Eher familiäre Atmosphäre wird heute von 11 Uhr an im Olympischen Dorf von 1936 in Elstal herrschen. Dort kämpfen einige der besten deutschen Leichtathleten im Finale um den DKB-Cup.
Ausverkauftes Olympiastadion – Weltjahresbestleistung: 70.000 Zuschauer – Einen Rekord hat die Istaf jetzt schon aufgestellt: so viele Zuschauer gab es seit 70 Jahren nicht mehr. Ein Vorgeschmack auf die WM 2009. Sprung in die Geschichte – Vor 30 Jahren meisterte Rosemarie Ackermann beim Istaf als erste Frau der Welt zwei Meter – Friedhard Teuffel im Tagesspiegel
Morgen wird für einen Tag vergessen sein, dass die Leichtathletik in Deutschland auf dem Rückzug ist, raus aus den Metropolen und ihren Arenen, rein in die Dörfer mit ihren kleinen Sportplätzen. 70.000 Zuschauer sollen zum Istaf kommen – so viele wie bei keinem anderen Eintagesmeeting der Leichtathletik weltweit und so viele wie seit 70 Jahren nicht mehr beim Istaf. Damals kamen 85.000 Menschen zum ersten Internationalen Stadionfest ins Olympiastadion. Aus Rücksicht auf angereiste Gäste soll es am Sonntag noch 300 Karten an der Tageskasse geben.
Beim Kartenverkauf mussten die Veranstalter diesmal nur halbe Arbeit leisten. Denn den Oberring des Stadions, also etwa 30.000 Karten, hat ihnen der Titelsponsor der Veranstaltung, die DKB-Bank, abgekauft. Sie vertrieb die Karten bundesweit, vor allem in Niedersachsen und Schleswig-Holstein und charterte fast 800 Busse, um die Zuschauer nach Berlin zu bringen. So wird das Istaf ein erstes Gefühl davon vermitteln, wie die Atmosphäre bei der WM 2009 sein könnte.
Eher familiäre Atmosphäre wird heute von 11 Uhr an im Olympischen Dorf von 1936 in Elstal herrschen. Dort kämpfen einige der besten deutschen Leichtathleten im Finale um den DKB-Cup.
Den Jackpot in Höhe von 50 000 Euro können noch die Speerwerferin Christina Obergföll und der Kugelstoßer Peter Sack gewinnen.
Über sich selbst hinaus – Am Sonntag findet das internationale Stadionfest Berlin zum 70. Mal statt. Einer der großen Stars, Jelena Isinbajewa, kämpft mehr gegen den eigenen Weltrekord als gegen ihre Konkurrentinnen.
Wenn ihr Wettkampf losgeht, wird Jelena Isinbajewa morgen erst einmal Zuschauerin sein. Eine von 70.000 im Olympiastadion, die sich ansehen, wie die Stabhochspringerinnen anrennen, um für einen Moment stärker zu sein als die Schwerkraft. Nur dass sie einen besonderen Platz zum Zuschauen hat, mitten im Stadion. Das kann eine Stunde so gehen, bei manchen Wettbewerben hat Isinbajewa sogar schon zwei Stunden gewartet, bis die Latte auf einer Höhe lag, für die es sich für sie mitzumachen lohnte. Dann beginnt ein kurzes, aber eindrucksvolles Spektakel. Die Russin macht ein, zwei, manchmal auch drei Sprünge, dann ist die Konkurrenz besiegt und Isinbajewa springt nur noch gegen sich selbst – gegen den Weltrekord.
Inzwischen ist Jelena Isinbajewa so weit oben angekommen, dass sie sogar das Programm der Leichtathletik beeinflussen kann. 10 von 47 Disziplinen der Leichtathletik hat der Internationale Verband für würdig befunden, die Golden League zu bilden, die wichtigste Veranstaltungsserie der Leichtathletik. Stabhochspringen der Frauen wäre niemals aufgenommen worden – wenn nicht Isinbajewa mitspringen würde.
Mangel an Helden
Zurzeit fehlen der Leichtathletik nämlich die besonderen Helden, also Athleten, die in ihrer Disziplin auch ein paar Jahre hintereinander Großes vollbringen. Athleten wie Isinbajewa. Sie ist 2004 Olympiasiegerin geworden, 2005 und vor zwei Wochen noch einmal Weltmeisterin. In der Golden League hat sie genau wie die 400-Meter-Läuferin Sanya Richards aus den Vereinigten Staaten bislang alle fünf Wettbewerbe der Golden League gewonnen, auch den in Brüssel gestern Abend, nach gerade einmal zwei Sprüngen und einer Sieghöhe von 4,80 Meter, ehe sie einmal an 4,90 und zweimal am Weltrekord von 5,02 Meter scheiterte. Mit einem Erfolg am Sonntagnachmittag in Berlin, würden sich Isinbajewa und Richards den Jackpot von einer Million Dollar teilen.
