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28
07
2014

In dubio Prothese: Markus Rehm springt am weitesten und sorgt für Diskussionen ©Camera 4

Beinamputierter Weitsprungmeister Rehm – Hilft die Prothese auf die Sprünge? Michael Reinsch, Ulm in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

Die deutschen Leichtathleten haben ihre Sensation: der unter dem rechten Knie amputierte Weitspringer Markus Rehm ist deutscher Meister im Weitsprung. Am Samstagnachmittag steigerte der 25-jährige aus Leverkusen im Donaustadion von Ulm seine Bestleistung und damit den Weltrekord in seiner Klasse um 29 Zentimeter auf 8,24 Meter.

Damit übertraf der Paralympics-Sieger von London 2012, erster gehandicapter Teilnehmer deutscher Leichtathletik-Meisterschaften, den Europameister von Barcelona 2010, Christian Reif, um vier Zentimeter (8,20). Der Europameister von Helsinki 2012, Sebastian Bayer, kam mit 7,62 Meter auf Platz fünf.

Diese drei dürften, da sie alle die Norm von 8,05 Meter erfüllt haben, am Montag vom Deutschen Leichtathletik-Verband für die Europameisterschaft in vierzehn Tagen in Zürich nominiert werden.

Bayer kritisierte nach dem Wettkampf, dass Rehm vermutlich einen Vorteil habe. „Die Prothese sieht gefühlte fünfzehn Zentimeter länger aus als das andere Bein“, sagte er. „Mein Sprungbein ist gleich lang wie das andere.“

Bundestrainer Uwe Florczak kritisierte, dass nicht vor dem Start von Rehm festgestellt wurde, ob die Karbonfeder, die er als Prothese trägt, einen Vorteil bietet oder nicht. „Der Verband hat geschlafen“, sagte er. Man hätte die notwendigen Sportwissenschaftlichen Untersuchungen anberaumen sollen, nachdem Rehm den Weltrekord auf 7,95 Meter gesteigert hatte.

Rehm hat Verständnis für die Zweifel

„Kein Athlet freut sich über eine Leistung, die nicht fair entstanden ist“, sagte Rehm nach dem Wettkampf zu den Zweifeln. „Das geht auch mir so. Ich verstehe die Zweifel anderer. Auch deshalb wünsche ich mir eine Klärung.“ Er wies den Vorwurf zurück, neue Teile eingesetzt zu haben. Nach seiner Überzeugung habe er durch die Prothese keinen Vorteil.

Rehm, von Beruf Orthopädiemeister, erklärte, warum seine Prothese länger sein müsse als ein „normales“ Bein; um nämlich ein rundes Gangbild zu ermöglichen. Die Prothese gebe nach im Vollsprint beim Anlauf, deshalb müsse sie etwa drei bis vier Zentimeter länger sein. Seine Sprintprothese sei sogar noch länger, da sie weicher sei.

Verbände in Verlegenheit

Nicht wenige hatten Markus Rehm einen Sensations-Sprung gewünscht mit dem Hintergedanken, dass ein überlegen weiter Flug – am besten auf die noch nie erreichte Weite von neun Meter – die Prothese als Hilfsmittel diskreditiere. Nicht nur der deutsche Verband kommt durch die herausragende Leistung in Verlegenheit, auch der europäische Verband ist erstmals mit der Teilnahme eines Athleten mit Prothese konfrontiert, nachdem auf Weltniveau der südafrikanische „Bladerunner“ Oscar Pistorius den Weltverband vor eine ähnliche Probe gestellt hatte.

Die Regeln verbieten pauschal Hilfsmittel, die einen Vorteil verschaffen; ob dies der Fall sei, muss entsprechend der Regeln der für den Weitsprung zuständige Kampfrichter treffen.

Der DLV hatte vorab immerhin bestimmt, dass Rehm unter Vorbehalt starte. Sollte sich erweisen, dass ihm die Prothese einen Vorteil verschafft, werde er aus der Wertung gestrichen – also seinen Titel und die Qualifikation für Zürich verliert. Ein Ergebnis ist in den nächsten Wochen allerdings nicht zu erwarten.

Die Leistung sei nach dem aktuellen Regelwerk erzielt worden, sagte Chefbundestrainer Idriss Gonschinska. Rehm verdiene allen Respekt.

Um möglichen Einsprüchen vorzubeugen, waren für das Weitsprung-Finale nach den ersten drei der sechs Durchgänge neun statt wie üblich acht Teilnehmer zugelassen. Titelverteidiger Alyn Camara nutzte auch das nichts. Sein einziger gültiger Sprung trug ihn lediglich 7,49 Meter weit – Platz zehn.

Der ehemalige Leichtathletik Präsident Helmut Digel meldete sich von der Junioren-Weltmeisterschaft in Eugene (Oregon) und warf der Führung des Verbandes vor, die Entscheidung über Starterlaubnis oder Startverbot Naturwissenschaftlern zu überlassen. Rehm und die anderen Weitspringer bestritten völlig unterschiedliche Wettbewerbe; es sei eine politische Entscheidung nötig, diese entweder zusammenzufügen oder grundsätzlich zu trennen.

 

Michael Reinsch, Ulm in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Sonnabend, dem 26. Juli 2014

author: GRR

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