In seinen Versformen produziert er vielfältige verbale Variationen des Laufens, immerzu seines eigenen ausdauernden Laufens.
Beim Lesen schmunzelnd stolpern … Siegfried R. Schmidt: pulsschlag. Gedichte und Geschichten zum Ausdauersport – Die Buchrezension von Prof. Dr. Detlef Kuhlmann
Bände mit Lauflyrik sind her selten. Manfred Steffny selbst war mit seiner vor einem viertel Jahrhundert herausgegebenen kleinen Anthologie „Lauf-Lyrik“ (Hilden 1985) der Trendsetter, damals u. a. mit Beiträgen von Günter Herburger, Ingo Insterburg und Werner Sonntag.
Aber was kam eigentlich danach? Der neue Band von Siegfried R. Schmidt macht der Knappheit der Lauflyrik endlich ein Ende – mehr noch: Der inzwischen pensionierte Berliner Berufsschullehrer erfindet die Lauflyrik neu:
In seinen Versformen produziert er vielfältige verbale Variationen des Laufens, immerzu seines eigenen ausdauernden Laufens. Er begegnet uns im wahrsten Sinne des Wortes als laufender Dichter und als dichtender Läufer in Versen und auf Füßen. Aus seinen Texten explodiert die geballte Lauf- und Triathlon-Erfahrung aus mehr als drei Jahrzehnten. Alles ist kompakt und konkret komponiert: Da wird Zeile für Zeile sorgsam gesetzt. Da sitzt jedes Wort. Und da kommen trotzdem fortlaufend Überraschungen daher, über die wir dann beim Lesen geradezu schmunzelnd stolpern.
Gleich im ersten Text mit dem grammatikalischen Terminus „personalpronomen“ konjugiert Schmidt uns durch: „ich laufe heute, du läufst mit mir mit? Er läuft leider nicht“ … Schmidt unterscheidet sowohl im Singular als auch im Plural pronominal zwischen Läufer und Nicht-Läufer, trennt dann sogar zwischen den Laufaktiven und dem zugeneigten Publikum. Denn die beiden letzten Zeilen lauten demzufolge: „und alle, die uns so interessiert anschauen, sie laufen gar nicht“. Schmidt sucht in seinen Gedichten stets den Dialog zu seinen Leserinnen und Lesern, manchmal sogar pädagogisch imprägniert wie in „der zögerer“, zu dem die innere Stimme offenbar sagt: „du sollst laufen“!
Schmidt macht einem die Entscheidung leicht, in dem er von außen zuruft: „denk an das gefühl danach“! Schmidt nimmt uns fortlaufend mit auf die Piste wie beispielsweise bei einem Wettkampf an die „getränke-station“. Seine Beobachtungen vollziehen sich geradezu schrittweise: „bersten am boden die becher“ und „quetschen sich bananenreste ins profil“. Manchmal gerinnen sie sogar zu einer leisen Laudatio von Laufevents wie in den Gedichten „berlinmarathon“ und „hiddensee“.
Schmidt versteht es exzellent, mit wenigen Worten, manchmal auch nur mit einzelnen Buchstaben zu experimentieren – frei nach der sog. konkreten Poesie und seinem Protagonisten Ernst Jandl. Schmidts Basis sind dann beispielsweise Begriffe aus dem Laufen wie „laufschuhe“ und „lauftraining“ oder wie „laufgruppe“ und „marathon“. Durch einfaches Weglassen, unkonventionelle Trennungen, Wiederholungen oder dreiste Durchmischung der Buchstabenfolge entstehen in diesen Laufgedichten völlig neue Bedeutungen oder sie avancieren zur fast unaussprechlichen Lauf- und Lautmalerei. Beim Laufen können wir eben auf solche und auf solche Töne hören … und hineinhorchen in unseren „pulsschlag“, jenen Fünfzeiler auf Seite 37, der als Titel über dem Band steht.
Versucht man einen verbindenden Bogen über alle 54 Miniaturen aus den vier Hauptkapiteln zu spannen und nimmt man dann noch die sieben Kurzgeschichten sowie den abschließenden zweiseitigen Text über „Ausdauersport und Meditation“ hinzu, dann handelt es bei dem schmalen Band von Schmidt um bescheiden vorgetragene Bekenntnisformeln eines ausdauernden Lauf-Experten auf flotten Füßen und eines ebenso andauernden Gedicht-Erfinders mit fleißigen Fingern am Schreibgerät, der uns weite Einblicke in seine persönliche Laufphilosophie gewährt.
Seine „Gedichte und Geschichten zum Ausdauersport“ (Untertitel) können wir beim Lesen behutsam mit unseren eigenen Erfahrungen spiegeln. Trotzdem gilt: Schmidt will uns seine Einsichten nicht aufzwingen. Schmidts Gedichte sind eben Ansichtssache. Aber sie können anziehend wirken. Wer sich auf sie einlässt, wird sogar herausgefordert, eigene neue Perspektiven beim Lesen der Werke zu entdecken und diese später womöglich mit eigenen neuen Eindrücken beim Laufen anzureichern.
So steht doch schon im hinteren Klappentext zu lesen, dass „durch Sport auch die Kreativität Purzelbäume schlägt“. Das zu prüfen geht nur im Selbstversuch. Schmidts Lauflyrik-Band ist dafür eine wunderbare Anleitung.
Prof. Dr. Detlef Kuhlmann
Siegfried R. Schmidt: pulsschlag. Gedichte und Geschichten zum Ausdauersport. Zwiebelzwerg Verlag: Willebadessen 2009. 64 S.; 8,50 €