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10
03
2008

Liu Xiang startet bei der Hallen-WM, um an seiner Schwäche zu arbeiten, und wird souverän Weltmeister. Auch weil sein Widersacher aus Kuba nicht mitspielt

Bei der Mission Valencia fehlt nur der Antreiber – Michael Reinsch in Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

VALENCIA. Vielleicht ist die Hallen-Weltmeisterschaft für Liu Xiang wirklich nur eine halbe Sache. Doch indem der chinesische Olympiasieger im Hürdensprint am Samstag in Valencia mit Leichtigkeit in seiner Disziplin gewann, hat er zumindest dem Publikum einen kleinen Blick in die Zukunft eröffnet: So also könnte es sein, wenn der Held des Milliardenvolkes im August dieses Jahres in Peking Olympiasieger werden soll:

Alle um ihn herum werden aufgeregt, und er selbst wird ruhig und konzentriert auf seine Aufgabe sein.

"So ein Wettbewerb ist nur ein kleiner Teil meines Lebens", sagte der 24 Jahre alte Liu Xiang nach seinem Sieg. "Alle wollen, dass ich sage, ich sei total aufgeregt im Hinblick auf Peking. Aber so ist es nicht. Ich bin tief in meinem Herzen mit mir im Frieden." Den Eindruck, da spreche ein Weiser, unterlief der 24 Jahre alte Athlet aus Schanghai, indem er bei den Fragen und während der Übersetzung seiner Antworten selbstvergessen die Backen aufblies, mit den Fingern spielte und mit der Zunge schnalzte. Er, der schnellste Mann der Welt auf dem 110 Meter langen Weg über zehn Hürden, signalisierte mehr als deutlich, dass er seine Zeit verschenkt, wenn er die immergleichen Fragen beantwortet.

Vielleicht war sein Sieg über 60 Meter Hürden am Samstag schon der Höhepunkt dieser Hallen-Weltmeisterschaften, einer in der Welt der Leichtathletik eher zweitrangigen Veranstaltung. Dabei hatte der andere Hauptdarsteller, Dayron Robles, seinen großen Auftritt spektakulär verpasst. Der Kubaner, der in diesem Winter in Düsseldorf in 7,33 Sekunden nur drei Hundertstelsekunden über dem Weltrekord geblieben war, stoppte im Vorlauf nach dem Startschuss ab, weil er glaubte, Liu Xiang neben ihm sei zu früh aus dem Startblock gestürzt. Als er merkte, dass die Konkurrenz weiterlief, nur er nicht, hatte er schon verloren. Verzweifelt rannte der 22 Jahre alte Kubaner dem Feld hinterher, enttäuscht schied er aus dem Wettbewerb aus.

Enttäuscht gab sich auch Liu Xiang. Für diesen einzigen Wettkampf des Winters war er nach Valencia geflogen, zum ersten Mal überhaupt nahm er an Hallen-Weltmeisterschaften teil. "Wenn Robles das Finale erreicht hätte, wäre meine Chance auf den Sieg nur bei zehn Prozent gewesen", behauptete er. Tatsächlich waren er, sein Trainer Hai Ping Sun und eine Entourage von weiteren fünf Betreuern vor einer Woche aufgebrochen, um in Valencia mit der Intensität eines Titelkampfes an etwas zu arbeiten, was vielleicht die einzige Schwäche des 24 Jahre alten Olympiasiegers und Weltmeisters ist, der noch dazu den Weltrekord von 12,88 Sekunden hält. "In einem Hallen-Ergebnis spiegelt sich die erste Hälfte des Hürdensprints", erklärt Hai Ping.

"Daran wollten wir arbeiten." Antreiben sollte seinen Läufer Robles, der einzige Rivale, der ihn zurzeit besiegen kann; im vergangenen Jahr gelang ihm das zweimal.

Die Mission Valencia verlief optimal: In der vermeintlich schwachen Hälfte seines Hürdensprints lief Liu Xiang in 7,46 Sekunden schnell genug, um Weltmeister zu werden. Und mit seiner Reaktionszeit von 0,105 Sekunden (0,217 im zweimal gestarteten Finale) dürfte er Robles womöglich nachhaltig entnervt haben. Den Amerikaner Allen Johnson, der in 7,55 Sekunden in Valencia die Silbermedaille gewann, nannte Liu Xiang sein langjähriges Vorbild. Und er sagte über den Olympiasieger von 1996 und viermaligen Weltmeister: "Ich will versuchen, wie er auch mit 37 Jahren noch so gut zu laufen." Seine Gelassenheit dürfte die größte Stärke sein, die Liu Xiang in Valencia zeigte.

Seit sich der Basketballprofi Yao Ming so schwer verletzt hat, dass er voraussichtlich ausfällt für die Olympischen Spielen, konzentrieren sich die Erwartungen der chinesischen Öffentlichkeit auf Liu Xiang – mehr als eine Milliarde Augenpaare werden am 21. August um 21:45 Uhr auf ihm ruhen, wenn in Peking der Endlauf über 110 Meter Hürden beginnt. Das dürften die vielleicht wichtigsten 13 Sekunden im Leben des Liu Xiang sein. Der schlaksige Athlet mit den wachen Augen und dem scheuen Lächeln antwortet darauf wie ein Weiser: "Laufen, das ist nur ein Schritt auf der Erde." Mit einem zurückhaltenden Fingerzeig auf der Laufbahn, mit einem ungelenken, wie erzwungenen Winken, seinem befreiten Lachen und seiner Ehrenrunde mit der chinesischen Flagge lud er herzlich ein, sich nach getaner Arbeit mit ihm zu freuen.

"Es ist, als machte ich Geschichte", sagte er über seinen Erfolg und münzte ihn mühelos in die Emanzipation der Chinesen um. "Vor Jahren noch haben die Leute gedacht, Menschen mit gelber Haut könnten nicht schnell rennen, weder im Sprint noch auf den Langstrecken. Ich beweise, dass wir es können. Ich breche die Vorurteile auf."

Michael Reinsch in Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Montag, dem 10 März 2008

author: GRR

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