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2011

Damit schaffte ironischerweise ein „Hobbyläufer" den Sprung in das Marathonteam Japans für die Weltmeisterschaften im Sommer 2011 in Daegu

Auf den Spuren des Pheidippides – Beim Tokyo-Marathon sorgt ein „Hobby-Läufer“ für Furore – Das nächste Highlight in Japan: Der Lake Biwa Marathon in Otsu. Helmut Winter berichtet

By GRR 0

Auf das Jahr genau kamen beim Tokyo-Marathon am letzten Sonntag Erinnerungen an jenen wackren Krieger und Läufe auf, der vor 2500 Jahren die Grundlagen für diese Disziplin des Laufsports legte. Und ähnlich erschöpft wie der laufende Bote im alten Hellas torkelte auch in Tokyo ein japanischer Läufer ins Ziel, der zwar sichtlich von den Strapazen gezeichnet war, den Lauf aber im Gegensatz zum historischen Vorbild überlebte.

Und dies musste er auch, denn schon am Montagmorgen um 8 Uhr, d.h. keine 24 nach dem Start des Laufs im Stadtteil Shinjuku musste er wieder an die Arbeit, um an einer High School die Einschreibung der neuen Schüler zu organisieren. Dazu hatte er seinen Anzug schon im Gepäck für die Reise zum Marathon dabei, um kurz nach dem Lauf wieder seinen beruflichen Aufgaben nachgehen zu können.

Aber am Sonntag liefen die Dinge etwas anders, als er es selbst erträumt hatte, und nach seinem Lauf kennt ihn nun in Japan fast jeder. Yuki Kawauchi, 23 Jahre alt, wirbelte die Marathonszene auf der Insel kräftig durcheinander und wurde unerwartet zum Lichtblick in Hinsicht auf die enttäuschenden Leistungen der japanischen Marathon-Männer in den letzten Jahren.

Dabei hatte es im Vorfeld der diesjährigen Ausgabe des Tokyo-Marathons keine guten Nachrichten gegeben. Zunächst fiel der Superstar der Szene, Haile Gebrselassie, wegen einer Sturzverletzung im Training aus. Sein Manager, Joes Hermens, war eigens angereist, um die Dinge zu erläutern. Die Verletzung Hailes ist ernsthafterer Natur, so dass auch der Auftritt beim Wiener (Halb-)Marathon am 17. April noch nicht gesichert ist.

Nach der tollen Vorstellung Hailes zu Silvester in Ruanda, wo er über 10 km den besten 10000 m Läufer des letzten Jahres, Josphat Menjo (KEN), souverän besiegte, waren alle gespannt, was Haile in der japanischen Hauptstadt erreichen würde. Im Gegensatz zu New York City trat er in Tokyo noch nicht einmal an die Startlinie. Auch abgesagt hatten der Vorjahressieger Mazakazu Fujiwara (JPN) und der aussichtreiche Debutant Gideon Naguny (KEN).

Doch dann sorgten andere für Furore. Zunächst der chilenische Bergmann, Edison Pena, der nach seiner Rettung aus dem verschütteten Bergwerk im Oktober 2010 bereits seinen zweiten Marathon absolvierte und mit 5:08 Stunden eine gute halbe Stunde schneller war als im November in New York. Das war einem Schuhhersteller 2000 Laufschuhe wert, die nun an chilenische Kinder verteilt werden sollen. Für Haile scheint die Präsenz des wackren Miners bei der gleichen Veranstaltung allerdings bisher kein Glück zu bringen.

Das hatte aber bei nahezu idealen äußeren Bedingungen (Temperaturen stiegen von anfänglich 7°C auf 14°C) der Japaner, Yuki Kawauki, der nach einem 4. Platz im letzten Jahr in allerdings mäßigen 2:12:36 diesmal wesentlich schneller lief. Beim Halbmarathon lag er noch in der Spitzengruppe mit sehr guten 1:03:14, musste dann aber abreißen lassen.

Am Ende gewann der Äthiopier Hailu Mekonnen in respektablen 2:07:35 das Rennen, nur knapp über Röthlins Streckenrekord. Es wäre schon sehr interessant gewesen, was Haile bei diesen guten Verhältnissen hätte laufen können. Eine Option für das nächste Jahr mit der (letzten) Chance, sich für Olympia 2012 in London für das äthiopische Team zu qualifizieren, wurde diskutiert.

Was die Leistung von Kawauchi so einmalig macht, ist sein Status als „Amateur", dabei ist er wohl etwas mehr als ein engagierter Hobbyläufer. Angebote als Profiläufer nach dem letzten Tokyo Marathon schlug er aus und arbeitet aktuell in der Verwaltung einer High School. Das sind 8 Stunden Arbeitstage von 13:30 bis 21:30 Uhr, das Training erledigt er am Morgen mit Umfängen von etwa 140 km pro Woche, die Weltelite und insbesondere auch seine japanischen Mitstreiter mit professionellem Status laufen da über 100 km mehr.