Weil Isinbajewa fast jedes Mal immer gewinnt, gibt es auch die Garantie, dass sie am Ende eines Wettbewerbs immer den Weltrekord verbessern will. Ihr letzter Weltrekord ist nun allerdings schon zwei Jahre alt, das hat die Frage auftauchen lassen, ob es denn nun für sie nicht mehr höher geht. Sie hatte sich sogar extra einen anderen Trainer gesucht, Witali Petrow, der auch ihren männlichen Weltrekord-Kollegen Sergej Bubka trainiert hatte, auch ihm war ein Weltrekord nach dem anderen gelungen, so als wäre das sportliche Planwirtschaft.
In Osaka bei den Weltmeisterschaften vor zwei Wochen war Isinbajewa wieder an 5,02 gescheitert. Gescheitert – das ist inzwischen die Wahrnehmung, weil die Erwartungen an die 25-Jährige so groß sind. „Sie hat sich technisch kaum weiterentwickelt, das hätte man sonst gesehen, sie trainiert doch schon zwei Jahre mit Petrow“, sagt der deutsche Stabhochspringer Tim Lobinger. Aber Isinbajewa hat eine eigene Erklärung: „Um Weltrekord zu springen, brauche ich eine etwas bessere Konkurrenz“, sagte sie, nachdem ihre Mitstreiterinnen wieder einmal früh ausgestiegen waren. Siege allein können sie jedenfalls nicht mehr motivieren. „Wenn du gewinnst, ist es, wie wenn du die ganze Zeit Schokolade bekommst. Immer Schokolade, Schokolade Schokolade.
Irgendwann hasst du es.“
Von diesem Hass, vom einsamen Kampf gegen sich selbst sieht das Publikum jedoch wenig. Es sieht eine Athletin, die nicht nur Erfolg hat, sondern auch noch die Körpersprache spricht, die Fernsehkameras und Fotoapparate gleichermaßen anzieht.
Es geht ihr darum, eine „Legende“ zu werden
Jelena Isinbajewa hat diese Sprache gleichzeitig mit dem Stabhochspringen gelernt. Wenn sie gewinnt, beginnt ihr Flirt mit dem Publikum. Mal wickelt sie sich in die russische Fahne wie eine Babuschka, ein altes Mütterchen, um sich gleich darauf wieder daraus zu befreien und mit den Augen zu klimpern wie ein kleines Mädchen, das gerade zum ersten Mal in einem fremden Land ist.
Weil ihre Konkurrentinnen sie beim Springen so oft alleine lassen, beschäftigte sich Isinbajewa auch mit anderen Dingen, sie strebt wie Bubka eine Funktionärslaufbahn an, vielleicht sogar im Internationalen Olympischen Komitee. Es geht ihr darum, eine „Legende“ zu werden, das hat sie so gesagt, und dafür will sie sich ein bisschen unvergesslich machen, nicht nur in ihrer Heimat Russland, wo sie in Wolgograd aufgewachsen ist. Sie hat sich dafür auch einen besonderen Manager ausgesucht, den Schweden Daniel Wessfeldt, der seinen Athleten den Schritt von der roten Tartanbahn auf den roten Teppich leichter machen will.Wessfeldt lebt in Monaco, dort lebt auch Isinbajewa für einige Monate im Jahr, wenn sie nicht in Italien trainiert.
Beim Laureus, einer Glitzerveranstaltung wie der Oscar des Sports mit großen Firmen im Hintergrund, landete Isinbajewa im März auf Platz eins und legte auch im Abendkleid einen professionellen Auftritt hin. Eine zweite Anna Kurnikowa will sie jedoch nicht werden, und nicht vor lauter Showterminen den Sport vernachlässigen wie die russische Tennisspielerin. „Viele Mädchen, die 13 oder 14 Jahre alt sind, rufen mir zu: Jelena, ich will auch so werden wie du. Deshalb werde ich sie noch eine Weile glücklich machen“, sagt Isinbajewa. Bis zur WM 2013 möchte sie dabeisein, sie findet in Moskau statt. Vielleicht findet sie bis dahin auch ein wenig mehr Konkurrenz.
Sprung in die Geschichte – Vor 30 Jahren meisterte Rosemarie Ackermann beim Istaf als erste Frau der Welt zwei Meter. Am Sonntag ist sie nicht einmal Ehrengast beim 70. Jubiläum.
