Unterstützt wird Wanjiru durch Pacemaker der Extraklasse: Gilbert Chepkwony, Wilson Kenbenei; Mathew Koech und Patrick Ivuti. Mathew Koech ist ein Weltklassemann im Halbmarathon und siegte beim schnellen 25 km Lauf im Mai in Berlin, Patrick Ivuti konnte in einem historischen Fotofinish mit Gharib vor zwei Jahren den Lauf gewinnen.
„And get your kicks on route 66 …” – Vorbericht zum „Bank of America Chicago Marathon“ am 11. Oktober 2009 – Helmut Winter berichtet
Die legendäre Route 66 spielte in der Motorisierung der USA eine wichtige Rolle, bezeichnender Weise aber auch am kommenden Sonntag beim Chicago Marathon. Denn unweit der Halbmarathonmarke beginnt diese vielfach besungene Straße und endet erst an der Pazifikküste in Los Angeles (Santa Monica). Und diese Halbmarathonmarke will das Feld der Eliteläufer in ca. 61:40 passieren.
Verdoppelt man diese Zeit, kommt man in eine zeitliche Dimension, die recht deutlich unter Haile Gebrselassies Bestmarke vom Berlin Marathon 2008 liegt (2:03:59). Dass dieses Ansinnen nicht ganz utopisch erscheint, zeigt schon die Teilnahme des Stars der diesjährigen Veranstaltung, Sammy Wanjiru (KEN), der amtierende Olympiasieger and eindrucksvolle Gewinner des hochkarätigen London-Marathons 2009 mit seiner aktuellen Bestzeit von 2:05:10. Sammy ist auch Inhaber des Weltrekords im Halbmarathon (58:33), der in diesem Jahr mehrfach attackiert, aber nicht unterboten wurde.
Schon der Ablauf des sehr schnell begonnenen Rennens in London, das zwischendrin durch überforderte Pacemaker verlangsamte Tempo und fulminante Zwischenspurts im Schlussteil zeigten sein Potential für deutlich schnellere Zeiten. Chicago ist für das Unternehmen Weltrekord sicher eine gute Adresse, bis vor wenigen Jahre hatte die Metropole am Lake Michigan im Mittel der 10 besten Zeiten die schnellste Marathonstrecke der Welt.
Zusammen vier Weltrekorde bei Frauen und Männern wurden hier gelaufen, 1999 stellte Khalid Khannouchi den bis heuten gültigen Streckenrekord von 2:05:42 auf, seinerzeit war das für knapp drei Jahre der Weltrekord. Das Streckenprofil ist extrem flach.
Nach zwei Jahren mit ungewöhnlich hohen Temperaturen bis zu 30°C – 2007 musste der Lauf für die zweite Hälfte des Feldes abgebrochen werden – sehen die Wettervorhersagen diesmal ausgesprochen günstig aus, Temperaturen um die 5 bis 10°C und leichte Bewölkung, fast ideale Bedingungen, wenn sich der störende Wind in „Windy City“ (hat allerdings wenig mit dem meteorologischen Phänomen zu tun) in Grenzen hält.
Unterstützt wird Wanjiru durch Pacemaker der Extraklasse: Gilbert Chepkwony, Wilson Kenbenei; Mathew Koech und Patrick Ivuti. Mathew Koech ist ein Weltklassemann im Halbmarathon und siegte beim schnellen 25 km Lauf im Mai in Berlin, Patrick Ivuti konnte in einem historischen Fotofinish mit Gharib vor zwei Jahren den Lauf gewinnen.
Aber auch die Konkurrenz dürfte den jungen Kenianer mächtig antreiben. Ein ganz großes Debut wird von Tadese Tola (ETH) erwartet, der in beeindruckender Manier im Sommer den New Yorker Halbmarathon in einem Sololauf in 61:06 gewann, wobei er der hochklassigen Konkurrenz, wie z.B. Ryan Hall (USA), um fast zwei Minuten enteilte.
Ferner Abderrahim Goumri (MAR) mit einer Bestzeit von 2:05:30, der bei der WM in Berlin früh genug ausstieg, um in Chicago gute Chancen zu haben, sowie Vincent Kipruto (KEN) der in 2:05:47 den Paris Marathon in Frühjahr gewann. Mit Bestzeiten um 2:07 sind ferner dabei die Kenianer Richard Limo, Benjamin Maiyo und Isaac Macharia. Der eindrucksvolle Sieger des Vorjahres, Evans Cheruiyot (KEN), musste leider absagen.
Besonders freuen dürfte sich auf seinen Start in Chicago Wesley Korir (KEN), der bei seinem Debut im letzten Jahr nicht in der Elitegruppe starten durfte, die einige Minuten vor der Masse auf die Stecke ging. In einer beispiellosen Aufholjagd erreichte Korir dort nach der Zeit den vierten Platz (2:13:53). Nach einer mehrstündigen Diskussion der Offiziellen wurde ihm aber die Anerkennung der damit verbundenen Preissumme von 15000 $ verweigert, da er in einem anderen (!) Rennen startete.
