Symbolbild - Foto: Horst Milde
Ansprechstelle Safe Sport: Mehr Sicherheit im Sportverein – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Betroffene von Gewalt und Missbrauch im Sport können sich nun an eine unabhängige Ansprechstelle wenden. Bei der Eröffnung herrschen Freude und Entsetzen zugleich.
„Auch wenn es furchtbar ist, dass wir Sie brauchen, wir brauchen Sie dringend.“ Nancy Faeser hat den zwiespältigen Eindruck bei der Eröffnung der Ansprechstelle Safe Sport am Dienstag in Berlin deutlich gemacht: Freude darüber, dass die Politik dieses Hilfetelefon und die Finanzierung von drei Stellen möglich gemacht hat und damit ein Meilenstein auf dem Weg zum Zentrum für Safe Sport erreicht ist.
Zugleich Entsetzen darüber, welche Fälle von Gewalt und Missbrauch im Sport immer wieder bekannt werden. Man gehe doch eigentlich zum Sport, so die Bundesinnenministerin, um ein sicheres Umfeld zu haben und positive Botschaften mit ins Leben zu bekommen, nicht die negativen Seiten.
Ein Zeichen der Wehrhaftigkeit derer, die sich für Sport einsetzen, nannte die Berliner Senatorin Iris Spranger, Vorsitzende der Innenministerkonferenz, die Einrichtung. Wie der Bund tragen die Länder die Hälfte der Finanzierung der Ansprechstelle von 300.000 Euro.
Psychische, körperliche und sexualisierte Gewalt
70 Prozent der Befragten berichteten bei einer Untersuchung von Gewalterfahrung im Sport, erinnerte die Soziologin und Sportsoziologin Ilse Hartmann-Tews von der Deutschen Sporthochschule Köln. Es gehe um psychische, körperliche und sexualisierte Gewalt, oft in Kombination. Berichteten Betroffene davon, so deren Erfahrung, stießen sie auf taube Ohren und erlebten, dass ihre Fälle negiert und unter den Tisch gekehrt würden: „Ganz offensichtlich verhindern soziale Strukturen im Sport, die missbräuchliche Ausübung von Macht im Sport angemessen wahrzunehmen, sie angemessen zu bewerten und als Organisation bei Übergriffigkeiten tätig zu werden und die Offenlegung von Fällen zu unterstützen.“
Die Politikerin und Betroffenenvertreterin Angela Marquardt erinnerte an die Anhörung der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs der Bundesregierung im Oktober 2020, bei der drei von 115 damals bekannten Betroffenen aus dem Sport ihre Fälle öffentlich gemacht hatten. Damit hätten sie das System des bewussten Wegsehens und Schweigens durchbrochen und mit dem Engagement im Trägerverein der Ansprechstelle Verantwortung übernommen.
Nun sei Aussprache abseits des Tatortes Sport möglich. Für diesen Raum, „der etwas wie Vertrauen vermittelt“, sei Unabhängigkeit von den Strukturen des Sports absolut notwendig. Zugleich sei der Sport in der Pflicht, auf diese unabhängige Einrichtung hinzuweisen. „Gut für die Betroffenen, einen sicheren Ort zu haben, wo eben nicht die Strukturen aus dem Sport vorhanden sind“, kommentierte auch Faeser.
„Sinnvolle Ergänzung“
Verbände und Vereine sehen sich in der paradoxen Situation, sich einerseits mit Programmen, Einrichtungen und Personal gegen Gewalt zu wenden, andererseits aus Gründen der Unabhängigkeit von der Mitgliedschaft im Trägerverein Safe Sport e. V. ausgeschlossen zu sein. Bund, Länder, Athleten Deutschland, Angela Marquardt und Ilse Hartmann-Tews sind Gründungsmitglieder.
Der Deutsche Olympische Sportbund und die Deutsche Sportjugend gehören nicht dazu und unterstützen den Verein auch nicht finanziell. Die Ansprechstelle sei „eine sinnvolle Ergänzung zu den bereits vorhandenen dezentralen Anlaufstellen im organisierten Sport sowie den Fachberatungsstellen in den Kommunen vor Ort und trägt damit wesentlich zur Stärkung von Betroffenen bei“, heißt es in einer Erklärung der Verbände.
Schwierig wird es werden, Prävention, Intervention und Aufarbeitung, wie sie das Zentrum für Safe Sport bald leisten soll, mit den Sportorganisationen und ihren mehr als 90.000 Vereinen abzustimmen: die Betreuung der Fälle, der juristische Umgang damit, der Eingriff in Vereine und Verbände, etwa bei Fehlverhalten von Trainern.
Bereits im Mai vergangenen Jahres hat Athleten Deutschland eine Anlaufstelle für Betroffene von Gewalt und Missbrauch im Spitzensport eingerichtet; innerhalb des ersten Jahres meldeten sich 150 Betroffene.
Die Initiative für das Zentrum für Safe Sport geht auf die Forderung von Maximilian Klein, Direktor für Sportpolitik bei Athleten Deutschland, und Geschäftsführer Johannes Herber aus dem Februar 2021 zurück. Zunächst griff die große Koalition der Regierung Merkel das Thema auf, dann die Ampelkoalition von Kanzler Scholz.
Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Mittwoch, dem 12. Juli 2023