Blog
28
04
2009

Irina Mikitenko auf dem Weg zum Sieg

Berlin, Berlin – Irina Mikitenko – wie ein Schwergewichts-Champion – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

27. April 2009 Jeder Marathon führt unweigerlich in die Zukunft. Jeder Wettbewerb ist auch die Vorbereitung auf den nächsten. Jedes gute Ergebnis birgt ein Versprechen. Mit ihrem souveränen Sieg beim London-Marathon in 2:22,11 Stunden und dem Triumph über Weltmeisterin Catherine Ndereba und Olympiasiegerin Constantina Dita hat sich Irina Mikitenko am Sonntag auf den Weg gemacht, im August bei der Weltmeisterschaft in Berlin die Goldmedaille zu gewinnen.

Wie einen Schwergewichts-Champion im Boxen präsentierten die Veranstalter in London die nicht einmal einen Zentner schwere Siegerin. „Die unangefochtene Nummer eins der Welt“, pries der Moderator sie nach ihrem zweiten Erfolg an der Themse. „Eine Schande, dass sie in Peking nicht antreten konnte! Heute hat sie alle drei Medaillengewinner der Olympischen Spiele besiegt.“ Zunächst wehrte sich Irina Mikitenko noch gegen den Vorgriff auf künftige Erfolge. „Ich bin erst mal glücklich mit dem, was ich heute erreicht habe“, beharrte sie, bevor sie am Montagabend nach Hause flog nach Freigericht in Hessen. „Für das, was ich morgen erreichen will, muss ich noch hart trainieren.“
Anzeige

„Berlin ist meine Glücksstadt“ – Laufwunder Mikitenko: Nur die Motorräder konnten mithalten
 
Doch dann gestand sie, dass die Rückschau auf ihren verletzungsbedingten Ausfall bei den Olympischen Spielen sie bis heute schmerze. „In Berlin und in London habe ich mit einem lachenden und einem weinenden Auge gesiegt“, sagte sie; schließlich war der Start in der deutschen Hauptstadt nur möglich, weil sie vier Wochen vorher in Peking ausgefallen war. Ihre Bestzeit von 2:19,19 bewies, wie gut sie in Form war. „Wenn ich weiter so gut laufe“, sagte sie nun, „kann das Peking vergessen machen.“

Zum Trost für die verpasste Chance bei den Olympischen Spielen soll ein Erfolg bei der Weltmeisterschaft her. „Berlin ist meine Glücksstadt“, wiederholt die Läuferin gern; dort ist sie beim Halbmarathon auf den Geschmack gekommen, dort hat sie im Herbst 2007 ihr Debüt auf der 42,195 Kilometer langen Strecke gegeben, dort ist sie ein Jahr drauf die viertschnellste Marathonläuferin der Welt geworden (siehe: „Berlin, Berlin“: Irina Mikitenkos Marathonleben). In diesem Jahr winkt ihr dort in ihrem erst fünften Marathon die Goldmedaille.

Am Tag des Rennens, dem Schlusssonntag der WM, wird es für Irina Mikitenko so oder so etwas zu feiern geben. Sie wird an diesem 23. August 37 Jahre alt. Die Vorbereitung darauf, endlich die Goldmedaille zu gewinnen, begann schon vor London.Nach der Rückkehr vom Trainingslager am 1600 Meter hoch in Kirgisistan gelegenen Issyk-Kul-See setzte sie sich bewusst dem gesteigerten Interesse der Öffentlichkeit und den hohen Erwartungen von Freunden und Bekannten aus. „Es ist etwas völlig anderes, hier zum ersten Mal zu laufen oder den Titel zu verteidigen“, sagte sie. „Ich bin froh, dass ich solch einen Druck aushalten kann.“ So spricht man nicht von der Vergangenheit, sondern von der Zukunft.

Bis in die vergangene Woche kokettierte Irina Mikitenko noch mit der Behauptung, sie sei eigentlich eine Anfängerin auf der Marathonstrecke. Das hat sich geändert. „Ich merke, dass die Läuferinnen viel mehr Respekt vor mir haben“, sagte sie. Der Deutsche Leichtathletik-Verband unterstützt seine Favoritin, indem er Ehemann Alexander ein Trainerhonorar zahlt, das es ihm ermöglicht, sich vom Schichtbetrieb in einer Metallschmelze beurlauben zu lassen. „Er ist mein Trainer und mein Manager“, beschrieb sie seine Aufgabe im Team Mikitenko, „mein Masseur, mein Koch, mein Chauffeur.“

„London ist ein gutes Pflaster für mich“

Noch vor einem Jahr ließ sie sich davon überraschen, dass in London die Trinkflaschen auf der linken Straßenseite bereitgestellt werden; eine übersah sie, eine fiel ihr aus der Hand, weil sie mit links nicht zuzugreifen gewohnt war.
 
Kein Blick für die Sehenswürdigkeiten

Ihr Mann, der sie sonst auf dem Fahrrad begleitet, war nun mit der U-Bahn unterwegs, um ihr Zwischenzeiten vom Straßenrand aus zuzurufen. Auch an die britischen Maßeinheiten musste sich Irina Miktenko gewöhnen. Erst als sie im vergangenen Jahr zwischen Meile 18 und 19 auf dem Boden ihrer Trinkflasche nachschaute, welche Platzierungsangabe ihr Mann dort hingeschrieben hatte, realisierte sie, dass sie schon dreißig Kilometer hinter sich gebracht hatte und es Zeit war, das Tempo zu verschärfen. Irina Mikitenko will dem Umstand, dass sie die Stadtmarathons von Berlin und London im Nationaltrikot bestreitet, keine große Bedeutung beimessen. Sie sehe sich nicht in der Pflicht, darauf hinzuweisen, dass sie Deutsche ist. „Mein Sponsor hat sich das gewünscht“, sagte sie. „Es hat mir Glück gebracht.“

„Bei den Olympischen Spielen 2012 bin ich erst 39“

Die Frage, ob sie wohl größere Aufmerksamkeit erregte und mehr Sponsoren als ihren Ausrüster Nike und die Trainings-Website Vicsystem hätte, wenn ihr Name weniger nach ihrer kasachischen Heimat klänge, hält sie für irrelevant. „Ich bin Irina Mikitenko und niemand anders“, sagte sie entschieden.
Die Lauf-Queen von London

Die Lauf-Queen von London

Vier Marathonläufe hat sie erst bestritten, drei davon gewonnen. Läuft Irina Mikitenko weiterhin so erfolgreich und effektiv – im vergangenen Jahr gewann sie den Jackpot der größen Marathonläufe der Welt von 500.000 Dollar und führt auch in diesem Jahr die Wertung an – steht im August 2012 ihr elfter auf dem Programm. Er dürfte ihr wichtigster werden: der olympische. Elf Tage nach der Schlussfeier wird sie vierzig. „London ist ein gutes Pflaster für mich“, sagte sie in der vergangenen Woche. „Bei den Olympischen Spielen 2012 bin ich erst 39.“

Sie laufen, werfen, gehen, springen und haben dabei nur ein Ziel: Die Leichtathletik-WM vom 15. bis 23. August in Berlin. FAZ.NET begleitet die Topathleten auf ihrem Weg zu dem Sportereignis des Jahres: „Berlin, Berlin“ – Der Countdown zur Leichtathletik-WM 2009. Noch 17 Wochen.

Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Dienstag, dem 27. April 2009

author: GRR

Comment
0

Leave a reply