Die Urkunde zum Ersten Gesamt-Berliner Neujahrslauf 1990 mit den Unterschriften von Horst Milde (West) und Stefan Senkel (Ost) - und dem Stempel der Grenztruppen der DDR - Foto: Klaus Weidt
Als Milde 1990 Oertel anrief… wurde aus zwei Berliner Neujahrsläufen ein gesamtdeutscher geboren. Das sollte unvergesslich bleiben. Klaus Weidt berichtet
„Milde reichte nach der Wende die Hand und versicherte, das machen wir weiter, weil es erhalten werden muss“.
In meinem Arbeitszimmer hängen drei Urkunden, auf die ich besonders stolz bin. Sie weisen aus, dass ich einmal Finisher eines New York City Marathons war, den fast 6000 m hohen Kilimanjaro-Gipfel erklommen hatte und – am ersten Gesamtberliner Neujahrslauf teilnahm.
Wie kam es zu diesem spektakulären Ereignis am 1. Januar 1990?
Der erste deutsche Neujahrslauf überhaupt wurde in der Berliner Rundfunksendung (früheren Ost-Berlin) „He-he-he, Sport an der Spree“ geboren.
Sportreporter Heinz Florian Oertel hatte die Idee hierzu und nutzte das Olympiafieber 1972 vor Sapporo und München. Es gelang ihm, ein paar tausend Alltagsläufer, Familien mit Kind und Kegel, zu einem Neujahrsjogging durch den Berliner Friedrichshain (damals Ost-Berlin) zu bewegen. Die Reporterlegende, inzwischen 95 Jahre alt, erinnert sich zurück: „Mein Gedanke war, wenn sich seit Jahr und Tag im brasilianischen Sao Paulo zur Silvesternacht Läuferstars gegen Bezahlung ins neue Jahr begegnen, können bei uns in Berlin gerade die Urläufer, die Unbezahlten, im Mittelpunkt stehen.“
Dieser Neujahrslauf wurde sofort eine Tradition, die Tausende und Abertausende in den Park des Friedrichshains zog.
Oertel ist heute noch froh darüber, dass der Neujahrslauf kein Wendeopfer wurde. Er erinnert sich gern daran, dass Horst Milde, Vater des BERLIN-MARATHON und vieler Volksläufe, bei ihm anrief: „Wollen wir nicht ab sofort einen gemeinsamen Berliner Neujahrslauf anbieten?“ Oertels Rückblick: „Milde reichte nach der Wende die Hand und versicherte, das machen wir weiter, weil es erhalten werden muss. Mit ihm und der Treue vieler, vieler Läufer, nun aus allen Bezirken der vereinigten Stadt, empfing der Neujahrslauf einen neuen Impuls.“
Vielleicht erinnert sich noch mancher. Am 1. Januar 1990 fand unterhalb des Friedrichshainer „Mont Klamott“ noch früh der 19. Oertel-Lauf statt. Um 14 Uhr dann mit 25.000 Teilnehmer:innen aus aller Welt die Premiere zum allerersten gemeinsamen Berliner Neujahrslauf durchs Brandenburger Tor – mit Start in der der „Strasse des 17. Juni“. Um zum Start zu gelangen, so erinnere ich mich, als wenn es gestern war, bekam ich am Brandenburger Tor, der Grenzstelle, als Ostberliner noch einen „Ausreisestempel“ in meinen Pass. Nach dem Start auf der Straße des 17. Juni stellte ich mich dann brav in die Läuferschlange, um auf die Startnummer einen Stempel der DDR-Grenzer aufgedrückt zu erhalten.
Lassen wir abschließend vor dem 50. Neujahrsrennen noch einmal Heinz Florian Oertel zu Wort kommen: “Wo in der Welt gibt es ähnliches auf so geschichtsträchtigem Terrain und von Jedermann gelaufen?“
Klaus Weidt
PS: siehe auch den Beitrag „50. Berliner Neujahrslauf – Ein sport-historischer Rückblick auf den 1.1.1990“