Auf Platz 5 bei 35 km liegend begann er seine Aufholjagd, die so beeindruckend war, dass die TV-Übertragung die beiden Führenden (Mekonnen und Biwott) laufen ließ und sich fast ausschließlich auf den Kampf um Platz 3 konzentrierte, den Kawauchi unter sichtbarer Mobilisierung aller Kräfte eindrucksvoll für sich entschied. Mit 6:52 war er ab 40 km der schnellste aller Topläufer, was am Ende zu einer massiven Verbesserung seiner Bestzeit auf 2:08:37 führte; Anfang Dezember 2010 ging er in Fukuoka in 2:17 noch unter.

Damit schaffte ironischerweise ein „Hobbyläufer" den Sprung in das Marathonteam Japans für die Weltmeisterschaften im Sommer 2011 in Daegu und beendete zunächst die Serie sehr bescheidener Resultate der japanischen Männerelite. Die Freude über das unerwartete Resultat aber auch die Irritation waren nach dem Lauf erheblich.

Für die professionellen Läufer war das natürlich eine verlegene Situation, vor allem auch für Arata Fujiwara. Der war noch in 2:08:40 vor drei Jahren Zweiter an gleicher Stelle geworden und ging diesmal nach 25 km sprichwörtlich ein, mit 5 km-Abschnitten über 20 Minuten (das ist das Niveau von Hobbyläufern) wurde er im Ziel in nur 2:29:21 enttäuschender 57., über 20 Minuten hinter Kawauchi, der sich als bester Japaner auch noch über das Auto einer deutschen Nobelmarke freuen konnte!

Nach den ereignisreichen Tagen von Tokyo, mit 33.353 Teilnehmern im Marathon, von denen 97,2 % das Ziel erreichten, ist der Massenmarathon in der Tat in Japan angekommen (in Osaka, Kobe und Kyoto folgt man schon in Kürze diesem Beispiel), wartet bereits am kommenden Sonntag das nächste Highlight: der Lake Biwa Marathon in Otsu.

Auch dort erhofft man sich ein ähnliches, wenn nicht sogar ein deutlich besseres Resultat, denn das „Gold Label" der IAAF konnte man in den letzten Jahren kaum rechtfertigen. Aber das könnte sich am Sonntag ändern, denn mit dem Frankfurt Sieger 2010 Wilson Kipsang (KEN) und Deriba Merba (ETH) hat man zwei Läufer der Marathon-Weltelite verpflichten können. Merga zeigte bei seinem Sieg beim Ras Al Khaimah Halbmarathon aufsteigende Form und Kipsang ist mit 2:04:57 einer der acht Läufer, die bisher die 2:05 Schallmauer unterbieten konnten.

Auch die 2:06:38 von Merga vom London Marathon 2008 sind hochklassig, der Lauf dürfte in diesem Jahr schnell werden. Die Wetterprognosen für Sonntag sind mit 11°C und wenig Regen recht günstig. Man hat die schnellste Zeit auf  japanischem Boden, 2:05:18 (Kebede, Fukuoka 2009) im Visier.

Auch die weiteren eingeladenen Eliteathleten sind mit Zeiten von 2:08 notiert: El Hachimi (MAR) 2:08:17 (Seoul 2010), Musinschi (MDA) 2:08:32 (Düsseldorf 2010), Asmerom (ERI) 2:08:34 (Otsu 2008) und Kangogo (KEN) 2:08:58 (Dublin 2010) könnten lange vorne mithalten. Eine weniger große Rolle dürften die einheimischen Läufer spielen, 6 Japaner mit Bestzeiten von 2:11 bis 2:12 sind dabei. Aber vielleicht macht ja Kawauchis Bespiel von Tokyo Schule und man erlebt eine weitere Überraschung.

Und damit von Anfang an die Jagd gelingt, sind 5 Tempomacher ausgewiesen, von denen Nicholas Chelimo (KEN) mit seinen 2:07:38 als Zweiter in Endhoven 2010 auch das Potential hätte, durchzulaufen. Wie aber Fukuoka im Dezember zeigte, ist so etwas in Japan kaum denkbar. Aber es dürfte trotzdem spannend werden, ob man nun auch in Otsu auf der sehr flachen Wendepunktsstrecke am Ufer des Lake Biwa die Flaute mit schwachen Siegerzeiten bei Marathonläufen in Japan beenden kann.

Am Sonntag kurz nach 6 Uhr MEZ wissen wir mehr.

Helmut Winter

 

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