Auf Paulas Spuren: Anmerkungen zum Halbmarathon-Weltrekord von Florence Kiplagat am letzten Sonntag in Barcelona - Helmut Winter berichtet ©Organisers
Auf Paulas Spuren: Anmerkungen zum Halbmarathon-Weltrekord von Florence Kiplagat am letzten Sonntag in Barcelona – Helmut Winter berichtet
Während die Olympischen Winterspiele den wesentlichen Teil der Aufmerksamkeit der sportinteressierten Öffentlichkeit auf sich konzentrieren, produziert die Leichtathletik aktuell Schlagzeilen auf allerhöchstem Niveau. Die gehen aber fast völlig in den Medien unter, zudem kamen die unglaublichen Leistungen weitgehend unerwartet.
Während man sich an die einmalige Weltrekordflut der jüngeren Dibaba-Schwester Genzebe über die Mittelstrecken in der Halle schon fast gewöhnt hatte, kam z.B die Verbesserung der uralten Bubka-Marke im Stabhochsprung durch Renaud Lavillenie sehr überraschend, wie auch die Meldung, dass Lauflegende Haile Gebrselassie beim London-Marathon im April zum Tempomacher bis ca. 30 km mutiert.
Und noch überraschender kam, dass am Sonntag nach der leicht verunglückten Tempojagd im vereinigten arabischen Emirat Ras Al Khaimah (RAK) der Halbmarathon im spanischen Barcelona eine schier unfassbare Verbesserung des Weltrekords der Frauen vermelden konnte. Die Kenianerin Florence Kiplagat lief großartige 65:12 und „pulverisierte" in der Tat die globale Bestmarke ihrer Landsfrau Mary Keitany aus dem Jahr 2011 von 65:50. Auch die jemals erzielte schnellste Halbmarathonzeit von 65:40 durch Paula Radcliffe auf dem zertifizierten Kurs des Great North Run im englischen Newcastle wurde damit als Bestzeit abgelöst.
Dass allerdings diese Leistung weit weniger überraschend kam, als in der Öffentlichkeit wahrgenommen, zeigt ein Blick auf die Vorgeschichte des Laufs der Halbmarathon-Weltmeisterin von 2010 in der spanischen Metropole. Neben Florence Kiplagat selbst hatte vor allem der bekannte italienische Coach Renato Canova erheblichen Anteil an dieser Aktion. Nach dem Halbmarathon im indischen New Delhi Mitte Dezember, den Kiplagat recht problemlos im Spurt gewann, schlug Canova ihr vor, in absehbarer Zeit einen Angriff auf den Weltrekord im Halbmarathon zu versuchen.
Dieses Vorhaben wurde dann Im Januar immer konkreter, als ihre Trainingsleistungen auf sehr hohem Niveau lagen.
Die Details bezüglich ihres neuen Weltrekords zeigen sehr deutlich, dass Bestleitungen – auch von Topathleten -nur noch detaillierter Planung zu realisieren sind. Und die bestanden in diesem Fall unter anderem daran, das Vorhaben ohne große Ankündigung anzugehen, um sich nicht unnötig unter Druck zu bringen.
Damit war dann ein Start von Kiplagat beim mittlerweile weltbesten Halbmarathon in Ras Al Khaimah (UAE) so gut wie ausgeschlossen, da dort auch wegen der hochklassigen Konkurrenz hohe Erwartungen bestanden hätten. Somit fiel nach Rücksprache mit ihrem Manager Joes Hermens (Global Sports Communications) die Wahl auf eine eher unscheinbare Veranstaltung wie Barcelona, und Aussagen über mögliche Zeiten blieben im Vorfeld absichtlich diffus.
Ein zweiter Aspekt war die großartige Kontrolle des Tempos von Anfang an, was in dieser Form sehr an Paula Radcliffes Weltrekordlauf in London über die Marathondistanz erinnerte. In beiden Fällen sorgten männliche Tempomacher konsequent für ein Tempo, das nach einer abwartenden Phase zu Beginn des Laufs schon bald den Weltrekord im Auge hatte.
Während am Freitag vor ihrem Rennen die Konkurrenz in RAK durch ein verschlepptes Tempo auf den ersten 5 km in 17:14 alle Chancen auf eine Weltklassezeit verspielte – wobei danach die Siegerin Priscah Jeptoo auf dem Niveau eines Weltrekords lief -, machten in Barcelona die beiden „Hasen" Marc Roig und Stanley Siroro vor allem nach den ersten 5 km hervorragende Tempoarbeit. Erst jenseits der 15 km stiegen die beiden kurz nacheinander aus, aber da war Kiplagats Sturm auf den Rekord schon nicht mehr zu bremsen.
Dabei war es vor allem die Renntaktik von Canova, die den Lauf bestimmten. Canova hatte nämlich für den Fall eines Weltrekords zwei Tage zuvor in RAK eine Tempotabelle für Zeiten von unter 65:30 erstellt, die dann im zweiten Teil des Laufs in Barcelona das Tempo bestimmen sollte. Dazu kamen nahezu ideale Bedingungen mit Temperaturen um 12°C und so gut wie kein Wind.
