Armin Hary wird 75 – Der Verkannte – Michael Gernandt in der Süddeutschen Zeitung

Feinmechaniker, Sportstudent, Tellerwäscher, Kaufmann, Immobilienmakler, Baustoffgroßhändler, Olympiasieger. Armin Hary war ein Jahrhundertathlet des deutschen Sports. Er gewann zweimal olympisches Gold und steht als Zehn-null-Legende im Buch der Rekorde. Dennoch wurde der Sprinter lange geschmäht.

Seine ausgeprägte Individualität passte nicht ins Weltbild ewiggestriger Funktionäre. Heute wird Hary 75 Jahre alt.
    
Die Nummer eins im Ziel der internationalen Stadionpisten war eine kleine Ewigkeit kein Deutscher. Und überhaupt, laufen können bis heute andere generell besser, olympisch betrachtet. Somit war klar: Der Erste, der sich das Gold errennen würde, bekäme den Lorbeerkranz aufs Haupt gesetzt und den Heiligenschein darüber.

Kein Engel, aber auch kein Bengel: Armin Hary 

Nur, wie ist es gewesen, als nach vierzehn Sommerspielen seit 1896 das nicht mehr für möglich Gehaltene doch eintrat, als ein Hundertmetermann aus dem Saarländischen, damals 1960 in Rom 23-jährig, den Amis davonlief:

Armin Hary? Zur grellen Momentaufnahme ist der Triumph geronnen, kein Zertifikat auf Ewigruhm anbei gegeben, keine Idolgarantie.

Ein Jahrhundertathlet des deutschen Sports mit zweimal Gold und der Zehnnull-Legende im Buch der Rekorde – von den Zeitläufen abgehängt, bis zum 51. Jahr nach Rom, als ihm doch noch ein Platz in der Ruhmeshalle der Sporthilfe zugewiesen wurde, vom gemeinen Sportfreund einfach übersehen. Durchaus ein Drama.

Klar, Armin Hary war kein Engel, ein Bengel aber auch nicht. Das Image des bösen Buben hängten ihm ewiggestrige Funktionäre an. Seine ausgeprägte Individualität passte nicht in ihr Weltbild, die Auflehnung des jungen Mannes gegen System und Obrigkeit meinten sie 15 Jahre nach Weltkrieg II bestrafen zu müssen. Hary anno 1960: abgestempelt auf Jahrzehnte.
 
Armin Hary Der schnelle Einzelgänger

Heute wird er diesem Abschnitt seines Lebens altersmilde lächelnd begegnen. An diesem Donnerstag wird er 75. Einst dem großen Auftritt nicht abgeneigt, feiert er jetzt häuslich im kleinen Kreis.

Was sind 75 Jahre schon gegen 10,0 Sekunden.

Michael Gernandt in der Süddeutschen Zeitung, Donnerstag, dem 22. März 2012