Dabei ist sehr fraglich, ob der Titelverteidiger und Streckenrekordler Sammy Wanjiru (KEN) seiner Favoritenrolle gerecht werden kann, da er seit seinem Ausstieg beim London Marathon im Frühjahr kein akzeptables Resultat mehr erzielen konnte.
Bank of America Chicago Marathon – Die Marathonszene schaut nach Chicago – Helmut Winter berichtet
Zwei Tage vor dem Start des 33. Bank of America Chicago Marathons zeichnen sich Wetterbedingungen ab, die für die meisten der 47000 gemeldeten Läuferinnen und Läufer nicht optimal sein werden, denn in den Mittagstunden sollen die Temperaturen 27°C erreichen.
Das ist zwar nicht so hoch wie die 33°C beim Hitzemarathon 2007, der für die zweite Hälfte des Läuferfeldes nach der halben Distanz abgebrochen werden musste, aber die Organisatoren haben bereits Vorkehrungen getroffen, um diesen Bedingungen zu entsprechen.
Für die Elite wird das allerdings weitaus günstiger aussehen, denn in den Abend- und Morgenstunden kühlt es hier deutlich ab, man wird am Sonntag bei leichter Bewölkung und Temperaturen um 15°C gegen 7:30 Uhr auf die Strecke gehen. Bei der Zielankunft der Spitze dürften die Temperaturen kaum 20°C erreicht haben, und da der in Chicago gefürchtete scharfe Wind diesmal ausbleiben wird und nur schwach aus der günstigen Südrichtung blasen wird, sind die Vorrausetzungen für schnellen Zeiten nicht schlecht.
Wie schon mehrfach berichtet geht ein Feld der Extraklasse bei Männern und Frauen an den Start, was schon die Tatsache belegt, dass die Marathon Majors der aktuellen Periode am Sonntag in Chicago entschieden werden.
Dabei blickt man aber auch zurück: Vor 25 Jahren gab es in der Ära vor den Ostafrikanern bemerkenswerte Resultate durch Joan Benoit, deren 2:21:21 immer noch die schnellste Zeit einer Amerikanerin auf heimischen Boden darstellen, und Steve Jones schlug damals ein solches Wahnsinnstempo an, dass er den Halbmarathon in inoffiziellen 1:01:40 passierte, am Ende verpasste er in 2:07:13 nur um eine Sekunde den erst im Frühjahr aufgestellten Weltrekord.
Beide Sportler wollten im Rahmen des Jubiläums noch einmal an den Start gehen, aber nur Benoit wird diesen Vorhaben umsetzen. Wie heute in Chicago zu erfahren war, ist Jones verletzt und wird sich auf das Anfeuern der Läufer beschränken.
Um dabei wollen es ihm die Spitzenathleten gleichtun und mit einer Halbmarathonzeit um oder knapp unter 62 Minuten angehen. Das ist für Chicago nicht außergewöhnlich, bis auf wenige Ausnahmen war man in den letzten Jahren stets beim der Halbmarathonmarke auf Weltrekordkurs. Was aus diversen Gründen in den Vorjahren auf der Reststrecke nicht umgesetzt konnte, das könnte in diesem Jahr anders verlaufen, denn das Feld der Elite in Chicago ist in der Tat von großer Klasse.
Dabei ist sehr fraglich, ob der Titelverteidiger und Streckenrekordler Sammy Wanjiru (KEN) seiner Favoritenrolle gerecht werden kann, da er seit seinem Ausstieg beim London Marathon im Frühjahr kein akzeptables Resultat mehr erzielen konnte. Wanjiru kündigte im Vorfeld an, in Chicago „nur“ gewinnen zu wollen, einen Rekordlauf will er erst im Januar in Dubai in Angriff nehmen. Ob sich das aber bei der starken Konkurrenz realisieren lassen wird, ist mehr als fraglich. Insbesondere Tsegaye Kebede (ETH) wird ihm das Siegen schwer machen.