Die Relevanz von Tempotabellen, die sich nur am Endergebnis und nicht an Zwischenzeiten der aktuellen Rekorde orientieren, wurde wieder einmal eindrucksvoll bestätigt. Keitany war nämlich 2012 in RAK derart schnell gestartet, dass dies für Kiplagat kaum eine nützliche Vorgabe war. Die ersten 5 km ging man bewusst konservativ in „nur" 15:50 an, eine gute halbe Minute langsamer als der Split bei Keitanys Weltrekord. Dann zog man das Tempo gewaltig an und erreichte nach weiteren 15:19 die 10 km in 31:09, hatte aber noch 23 Sekunden Rückstand auf Keitanys Split.
Andererseits lag sie damit aber fast eine Minute unter ihrer 10 km Bestzeit auf der Straße. Wie Coach Canova nach dem Rennen mitteilte, ging man bereits bei 5 km zum „Plan B" über und steigerte mit Hilfe der beiden Tempomacher stetig das Tempo und erreicht die 15 km-Marke nach 46:36, mit letzten 5 km in 15:27. Damit lag sie nur 8 Sekunden über dem 15 km Weltrekord von Dibaba beim Zeven Heuvelenloop im Jahr 2009, hatte aber im Vergleich zum Weltrekord Keitany schon „überholt" und lag 4 Sekunden unter der Durchganszeit von RAK im Jahr 2011.
Als kurz danach die beiden Tempomacher ihre Dienste quittierten, war Florence schon so in Fahrt, dass der Weltrekord eine sichere Sache war. Nach weiteren 15:20 erreichte sie 20 km in 1:01:56, was 40 Sekunden unter Keitanys Durchgangszeit in RAK und dem Weltrekord für diese Distanz (20 km) lag. Ob dieser Rekord allerdings Eingang in die Listen finden wird, ist wegen eines fehlenden Kampgerichts an dieser Marke unsicher.
Die Veranstalter waren gleichfalls von dieser Tempojagd der 26 Jahre alten Kenianerin überrascht worden. Und welches Tempo Kiplagat im zweiten Teil gelaufen war, zeigt ein Blick auf ihre 15 km-Zeit von 5 km nach 20 km in 46:06, die um 22 Sekunden unter dem 15 km-Weltrekord von Dibaba liegt! Das sagt über die großartige Leistung der neuen Weltrekordlerin eigentlich alles.
Über welche Reserven Kiplagat im Schlusspart noch verfügte, zeigt auch die Zeit von der 20 km Marke bis ins Ziel, hier brauchte sie 3:16, was recht genau einem 3 Minuten/km-Schnitt entspricht. Damit stellte sie einen neuen Weltrekord auf, der in diesem Dimensionen nicht zu erwarten war und sicher ein Schock für die Konkurrenz bedeuten dürfte. Bereits beim London-Marathon im April kann sie zeigen, in wieweit sie diese Ausnahmeleistung auch auf den Marathon übertragen kann. Und falls sie im Herbst wieder beim Berlin-Marathon starten würde, dürfte ihre Bestzeit von 2:19:44, die sie dort 2011 bei ihrem Debut lief, recht deutlich zu steigern sein. Ob es allerdings auch im Marathon in die Dimensionen einer Paula Radcliffe gehen kann, bleibt abzuwarten.
Nach dem Fabel-Weltrekord von Barcelona ist allerdings der kenianischen Läuferin auch im Marathon durchaus Großes zuzutrauen.
Die fehlende Konkurrenz in Barcelona hat jedenfalls ihre Leistung nicht beeinflusst, sieben Minuten lag sie vor der Zweitplatzierten Nicole Duncan aus Großbritannien. Florence orientierte sich sowie an den Männern, bei 5 km noch auf dem 7. Gesamtrang liegend verbesserte sie sich auf Platz 4. Ihre schnellen kenianischen Landsleute waren dann auch für eine Weltrekordlerin zu schnell.
Eliud Kipchoge absolvierte als Sieger in 1:00:52 einen ansprechenden Test für seinen Start beim Rotterdam Anfang April.
Helmut Winter
Direkter Vergleich der Splits der HM in RAK .2011 und 2014 sowie Barcelona 2014
|
|
Mary Keitany |
Priscah Jeptoo |
Florence Kiplagat |
|||
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5 km |
15:18 |
|
17:14 |
|
15:50 |
|
|
10 km |
30:45 |
15:27 |
32:41 |
15:27 |
31:09 |
15:19 |
|
15 km |
46:40 |
15:55 |
48:08 |
15:27 |
46:36 |
15:27 |
|
20 km |
1:02:36 |
15:56 |
1:03:43 |
15:35 |
1:01:56 |
15:20 |
|
HM |
1:05:50 |
3:14 |
1;07:02 |
3:19 |
1:05:12 |
3:16 |
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