Mit neuem Streckenrekord gewann er dann in Los Angeles Ende Mai 2009 in 2:08:24, holte in einer die Dramatik des Laufs erheblich steigernden Jagd auf die zuvor gestarteten Elitefrauen die spätere Siegerin deutlich vor dem Ziel ein und kassierte neben den 20000 $ Preisgeld, einen Bonus von 100000 $ und ein Automobil vom Hauptsponsor, zusammen 188705 $. Die reiche Beute in Los Angeles war somit eine mehr als gerechte „Entschädigung“ für das Pech in Chicago.
Aber auch in Chicago hat man aus der Geschichte um Korir gelernt, Elite und „Masse“ starten wieder gemeinsam. Schon sehr früh um 7:30 Uhr geht man am Sonntagmorgen auf die Stecke (14:30 deutsche Zeit) und auf das Resultat ist sicher nicht nur der dortige Race-Director, Carey Pinkowski, gespannt, auch in Berlin wird man aufmerksam die Dinge in Chicago beobachten. Vor einigen Wochen beim Rotterdam Halbmarathon fiel Wanjiru schon bei 8 km aus der Spitzengruppe heraus und lief „nur“ 61 Minuten, entschuldigte dies aber wie beim Lissabon Halbmarathon vor einem halben Jahr mit dem Marathontraining; in London war er jedenfalls danach über die volle Distanz topfit.
Nach Hailes nur in der Schlussphase wegen der zu hohen Temperaturen gescheiterten Rekordversuchs bei Berlin Marathon greift nun Chicago nach der Krone des Marathonlaufs.
Von deutscher Seite hat es seit Beginn des Chicago Marathons im Jahre 1977 nie einen Sieger oder eine Siegerin gegeben. Das könnte sich am Sonntag ändern. Nach ihrer Absage bei der WM in Berlin läuft Irina Mikitenko den angekündigten Herbstmarathon in Chicago und ist nach der Galavorstellung beim London-Marathon die eindeutige Favoritin auf den Sieg. Irina hat den wesentlichen Teil der Vorbereitungen wieder in Sankt Moritz absolviert und fühlt sich in guter Form für ihren ersten Start in den USA. Mit dem Lauf in Chicago startet die aktuell wohl beste Marathonläuferin der Welt ihr Unterfangen, alle Rennen der Marathon Majors einmal zu gewinnen.
Dabei hat Irina sicherlich das Potential wieder unter die Barriere der absoluten Weltklasse von 2:20 zu laufen, wie nahe sie allerdings an den Streckenrekord von Paule Ratcliffe von 2:17:18 aus dem Jahr 2002 kommen kann, wird vom Rennverlauf und dem Wetter (Wind) abhängen.
Größte Konkurrentin dürfte Deena Kastor sein, die gleichfalls eine Bestzeit unter 2:20 aufweisen kann und sich nach einer langen Verletzungspause wieder in sehr guter Form fühlt. Gute Chancen auf vordere Platzierungen haben die beiden Äthiopierinnen Elfenesh Alemu (2:24:29) und Teyba Erkessu (2:24:18) sowie die Russinnen Liliya Shobukhova (2:24:24) und Lidiya Grigoryeva (2:25:10). Grigoryeva siegte im letzten Jahr überlegen in 2:27:17. Weiterhin sind dabei die Japanerin Mizuho Nasukawa (2:25:38) und die Rumänin Adriana Pirtea, die vor zwei Jahren erst auf der Zielgeraden von Birhane Adere überspurtet wurde.
An der 40 km Marke werden die Rennen der Männer und Frauen eine entscheidende Phase erreicht haben. Hier befanden sich bis Ende der 60er Jahre die berühmten CHESS Studios, in denen ab 1950 die bekanntesten Bluesgrößen (Muddy Waters, John Lee Hooker, Bo Diddley, Buddy Guy, etc.) aber auch Chuck Berry ihre weltweit bekannten Aufnahmen produzierten. Auch die Rolling Stones kamen bei ihrem ersten USA-Trip dorthin und setzten der Adresse mit „2120 South Michigan Avenue“ ein musikalisches Denkmal.
Und was wird man von alledem im bundesdeutschen TV sehen? Nichts!
Auch eine deutsche Favoritin von Weltklasseniveau ist kein Argument für den Laufsport fest zementierte Sendeabläufe zu ändern. Das gilt diesbezüglich sogar für die Spartensender mit sportlicher Ausrichtung. In der ersten Reihe – sprich ARD – drehen die DTM-Autos zum Zeitpunkt des Chicago Marathons wieder ihre Runden, die 9. Auflage verspricht wieder mitreißenden Sport, nachdem am Tag des Berlin Marathons bei der 8. Auflage immerhin 1.2 Millionen Zuschauer dieses Event gesehen haben sollen.
Wer allerdings trotzdem den Lauf in Chicago verfolgen will, muss selber dorthin fahren, kann aber auch die immer wieder tolle Live-Übertragung im Radio bei AM670 „The Score“ über das Internet verfolgen.
Es lohnt sich!
Helmut Winter
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