem Rennen verabschiedet hatte.
 
Vorn ging's derweil weiter in Rekordtempo durch Berlin. Der letzte der sechs Tempomacher, welche die Topläufer eskortierten, der Kenianer Sammy Kosgei, stieg nach knapp anderthalb Stunden aus; da waren dreißig Kilometer gelaufen, knapp drei Viertel der Distanz. In genau 1:27:49 Stunden hatten die beiden Führenden die Markierung passiert, und weil die Veranstalter umsichtig einen Kampfrichter dort platziert hatten, nahm Gebrselassie im Vorbeirennen den Straßen-Weltrekord auf dieser Distanz mit.

Er rannte, bis er nicht mehr konnte

Bis zu 37 Sekunden lagen die Zwischenzeiten unter denen des vergangenen Jahres, als Gebrselassie als erster und bisher einziger Mensch die 42,195 Kilometer in weniger als 2:04 Stunden hinter sich brachte. Alles war gerichtet für den 28. Rekord des äthiopischen Laufwunders, seinen dritten hintereinander beim vierten Sieg auf der Marathondistanz in Berlin.
 
Doch das war dem ehrgeizigen Athleten nicht gut genug. 2:45 Minuten und 2:46 Minuten ergaben die Zeitmessungen für die ersten Kilometer, auf denen er allein lief. Fast zehn Sekunden schneller als alle vorherigen lief er die Kilometer einunddreißig und zweiunddreißig. Bis auf 2:03:20 Stunden sank die hochgerechnete Zeit, die auf dem Heck des Kleinwagens vor ihm angezeigt wurde. Doch Gebrselassie wollte auch noch die letzten zwanzig Sekunden wegbekommen. Er rannte, bis er nicht mehr konnte.

„Mein Geist sagte zu meinem Körper: Das ist schlecht“, erinnerte sich Gebrselassie an den Einbruch, den er dann erlebte. „Ich wollte schneller laufen, aber mein Körper reagierte nicht. Bei Kilometer dreiunddreißig wusste ich, dass der Rekord weg ist.“ Gebrselassie widersprach nach dem Lauf dem Eindruck, dass er enttäuscht sei. „Ich bin glücklich“, beharrte er. Vor allem aber bestritt er, just dort, wo auf den Freizeitläufer der Mann mit dem Hammer wartet, die schlagartige Erschöpfung forciert zu haben. „Ich habe die Zwischenzeiten gesehen“, behauptete er. „Sie stimmen nicht.“

Vielmehr habe, als er aus dem Schatten der Bäume in die sonnendurchfluteten Straßen von Berlin-Mitte lief, die Hitze der Sonne ihn angeschlagen. „Wenn der Marathon heute um sieben Uhr morgens begonnen hätte“, sagte er, „hätten wir eine andere Zeit.“

Kiprop unterbot die schnellsten Kilometer von Gebrselassie

Unbeschwert und mit einem sonnigen Gemüt stürmte der Kenianer Francis Kiprop in 2:07:04 Stunden auf den zweiten Platz. Während der führende Gebrselassie auf den letzten zehn Kilometern praktisch 2:50 Minuten auf seine Rekord-Marschtabelle verlor, als er den 61:44 Minuten für die erste Hälfte 64:24 für die zweite folgen ließ, zeigte sich hinter ihm, dass der Nachwuchs sich nicht mehr lange auf Distanz wird halten lassen.

Francis Kiprop, der sich in einer zweiten Spitzengruppe eingerichtet hatte, forcierte erst bei Kilometer zwanzig und rannte die folgenden fünfzehn Kilometer in 43:16 Minuten. Ihn habe die Hitze nicht beeinträchtigt, sagte er, als er bei 24 Grad Celsius das Ziel erreicht hatte. Damit unterbot er die schnellsten Kilometer von Gebrselassie, die ersten fünfzehn, um mehr als vierzig Sekunden.

„Er hätte mit mir laufen sollen“, empfahl Gebrselassie dem 27 Jahre alten Kenianer, als er die Zeiten sah. Doch in Wirklichkeit dürfte er realisieren, dass selbst dem besten Läufer der Welt, einem zweimaligen Olympiasieger, viermaligen Weltmeister und demjenigen, der drei der fünf besten Marathonzeiten aufgestellt hat, die Zeit davonlaufen kann.

Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen  Zeitung, Sonntag, dem 20. September 2009 

author: GRR

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