BERLIN – Den ersten Moment im Stadion nimmt sich Rosemarie Ackermann am Sonntag ganz für sich, da wäre es ihr auch sehr lieb, wenn sie nicht gestört würde. „Ich brauche erst einmal ein paar Minuten für mich alleine, um meinen eigenen Film vor mir ablaufen zu lassen“, sagt sie. Dieser Film ist nun schon 30 Jahre alt, und der Ort des Geschehens hat sich auch ein wenig verändert, das macht ihr aber nichts aus, die Bilder laufen wie von alleine in ihrem Kopf. „Ich kann noch genau sagen, wie ich angelaufen bin, wie ich gesprungen bin, was danach passiert ist.“
Es war der Sprung ihres Lebens am 26. August 1977, als Rosemarie Ackermann beim Istaf im Olympiastadion als erste Frau der Welt zwei Meter Höhe bewältigte.
Dieser sporthistorische Moment hat sich beinahe zufällig ereignet. Nicht, dass Ackermann nicht sprungstark genug gewesen wäre für zwei Meter, sie war 1976 Olympiasiegerin geworden. Aber das Istaf sollte eigentlich nur ein Aufbauwettkampf sein, „ich wollte meine Form vor dem Weltcup in Düsseldorf überprüfen“. Dafür ist sie zum Istaf gefahren, und es war die erste Reise der Cottbuserin überhaupt nach West-Berlin, ausgestattet mit einem Tagegeld von zehn D-Mark.
„Da sind die Reporter schon hinter mir her und haben mich eingeholt, ich war eben nicht so der Ausdauertyp“
Besser hätte sie es kaum treffen können im Olympiastadion vor 30 000 Zuschauern. „Ich hatte keinen Druck und war locker, das Wetter war gut und das Teilnehmerfeld nicht so groß, ich musste also nicht so lange zwischen meinen Sprüngen warten“, erzählt sie. Bis 1,93 Meter wurde sie noch von der Konkurrenz begleitet, dann stand sie als Siegerin fest und ließ zwei Meter auflegen, obwohl das gleich drei Zentimeter über dem Weltrekord lag. „Ich dachte, man muss sich doch mal an diese Grenze heranarbeiten, selbst wenn ich es nicht schaffe.“
Erster Versuch: Ackermann überquerte die Latte, berührte sie leicht – doch sie blieb liegen. „Ich bin vor Freude hochgesprungen. Dann habe ich auch schon die Reporter gesehen.“ Schon damals wäre sie am liebsten ganz alleine gewesen. Sie lief durch das Stadion, um sich wenigstens für einen winzigen Moment bewusst zu machen, was gerade geschehen war. „Da sind die Reporter schon hinter mir her und haben mich eingeholt, ich war eben nicht so der Ausdauertyp.“
Im DDR-Fernsehen war der Sprung nicht zu sehen
Ihre Stärke war ihre Technik, sie sprang noch den Straddle-Stil, bei dem sich der Athlet bäuchlings mit gespreizten Beinen über die Latte schiebt. „Wälzer“ nennt sie selbst diesen Stil und sagt, dass auch heute damit genauso hoch gesprungen werden könnte wie mit der Flop-Technik. „Aber den Wälzer zu lernen, kostet viel Zeit. Diese Zeit haben die meisten heute nicht mehr. Ich hatte diese Technik schon in der Schule gelernt.“ Und sie hat sie so gut beherrscht, dass sie trotz 1,74 Meter Körpergröße gegen die längeren und schlankeren Springerinnen gewann.
Im DDR-Fernsehen war ihr Sprung erst nicht zu sehen. Es war zwar ein Kamerateam nach West-Berlin gekommen, um ein Porträt über Edwin Moses zu drehen, den Olympiasieger über 400 Meter Hürden. „Danach haben sie aber im Programm nichts Interessantes gefunden und sind wieder nach Hause gefahren. Später mussten die Bilder gegen harte Devisen eingekauft werden“, sagt Ackermann. Ihr Lohn für Sieg und Weltrekord waren eine Brosche vom Istaf und außerdem 1500 Mark von der DDR-Regierung, „wie ein verdienter Facharbeiter eben“.
Heute arbeitet die 55-Jährige bei der Agentur für Arbeit als Sachbearbeiterin, den Sport verfolgt sie aus der Ferne. Am Sonntag ist sie jedoch noch einmal dicht dran als Ehrengast beim 70. Jubiläum des Istaf. Die Kroatin Blanka Vlasic hat schon angekündigt, die Weltrekordhöhe von 2,10 Meter auflegen zu lassen.
Bis dahin wird Rosemarie Ackermann auch wieder in der Gegenwart angekommen sein, dann kann sie sich ganz auf ihre Nachfolgerinnen konzentrieren.
Friedhard Teuffel
Der Tagesspiegel
Sonnabend, dem 15. September 2007