LSB-Hintergrundgespräch zu einem der wichtigsten Projekte im Nachwuchsbereich des Berliner Sports ©LSB Berlin
berlin hat talent – Berliner Drittklässler sind keine Sportmuffel – SPORT in BERLIN
„Berlin hat Talent" ist ein Nachwuchsförderprojekt, das der LSB mit dem Senat ins Leben gerufen hat. Alle Berliner Drittklässler sollen den Deutschen-Motorik-Test absolvieren.
Danach wird ihnen entsprechend ihrer Leistungen empfohlen, in Bewegungsfördergruppen Spaß an Sport und Bewegung zu entdecken oder bei Talentiaden und später in Vereinen ihre Talente unter Beweis zu stellen. Im Schuljahr 2015/16 wurden dazu 7133 Drittklässler aus 122 Berliner Schulen der Bezirke Charlottenburg-Wilmersdorf, Lichtenberg, Pankow, Tempelhof-Schöneberg und Treptow-Köpenick untersucht.
Die Ergebnisse stellten LSB-Präsident Klaus Böger, Prof. Dr. Jochen Zinner von der Hochschule für Gesundheit & Sport, Dr. Thomas Poller von der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft und LSB-Abteilungsleiter Frank Schlizio vor.
Der Ergebnisbericht der Hochschule für Gesundheit & Sport, Technik & Kunst zeigt, dass Berliner Schüler in diesem Altersbereich über gute körperliche Fitness verfügen und im bundesweiten Durchschnitt mehr überdurchschnittliche, weniger unterdurchschnittliche Ergebnisse erreichen.
Berlin hat wirklich Talent – Treptow-Köpenick mit 19% beispielsweise mehr als Tempelhof-Schöneberg mit 11%!
Drittklässler können – entgegen dem Stigma – auch rückwärts balancieren, sind zu 76% normalgewichtig. Sie bewegen sich gern und nennen zu 67% Sport als Hobby. Weit mehr als 90% der Schülerinnen und Schüler freuen sich auf den Sportunterricht in der Schule. 71% würden gerne mehr Sport treiben.
44% der Schülerinnen und Schüler (Jungen 52%, Mädchen 37%) sind in einem Sportverein (in Charlottenburg-Wilmersdorf mit 51% am meisten, in Lichtenberg mit 42% am wenigsten), finden dort Freunde und profitieren von der Aktivität dort: 22% der Schülerinnen und Schüler in Vereinen sind überdurchschnittlich fit, sonst nur 9%!
Auch wenn jeder Dritte der Achtjährigen einen eigenen Computer, ein eigenes Handy oder einen eigenen Fernseher – etwa 10% sogar alle drei Medien – nutzen, sind sie nicht am liebsten am Computer, sondern spielen gerne draußen und wollen sich dabei auch anspruchsvoll bewegen. Die modernen Medien rücken gerade auch in diesem Alter mehr und mehr in die Lebenswelt der Drittklässler – das muss aber in diesem Alter kein Bewegungskiller sein.
Insgesamt lassen die Befunde – immer öfter auch umfangreiche Untersuchungen anderer Wissenschaftsteams – massive Zweifel an den inflationären Bekundungen des gravierenden Rückgangs der motorischen Leistungsfähigkeit in diesem Alter aufkommen.
Ob das alles in höheren Altersklassen allerdings so bleibt, hängt von Eltern, Schule, Verein, Gesellschaft ab. Wenn in dieser für Kinder bedeutsamen Entwicklungsphase, die insbesondere auch durch schnelle Fortschritte in der motorischen Lernfähigkeit charakterisiert ist, eine bewegungsfreundliche und -anregende Lebenswelt geschaffen wird, kann das gelingen. Sorge besteht allerdings, wenn man z. B. den Negativtrend im Sanierungsstau von Berlins Sportanlagen beobachtet.
Viel zu tun gibt es auch, weil z.B.:
• die 10% derjenigen mit motorischen Schwächen (das sind immerhin 339 Schülerinnen und Schüler), die keinem Verein angehören und deshalb vielleicht eine schlechte Prognose haben, noch immer zu groß ist;
• die Maßstäbe, die unsere Drittklässler an ihre motorische Leistungsfähigkeit stellen, viel zu niedrig sind. Weniger als 20% schätzen ihre Sportlichkeit richtig ein. Hier liegt eine große Verantwortung bei den Schulen: Im Sportunterricht kann (und muss) der Vergleich organisiert werden, auch der sportliche! • der Sport in der Schule offenbar zu viel „Nur geradeaus rennen" und zu wenig für das Zeitalter der Boarder und Parcour-Traceure bietet;
• der Einzug moderner Kommunikationstechnik in die Lebenswelt dieser Altersklasse zu wenig mit einer Offensive an attraktiven Bewegungsangeboten verbunden wird;
• die zu vielen stark übergewichtigen Schüler (in diesem Schuljahr 582 der Untersuchten!) noch zu wenig in Vereinen integriert sind.
Offenbar entscheidet sich gerade in diesem Alter, ob die Bewegungsaffinität der Schüler aus der Balance zum Kippen kommt.
Mit dem Ziel einer Talentfindung wurden im Schuljahr 2015/2016 3125 Schülerinnen und Schüler mit überdurchschnittlichen motorischen Fähigkeiten vom LSB zu „Talentiaden" eingeladen, bei denen sich dann insgesamt 812 (26%) auch verschiedenen Berliner Vereinen und Verbänden vorgestellt haben. Daraus wurden Talentsichtungsgruppen gebildet und begonnen, sie zielgerichtet zu fördern. Die Ergebnisse im Vorjahr lassen erwarten, dass etwa jeder zweite Teilnehmer an der Talentiade, der nicht schon im Verein organisiert ist, Mitglied eines Vereins wird (ca. 200 neue Mitglieder).
Gleichermaßen wurden auch jene Kinder mit motorischem Förderbedarf unter dem Motto „Bewegung macht Spaß" zu Bewegungsfördergruppen eingeladen. Aktuell nutzen das 176 Schülerinnen und Schüler im Rahmen eines Jahreskurses. Die Entwicklung und Evaluierung auf diese Gruppen zugeschnittener Interventionsprogramme und deren langfristige Förderung unter zentraler Führung des LSB und der Schulverwaltung rückt in den nächsten Jahren entscheidend in den Vordergrund.
Das Projekt „Berlin hat Talent" wird von der Berliner Sparkasse, der AOK Nordost, der Berlin Recycling GmbH sowie den Senatsververwaltungen für Inneres und Sport, Bildung, Jugend und Wissenschaft und Gesundheit und Soziales unterstützt.
SPORT in BERLIN – November/Dezember 2016