Kebede hat die letzten beiden Marathons in Fukuoka und den London Marathon im April gewonnen und gilt als ein Mann der zweiten Hälfte. Seine 14:17 in Fukuoka 2008 von 30 km nach 35 km sind unerreicht, aber auch am Anfang kann er ein hohes Tempo mitgehen, im letzten Jahr lief er mit Wanjiru und der Spitze die ersten 5 km in beeindruckenden 14:08. Somit wäre es am Ende nicht überraschend, wenn der kleine Äthiopier die Nase vorn hätte. Und wenn die Bedingungen sich etwa so einstellen, wie vorausgesagt, dann könnte am Ende auch eine sehr schnelle Zeit herauskommen.
Vor zwei Wochen wurde man im Dauerregen beim Berlin Marathon durch die Kunde eines neuen Fabelweltrekords über die 10 km zur gleichen Zeit in Utrecht überrascht. Diesmal startet der neue Weltrekordler in Berlin wieder über 10 km wenige Stunden zuvor (10:10 Uhr am 10.10.10!), aber vielleicht gibt ja diesmal den Rekord über die Marathondistanz als Krönung eines bisher schon einmaligen Jubiläumsjahrs „2500 Jahre Marathon“ mit Weltrekorden über 10 km, Halbmarathon und 25 km.
Aber auch andere Namen könnten am Ende in der Siegerliste stehen. Vincent Kipruto war dritter im letzten Jahr und steigerte sich 2009 in Rotterdam auf 2:05:13. Gleichfalls zu beachten ist Robert Kiprono Cheruiyot, der im Frühjahr auf dem schweren Kurs in Boston tolle 2:05:53 lief. Als späte Verpflichtungen runden der Kämpfer Deriba Merga (PB 2:06:38), der im August auf 2600 m Seehöhe in Bogota einen Halbmarathon in 62:31 gewann, und der Junior und Landsmann Feyisa Lelisa ab, der sich in Rotterdam in diesem Jahr hinter Makau, Mutai und Kipruto auf 2:05:23 steigerte.
Auch die Eliteläuferinnen sind bereits ausführlich vorgestellt worden. Hier ist natürlich aus deutscher Sicht besonders interessant, wie sich Irina Mikitenko schlägt, die mit der besten Vorleistung vom 2:19:19 an den Start gehen wird. Inwieweit Irina wieder im Vollbesitz ihrer Kräfte ist, wird erst das Rennen zeigen. Im Vorfeld konnte sie keine Leistungen erbringen, die Aufschlüsse über ihre aktuelle Verfassung ergeben. Ihren Start beim Great North Run vor drei Wochen musste sie wegen einer Erkältung absagen.
Favoritin auf den Sieg dürfte somit die Vorjahressiegerin Liliya Shobukhova (RUS) sein, die ihr hohes Potential auf den Unterdistanzen mittlerweile auch im Marathon ausspielt und gleichfalls in London im April gewann. Unvergessen ihr tolles Finish im letzten Jahr in Chicago, wo sie mit 6:36 für den Schlussabschnitt ab 40 km nicht nur einen 3 Minutenschnitt pro km schaffte, sondern hier sogar schneller als alle (!) Männer war, einschließlich des Siegers und Streckenrekordlers Wanjiru.
Die Jagd auf die Rekorde und ein großes Fest des Laufsports an den Ufern des Lake Michgan und in den Straßen Chicagos kann beginnen.
Helmut Winter
Eliteläufer
Sammy Wanjiru KEN 2:05:10
Vincent Kipruto KEN 2:05:13
Tsegaye Kebede ETH 2:05:18
Feyisa Lilesa ETH 2:05:23
Robert Kiprono Cheruiyot KEN 2:05:52
Ryan Hall USA 2:06:17 abgesagt
Deriba Merga ETH 2:06:38
Negari Terfa ETH 2:07:41
Wesley Korir KEN 2:08:24
Laban Moiben KEN 2:09:43
Ridouane Harroufi MAR 2:10:14
Eliteläuferinnen
Irina Mikitenko GER 2:19:19
Joan Benoit Samuelson USA 2:21:21
Askale Tafa Magarsa ETH 2:21:31
Naoko Sakamoto JPN 2:21:51
Liliya Shobukhova RUS 2:22:00
Atsede Baysa ETH 2:22:04
Mamitu Daska ETH 2:24:19
Lidiya Grigoryeva RUS 2:25:10
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