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05
04
2023

Frauenpower vor dem Start, - Foto: Iki Freiwald

Berlin – endlich autofrei! Impressionen vom 42. Berliner Halbmarathon am 2. April 2023 von Dr. Erdmute Nieke  

By GRR 0

Als Berlinerin habe ich ein BVG-Jahresabo, ergänzt mit einer Fahrradmonatskarte und bewege mich durch die Stadt meist aus einer Kombination von S-Bahn, U-Bahn und Fahrrad. Dabei muss ich mir die Straßen immer mit fahrenden und parkenden Autos teilen und den Lärm und die Abgase der Autos aushalten.

Auch deshalb liebe ich die großen Berliner Straßenläufe! Die Straßen gehören uns Läufer:innen! Es geht oder ES LÄUFT! 35.000 Läufer:innen sorgen für eine autofreie Stadt!

Schon morgens am S-Bahnhof treffe ich die ersten Freund:innen aus unserem Lauftreff Bernd Hübner. Gemeinsam fahren wir S-Bahn – die Startnummer ist auch das Ticket – und haben Zeit zum Plaudern: Trainingszustand, Zielvorhaben und Wettkämpfe im Jahr 2023. An jeder S-Bahn-Station werden es mehr Läufer:innen, sie sind erkennbar an den typischen Kleiderbeuteln.

An der Station Brandenburger Tor verlassen wir alle die gut geheizte Bahn und werden von einem sehr frischen Berliner Morgen begrüßt. Es folgt das obligate Fotoshooting vor den historischen Gebäuden, dann Kleiderbeutelabgabe und auf in den Startblock. Dixis am Start ohne Schlange stehen und schon bald dürfen wir auf die Strecke!

Der Wind ist kalt an diesem Morgen, aber viel frischer als sonst! Denn der 17. Juni, der Große Stern und die Otto-Suhr-Allee –  vierspurige Autostraßen – gehören uns Läufer:innen allein. Fast allein! Die ersten Musiker:innen stehen am Ernst-Reuter-Platz und die Fans säumen die Straßen! Das kalte Wetter stört sie alle nicht!

Kurz vor dem Schloss Charlottenburg kommt die Sonne aus den Wolken! Die grüne Kuppel vom Schloss leuchtet vor dem blauem Himmel! Lange kann ich nicht schauen, denn die Strecke biegt in die Schlossstraße ein. Am ersten VP viele Helfer:innen vom LT Bernd Hübner, die uns Wasser und Tee reichen. Dina bekommt im Tausch meine Mütze und meine Handschuhe. Dann Ecke Kaiserdamm beste Stimmung mit einer riesigen Big-Band. Eine vollkommen neue Straßennutzung: Musik und Sport! So will ich das alle Tage!

Der Halensee liegt unter uns und vor uns der Funkturm. Die Neue Kantstraße ist auch für nur uns! Sonntagspaziergänger flanieren über die zweite autofreie Spur. Manuela erwischt mich zum zweiten Mal mit der Kamera. In der Droysenstraße hinter dem S-Bahn-Tunnel wieder ein Hotspot mit Straßenfestcharakter: Live-Musik und gute gelaunte Berliner:innen feuern die laufende Menge an!

Am Kaiserdamm  – Foto: Manuela Mühlhausen

Dann am Wendepunkt Kudamm steht unser Bernd Hübner und fotografiert alle vom LT. Die Zuschauer:innen stehen dicht gedrängt, dazu wieder eine Live-Band und – abgesehen von einem Krankenwagen mit Blaulicht – keine Autos! Auch der Kudamm gehört uns heute. Auf dem erhöhten Mittelstreifen kann ich die ersten bunten Frühlingsblumen wahr nehmen. Sonst können diese Osterglocken und Stiefmütterchen nur die Autofahrer:innen im Stau bewundern. Gegenüber vom Cinema Paris steht Blackmail Berlin, eine meiner Lieblingsbands und heizt wie alle Jahre ein. Das tut gut, denn wir haben zwar Sonne, aber auch reichlich frischen Gegenwind. Gefühlt ist ganz Berlin auf den Beinen am Kudamm.

Dann kommt der alte und der neue Turm der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche vor blauem Himmel und Tauentzienstraße mit dem KaDeWe und die Bülowstraße. Auf der anderen Straßenseite sehe ich das neue George-Grosz-Museum. Im Juli könnte dieser berühmte Berliner seinen 130. Geburtstag feiern.

