41. Berliner Halbmarathon - Die Läufer und Läuferinnen kurz vor dem Ziel auf dem Pariser Platz - Foto: Horst Milde
Berlin – icke liebe Dir! Impressionen vom 41. Berliner Halbmarathon des SCC am 3. April 2022 von Dr. Erdmute Nieke
Der zweite Corona-Winter ist vorüber. Das Leben des letzten halben Jahres spielte sich zwischen Arbeit – den ganzen Tag unter der Maske – und vielen einsamen Laufkilometern ab. Dann Frühlingsanfang und der Berliner Halbmarathon steht im Kalender!
Petrus hat sich nicht an den Kalender gehalten und schickt Wind und Kälte am 3. April – drei Grad! Die Lauffreude kann er uns nicht nehmen. Berlin darf endlich wieder gemeinsam laufen. Über 33.000 Menschen sind gemeldet.
Die Berliner Bürgermeisterin Franziska Giffey am Start des Laufes mit Sprecher Karsten Holland – Foto: Horst Milde
21 Kilometer durch ein sehr frisches und windiges Berlin, doch nichts hält die Berlinerinnen und Berliner auf, die Strecke zu säumen, uns unermüdlich an zu feuern, Musik zu spielen und uns zu feiern!
Dazu diese wunderbare Strecke durch unsere Stadt, es gibt so viele Orte und Menschen, so viele Gedanken und Beobachtungen.
Los geht es schon morgens am Brandenburger Tor. Eine Läuferin hat sich eine blau-gelbe Fahne und ein schwarzes Peace-Zeichen auf die Wange gemalt und bittet mich um ein Foto am Tor. Unterwegs sehe ich immer wieder blau-gelb und Friedenszeichen. Die Läufer:innen tragen es vielfach und die Stadt ist an so vielen Orten mit den ukrainischen Farben geschmückt.
Vor der russischen Botschaft Unter den Linden hängt eine Wäscheleine zwischen den Bäumen mit vielen Kindersocken und einem Schild: 86 Kinder sind Opfer von Putins Krieg geworden. Eindrücklich! Diese Installation haben heute hoffentlich viele Menschen wahr genommen!
Auch sonst entdecke ich viel zum Thema Gerechtigkeit und Frieden unterwegs. Ärzte ohne Grenzen ist mit unglaublich vielen Leuten an und auf der Strecke unterwegs. Ebenso SeaWatch, etliche Läufer:innen tragen das Shirt der zivilen Seenotrettung. Im Netz finde ich, dass sie 300 Läufer:innen am Start hatten und heute 150.000 € Spenden erlaufen haben. Toll! Möge ihre Arbeit hilfreich sein! Die Kampagne „Berlin AUTOfrei“ sehe ich mehrfach unterwegs. Das passt irgendwie zum Tag. Denn die großen Straßen gehören heute uns Läufer:innen: der Kudamm ohne Autos oder die Leipziger Straße – frischere Luft und mehr Ruhe.
Die Ruhe ist anders als bei meinen einsamen Waldläufen im letzten Winter, denn die Bands, die zu den großen Berliner Läufen gehören, sind alle wieder da! Trotz Kälte und Wind spielen und singen und trommeln sie unermüdlich für uns! Wie viele Berliner:innen sorgen so für unser Vorankommen? DANKE! Berlin – icke liebe Dir!
Auf dem Pariser Platz – im Hintergrund der Fernsehturm – Foto: Horst Milde
Der nächste riesige Dank geht an die unermüdlichen Helfer:innen, in diesem Jahr in weißen Jacken: Kleideraufbewahrung, Streckenposten, Wasserausgabe, Maskenverteiler:innen oder Medaillenumhänger:innen. Hier treffe ich auch die meisten nicht laufenden Hübis. Denn unser Lauftreff von Bernd Hübner kennt an solch einem Tag nur zwei Dinge: Laufen oder helfen! Das bei diesen winterlichen Temperaturen! DANKE! Berlin – icke liebe Dir!
Auf den 21 Kilometern schwirren mir etliche Berliner:innen der Geschichte durch den Kopf, die mit Orten an der Laufstrecke verbunden sind.
Da ist der Ernst-Reuter-Platz. Ernst Reuter, der große Berliner Bürgermeister, der so viel für den Wiederaufbau der Stadt nach dem zweiten Weltkrieg getan hat. Am Schloss Charlottenburg geht es vorbei. Im Schlossgarten befindet sich das Mausoleum von Königin Luise. Die preußische Königin hat versucht Napoleon vom Frieden zu überzeugen.
Medaillen im Ziel – Foto: Horst Milde
Am Nollendorfplatz erinnere ich mich an die Berlinerin Marlene Dietrich, die hier in den Kneipen der zwanziger Jahre ihre Karriere als Schauspielerin begann. Das Kostüm, das sie im berühmten Film „Der blaue Engel“ trägt, haben ihre Freunde aus einer Transvestiten-Bar am Nollendorfplatz ihr ausgeliehen. Später unterstützt sie die amerikanischen Soldaten im Krieg gegen Hitlers Deutschland.
Auf der Potsdamer Straße laufen wir an der Joseph-Roth-Diele vorbei. Hier lebte der jüdisch-galizisische Schriftsteller, der gegen die Nationalsozialisten und gegen Krieg schrieb.
Kurz vor dem Gendarmenmarkt laufen wir am Stolperstein für den Domprobst Bernhard Lichtenberg vorbei. Er betete in der Hedwigskathedrale in jeder Messe für die verfolgten Juden und Jüdinnen. Dafür wurde er von den Nationalsozialisten verhaftet und starb in der Haft. Die Laufstrecke ist voller Geschichten von Menschen, die sich auf verschiedenste Weise für den Frieden einsetzten: Singend, betend, schreibend oder in der Politik.
Wir laufen durch das Regierungsviertel: Bundestag, Bundesrat, Kanzleramt, Finanzministerium, Auswärtiges Amt. Mögen unsere Politiker:innen kluge Entscheidungen treffen für den Frieden auf dieser Welt!
Stimmung mit der Trommelband auf dem Boulevard Unter den Linden – auf dem letzten Kilometer – Foto: Horst Milde
Vielleicht können 33.000 Läufer:innen auch ein kleines Friedenszeichen sein, denn Menschen aus so vielen Ländern laufen in dieser Stadt fröhlich und friedlich miteinander und alle freuen sich über die schöne Medaille und den errungenen persönlichen Sieg.
Unterwegs sehe ich eine Frau mit einem Schild: Respekt für alle Läufer. Das möchte ich erweitern: Respekt und Frieden für alle Menschen auf der ganzen Welt!
Das ist ein Sonntag in Berlin gewesen! Berlin – Icke liebe Dir!
Dr. Erdmute Nieke