Amanal Petros - 2020 World Half Marathon Championships Gydnia, Poland October 17, 2020 Photo: Giancarlo Colombo@PhotoRun Victah1111@aol.com www.photorun.NET #victahsailer
Amanal Petros kann 2023 befreit laufen: „Es ist noch vieles möglich“
Es war ein starker vierter Platz, den Amanal Petros beim Münchener Europameisterschafts-Marathon erreichte. Zudem gewann er mit dem deutschen Team die Silbermedaille in der Europa-Cup-Wertung. Doch man hat das Gefühl, dass der 27-Jährige Potenzial hat für weit mehr und auch in München noch nicht das Optimum herausholen konnte.
Sehr zuversichtlich blickt Amanal Petros, der mit Jahresbeginn nun für den SCC Berlin und nicht mehr für den TV Wattenscheid startet, in die Zukunft. Das liegt vor allem auch daran, dass er gerade von einer großen Sorge befreit wird. Die Bürgerkriegssituation in der äthiopischen Tigray-Region, wo seine Schwester und seine Mutter leben, hat sich zuletzt deutlich beruhigt. Bleibt die Lage stabil, wird Amanal Petros wie befreit laufen können.
„Es ist noch vieles möglich, ich glaube an mich“, sagt der deutsche Halbmarathon- und Marathon-Rekordler (60:09 Minuten/2:06:27 Stunden). Schon am kommenden Sonntag läuft er sein erstes Rennen im neuen Jahr: Amanal Petros startet in Valencia, wo er seine beiden nationalen Rekorde aufstellte, über 10 km.
Nach den Europameisterschaften in München und einem Halbmarathon in Kopenhagen im September machte Amanal Petros erst einmal Urlaub: Alleine reiste er ein paar Wochen lang durch die USA, unter anderem nach Las Vegas, Los Angeles, New York und Washington. In Las Vegas und Los Angeles besuchte er Tigray-Festivals. Dort leben viele Menschen aus der äthiopischen Region. „Das war eine großartige Gelegenheit für mich, mich mit anderen auszutauschen über die Situation. Sänger traten auf und Spenden für die Menschen in Tigray wurden gesammelt“, erzählt Amanal Petros. „Das war sehr wichtig für mich und hat wirklich gut getan. In dieser Zeit habe ich einmal gar nicht trainiert.“
Im Dezember hatte sich die Lage in Tigray wesentlich verbessert. „Es ist wieder möglich anzurufen, allerdings gibt es bisher Telefonverbindungen meist nur in die größeren Städte. Meine Mutter konnte ich daher noch nicht sprechen, denn sie wohnt in einem kleinen Dorf, da ist es noch schwierig. Aber mit meiner Schwester habe ich gesprochen, und ich weiß jetzt, dass es ihnen gut geht. Das ist eine enorme Erleichterung, eine Last fällt mir von den Schultern“, sagt Amanal Petros. Nach Äthiopien zu reisen, wäre aber zu gefährlich für den Läufer, der sich in der Vergangenheit immer wieder mutig und sehr kritisch öffentlich gegenüber dem äthiopischen Regime geäußert hat.
So reist er jetzt erst einmal nach Spanien. „Eine schnelle Zeit ist das Ziel. Ich möchte meine persönliche Bestzeit klar unterbieten. Vielleicht kann ich sogar in den Bereich des deutschen Rekordes laufen“, sagt Amanal Petros. Die nationale Bestzeit von Carsten Eich steht bei 27:47 Minuten und stammt noch aus dem Jahr 1993. Seinen persönlichen Rekord von 28:38 war Amanal Petros 2022 bei dem Rennen in Valencia gelaufen.
Gleich nach dem 10-km-Lauf geht es für Amanal Petros zurück nach Kenia. Knapp fünf Wochen lang wird er sich im Höhentrainingslager in Iten auf den Sevilla-Marathon vorbereiten, bei dem er am 19. Februar startet. Es geht dann darum, mit einer möglichst guten Zeit die Olympia-Qualifikation für die Spiele in Paris im Sommer 2024 schon so gut wie abzuhaken. Die nationale Konkurrenz ist inzwischen wesentlich stärker als noch vor ein paar Jahren. Neben Europameister Richard Ringer (LC Rehlingen) hat Amanal Petros vor allen noch Simon Boch (LG Telis Finanz Regensburg) auf der Rechnung, dem er eine Steigerung auf 2:08 zutraut. Auch seinem langjährigen Trainingspartner Hendrik Pfeiffer (TK Hannover) traut er noch einiges zu.
Im Laufe des Jahres plant Amanal Petros noch mit zumindest zwei weiteren potenziell sehr schnellen Rennen. Avisiert sind Starts beim Berliner Halbmarathon am 2. April und erstmals beim Berlin-Marathon am 24. September 2023. Beide Wettbewerbe stehen natürlich im Zusammenhang mit seinem Vereinswechsel vom TV Wattenscheid zum SCC Berlin (Marathon-Team Berlin).
Durch den Rückzug von Trainer Tono Kirschbaum fiel die erfolgreiche Wattenscheider Lauf-Gruppe weitestgehend auseinander – aber Kirschbaum, der weiterhin vor Ort Nils Voigt trainiert, wird auch zukünftig Amanal Petros unterstützen. Für den deutschen Rekordhalter ist die Trainersituation praktisch unverändert: „Tono ist nach wie vor mein Trainer“, sagt Amanal Petros.. Wenn er in Deutschland ist, wohnt er wie bisher in Bochum und kann dort auch mit Nils Voigt trainieren, von dem er in der Zukunft noch einiges erwartet.
Allerdings ist ohnehin das Höhentrainingslager in Iten der Ort, wo Amanal Petros die meiste Zeit des Jahres verbringt. Dort schließt er sich der Gruppe mit dem Schweizer Halbmarathon-Europarekordler Julien Wanders (59:13 Minuten) an, die vom Erfolgscoach Renato Canova gesteuert wird. Der Italiener ist altersbedingt auch nicht immer vor Ort, schickt aber die Trainingspläne für die Gruppe. „Ich spreche die Pläne dann mit Tono ab und wir variieren gegebenenfalls etwas und passen sie für mich an“, erzählt Amanal Petros.
Das nächste große Karriereziel ist natürlich der olympische Marathon in Paris im Sommer 2024. Ob er taktisch beim nächsten großen Meisterschaftsrennen vielleicht etwas zurückhaltender läuft als zuletzt (bei der EM unterstützte er Richard Ringer, als dieser zeitweilig etwas zurückfiel)? „Es ist noch sehr viel Zeit bis Paris. Und es kommt dann natürlich darauf an in welcher Form ich sein werde. Wenn ich mich gut fühle, dann will ich vorne in der Gruppe mitlaufen, aber kraftsparend, nicht an der Spitze“, sagt Amanal Petros, der nicht denkt, dass er bei der EM im Rennen zusätzliche Kräfte verlor und dadurch vielleicht eine Medaille verpasste. „Es war eher so, dass ich erschöpft war von der gesamten belastenden Situation mit meiner Familie in Tigray – das ist dann doch nicht so einfach, unter solchen Umständen alles zu geben.“
Jetzt ist diese Belastung so gut wie weg und Amanal Petros blickt sehr optimistisch nach vorne: „Ich werde im Marathon ganz bestimmt noch stärker und auch schneller.“