Auf der Potsdamer Straße heute keine Autoabgase, dafür durftet es nach Döner, Falafel und Co. – mein Magen meldet einen ersten Hunger an. Viele stillen diesen wohl an der Maurten-Station. Der Asphalt ist von den weggeworfenen Geltuben bereits total verklebt. Die Laufgeräusche verwandeln sich in ein ziemlich spezielles klebriges Quietschen. Bis zum Potsdamer Platz ist das Quietschen weggelaufen. Die Straßenschlucht zwischen den Hochhäusern ist besonders windig, aber die Musik trägt uns weiter.

Am Platz des Volksaufstandes 1953 – 70 Jahre ist das nun bald her – biegen wir in die Wilhelmstraße ein. Eine weitere Trommelgruppe steht vor dem Finanzministerium. Ob die Trommeln und die fehlenden Autos den Finanzminister verwundern und zum Nachdenken bringen? Die Berliner Laufsonntage beweisen es: Es geht ohne Autos!

Am berühmten Checkpoint Charlie laufen wir am alten Wachhäuschen vorbei, viele Touristen schauen ganz erstaunt auf die nicht abreisende Läufer:innenmenge.

Es geht die Leipziger Straße hoch. Am 8. März waren wir auf ihr zu viert in Erinnerung an Käthe Kollwitz gerannt und waren genervt von dem Lärm und dem Gestank, den die sechsspurige Autostraße hinterlässt. Heute: frische Luft und Ruhe! So will ich das alle Tage!

Am Spittelmarkt laufen wir über die Spree und vorbei der Baustelle des Houses of One – hier werden Jüd:innen, Christ:innen und Muslim:innen mal gemeinsam beten.

An der sterilen Schlossfassade des neuen Humboldt-Forums vorbei geht es nun in Richtung Ziel. Wir laufen am Außenministerium entlang. Ob die Außenministerin sich über den fehlenden Autoverkehr freut? Ich will es hoffen! Dann folgt eine Ehrenrunde über den klassizistischen Gendarmenmarkt.

Das Gebäude der Komischen Oper an der Ecke unter den Linden erinnert mich an so viele so gute Opernabende, doch lange kann ich nicht über die Kunst sinnieren, denn es geht auf die Zielgerade. Gegenüber der russischen Botschaft kommt für mich noch ein Moment des Nachdenkens. Die Zuschauer:innen haben an die Absperrung vor der Botschaft riesige blau-gelbe Fahnen gehangen. Solidarität mit der Ukraine!

Dann mein Tor, das Tor der Freiheit. Die Zuschauer:innen sind außer Rand und Band, als wollten sie die Kälte weg schreien. Der Zieleinlaufsprecher zwischen Musik und Jubel! Das Brandenburger Tor ist passiert und der rote Zielbogen kommt in Sicht! Und: Wieder ist es geschafft!!! Ich bekomme meine Medaille! Groß und schwer und schön ist sie! Es ist meine zehnte vom Berliner Halbmarathon! Freude und Glück über das Laufen dürfen in einer autofreien Stadt!

 Geschafft – der 42. Berliner HM – der 10. für mich – Foto: Erdmute Nieke

Trotz der Kälte schmeckt das Erdinger Alkoholfreie wunderbar, alle haben sich in die weißen Folien gepackt und schlürfen ihr Bier! Und dann schnell zum Kleiderbeutel und trockene Sachen angezogen und noch ein Foto mit dem Bundestag und dann auf in die warme S-Bahn.

Was bleibt: Mein Dank an die vielen, vielen Menschen, die diesen autofreien Lauf-Sonntag ermöglichen! Die ehrenamtlichen Helfer:innen, das Team vom SCC, die Sanitäter:innen, die Polizist:innen, das Sicherheitspersonal, die Musiker:innen, und, und, und… bitte macht alle weiter!

Denn auch 2024 wollen wir Läufer:innen wieder dieses Straßen-Lauf-Fest feiern in einem bunten Berlin – autofrei!

Dr. Erdmute Nieke

www.lauffreude.berlin

https://germanroadraces.de/?p=212384

 

 

 

 

 

 

 

 

author: GRR