Erfreulich, dass mit Zelalem Martel, Christian Glatting und Sven Weyer gleich drei dem Jahrgang 1986 angehörige Junioren den Sprung unter die „top ten“ schaffen konnte
Begeisterung für die Auftritte der deutschen Lauf-Asse – Siege für Stefan Koch und Melanie Kraus – 26. Bietigheimer Silvesterlauf vereinte über 4300 Läufer zum sportlichen Kehraus – Todesfall überschattete die atmosphärische Veranstaltung vor den Toren Stuttgarts
Tradition ist Trumpf beim Bietigheimer Silvesterlauf.
Mit 4316 Anmeldungen gab es erneut eine Teilnehmerzahl über der begehrten „viertausender Marke“, war der Silvesterlauf über die leicht profilierte 11,2 km-Strecke vor den Toren Stuttgarts mit der 26. Auflage vor einer stimmungsfrohen Zuschauerkulisse einer der Lauf-Höhepunkte zum Jahresausklang in Deutschland – und mit Stefan Koch und Melanie Kraus gab es zudem erneut prominente deutsche Sieger.
„Dank an die Organisation und an das phantastische Publikum“ fasste dann auch Oberbürgermeister Jürgen Kessing seine Eindrücke kurz und prägnant bei der Siegerehrung auf einen Nenner.
Neben Trierer Silvesterlauf bestbesetzter Silvesterlauf Deutschlands
„Am Berg habe ich einfach Gas gegeben und war auch gleich alleine an der Spitze. Das ging richtig Klasse!“ Eine Knieverletzung hatte den jungen Hoffnungsträger über fast zwei Monate außer Gefecht gesetzt, ehe er seit November wieder trainiert und hier allerdings vermehrt an der Grundlagenausdauer arbeitet. Der von vielen Insidern auf das Favoritenschild gehobene Leipziger Michael Schering blieb im Schlussteil knapp das Nachsehen.
„Ich habe alles versucht, habe viel Tempo gemacht, aber am Anstieg war der Akku leer. Natürlich wollte ich gewinnen. Ist vielleicht auch ganz gut so, sonst spürst du immer mehr den Druck der Favoritenposition“. Der 23jährige Biologie- und Sportstudent ist ehedem der Shootingstar der zweiten Saisonhälfte 2006, nachdem er als Studentenmeister beim Darmstadt-Cross wie auch bei seinem Auftritt bei der Cross-EM einen vorzüglichen Eindruck hinterlassen konnte.
Bester Wettkampf seit zwei Jahren
Überraschend gut in Tritt ist schon wieder Michael May, nachdem er bei einem kapitalen Radunfall im Sommer vor allem Kopfverletzungen davongetragen hatte. „Das ist mein bester Wettkampf seit zwei Jahren“, freute sich der Leverkusener, der allerdings mit einem eher zögerlichen Nachsetzen vielleicht sogar den ganz großen Coup in Bietigheim verpasste und somit mit vier Sekunden Rückstand auf Koch Zweiter wurde.
„Mal sehen, vielleicht kann ich Jan Fitschen im nächsten Jahr etwas ärgern“, blickt der wegen seinem ästhetischen Laufstil als „Eifelgazelle“ genannte Leverkusener in das nächste Jahr mit einer klaren Orientierung zur 5000 m-Strecke, auch wenn er die 10 000 m nicht außer Betracht lassen wird („Wenn meine Achillessehnen mitspielen, werde ich auf jeden Fall einen Versuch machen!“). Zur Saisonvorbereitung wird er zunächst im Verbund mit einigen Bayer-Laufkollegen wie Mario Kröckert und den Schweizern Christian Belz und Viktor Röthlin schon in einer Woche ins kenianische Höhentrainingslager aufbrechen.
Spontaner Auftritt
Hinter dem starken Trio folgte mit Zelalem Martel der schnellste Einheimische, der nach zwei Jahren im Hessischen künftig wieder für seinen früheren Verein und Silvesterlauf-Veranstalter LG Neckar-Enz starten wird. Der GRR-Preisträger 2004 verwies bei seinem Klasseauftritt nicht nur den sichtlich enttäuschten Martin Beckmann („Das Rennen war mir zu unrhythmisch. Ich habe keinen Schritt gefunden!“) als auch den Cross-Mittelstreckenmeister Dominik Burkhardt in die Schranken, sondern auch Dieter Baumann.
Der inzwischen 41jährige Olympiasieger von Barcelona sorgte einmal mehr durch seinen spontanen Auftritt für beste Stimmung unter den vielen Zuschauern am Streckenrand, weil er engagiert wie immer ins Rennen ging, auch wenn er im Schlussteil dem hohen Tempo der Spitze nicht mehr ganz folgen konnte.
„Das Privileg, dass Jüngere im Spurt stärker sind, das habe ich alleine als Über-Vierzigjähriger“ konterte er mit Humor und einem Seitenhieb auf Martin Beckmanns resignierendem Kommentar. Dieser sah sich am Ende den eher jüngeren Konkurrenten im Spurt chancenlos.
Erfreulich, dass mit Zelalem Martel, Christian Glatting und Sven Weyer gleich drei dem Jahrgang 1986 angehörige Junioren den Sprung unter die „top ten“ schaffen konnten. Beleg dafür, dass es hierzulande schon einige Talente gibt, die den Spagat zwischen Berufsausbildung und Leistungssport wagen. „Ich hoffe, das lässt sich vereinbaren“, blickt der Aalener Christian Glatting in die nahe Zukunft, die für ihn künftig als Medizinstudent in Bochum und als Mitglied der Trainingsgruppe um Jan Fitschen und Alexander Lubina beim TV Wattenscheid liegen soll.
Nico Motchebon
Im großen Feld der ambitionierten Freizeitläufer auch Nico Motchebon, der mit 41:06 Minuten die 11,2 km-Distanz mit Bravour absolvierte. Der frühere Moderne Fünfkampf- und spätere 800 m-Weltklasseathlet ist längst im Württembergischen heimisch geworden und fühlt sich als IT-Manager bei der renommierten Vermarktungsagentur Roth & Lohre pudelwohl.
Als Staffelmitglied der Salamander-Vierteilmeiler sah man Nico Motchebon noch im Frühjahr bei den Hallenmeisterschaften, ehe ein Muskelfaserriss einen Auftritt bei den Freiluftmeisterschaften verhinderte. „Eigentlich darf man es nicht laut sagen, aber bei dem aktuellen Niveau über 800 m hätte ich im Finale noch gut mithalten können“, blitzt nach wie vor Ehrgeiz in den Augen des 37jährigen Modellathleten.
Grußbotschaft
In eine Reihe mit Irina Mikitenko, Luminita Zaituc und Susanne Hahn darf sich nun Melanie Kraus zumindest als Siegerin der 26. Auflage des Bietigheimer Silvesterlaufes stellen. Mit einem Blitzstart hatte Leverkusenerin die Führung übernommen – und diese bis ins Ziel nicht mehr abgegeben. Mit ihrer Siegerzeit von 37:26 blieb sie gar nur drei Sekunden über dem Streckenrekord von Susanne Hahn. „Natürlich bin ich heute sehr zufrieden, nachdem es im Vorjahr nur bis zu Kilometer zehn gereicht hatte, konnte ich das Rennen heute komplett durchstehen!“ freute sich die 32jährige Apothekerin, die im Vorjahr zwar auch lange Zeit an der Spitze gelaufen war, am Ende allerdings ihrem eigenen Tempodiktat unterlegen war.
„Ja, mir geht es derzeit wirklich gut“ freute sie sich im Zieleinlauf. „Das hat sich heute wie richtiges Laufen angefühlt!“ Das war allerdings bei der Marathonfrau nicht immer der Fall. Beim real,- BERLIN-MARATHON war sie mehr schlecht als recht ins Ziel nach 2:35:37 Stunden eingelaufen – und musste wegen Borreliose behandelt werden. Im Verbund mit dem ebenfalls strahlenden Michael May richteten sie zugleich eine Grußbotschaft an ihren Trainer Paul-Heinz Wellmann:
„Das gute Abschneiden ist unser Geschenk zum heutigen 25. Hochzeitstag von Paul-Heinz!“
Nicht minder zufrieden zeigte sich Stefanie Beckmann, die noch nie so stark in Bietigheim war wie heuer. „Ich arbeite mich systematisch nach vorne“ und meinte damit eine versteckte Kampfansage an die Etablierten wie eben Melanie Kraus oder Luminita Zaituc, die mit einem Handikap („Ich habe mir beim Einlaufen das Knie verdreht. Eigentlich wäre ich nicht gelaufen, aber das wollte und konnte ich dem Veranstalter dann doch nicht antun!“) überraschend nur Vierte in diesem gut besetzten Starterfeld wurde.
Die zweifache Silvesterlaufsiegerin wäre zwar nach dem Gesetz der Serie nach den Erfolgen in 2002 und 2005 in diesem Jahr wieder dran gewesen, doch der Braunschweigerin fehlte verständlicherweise nach ihrem verkorksten Auftritt bei den Marathon-Europameisterschaften und ihrem einem Kraftakt gleichkommenden Erfolg beim Ford Köln-Marathon und der folgenden Regenerationspause noch die Leistungsstärke, um dem furiosen Tempo einer Melanie Kraus zu folgen.
Die einheimische Anja Schnabe
Überraschend klar abgeschlagen hinter Melanie Kraus und Stefanie Beckmann folgte auf Rang drei die in Wiesbaden beheimatete gebürtige Eriträerin Simret Restle, die sich bereits in einer Woche im kenianischen Hochland mit ihrer Leverkusener Konkurrentin zum Trainingslager treffen wird.
Hinter der Viertplatzierten Luminita Zaituc folgte bereits unter dem Jubel der vielen Zuschauer die einheimische Anja Schnabel, die mit einem schnellen Antritt die Neu-Darmstädterin Alexandra Bott auf den sechsten Rang verweisen konnte. Die 21jährige gilt nicht zuletzt nach ihrem U 23-Europameistertitel im Duathlon dort als Hoffnungsträgerin, auch wenn sie sich „nach wie vor als Läuferin“ fühlt, wie sie unumwunden zugibt.
Überschattet wurde der stimmungsvolle 26. Bietigheimer Silvesterlauf vom Tod eines 49jährigen Läufers, der nach der ersten der beiden Laufrunden zusammengebrochen war. Mitlaufende Ärzte der Laufmannschaft der Kliniken Ludwigsburg-Bietigheim waren zwar ebenso rasch zur Stelle wie auch der herbeigerufene Notarzt. Trotz eingeleiteter Reanimation verstarb der 49jährige wenig später im Bietigheimer Krankenhaus.
Wilfried Raatz
Ergebnisse unter
www.bietigheimersilvesterlauf.de