Sabine Pamperrien: 1967. Das Jahr der zwei Sommer. München 2017 ©dtv
Als Frauen noch nicht Marathon laufen durften … „Das Jahr der zwei Sommer“ 1967 im Rückspiegel betrachtet – Prof. Detlef Kuhlmann stellt vor
Das Jahr 1967 war rein sportlich betrachtet alles andere als „Das Jahr der zwei Sommer“ – eher ein Jahr zwischen zwei Sommern, ruft man die beiden weltweit bedeutendsten Sportereignisse in Erinnerung, die das Jahr 1967 kalendarisch umgeben:
Da gab es vom 11. bis 30. Juli 1966 in England die Fußball-Weltmeisterschaft mit dem berühmten Wembley-Finaltor, und da gab es 1968 die Spiele der XIX. Olympiade in Mexiko, die allerdings eher im „Spätspätsommer“, nämlich vom 12. bis 27. Oktober 1968 stattfanden.
Trotzdem lohnt ein Blick in sportlichem Interesse in „Das Jahr der zwei Sommer“, das seinen Titel allein dadurch rechtfertigt, dass in den USA der „Hippie-Summer of love“ mit dem „Long Hot Summer“ der schwersten Rassenunruhen kollidierte. So steht es jedenfalls schon im hinteren Klappentext dieser kleinen Jahreschronologie.
Wie muss man sich das Geschichtsjahrbuch des Jahres 1967 vom Aufbau und Inhalt her vorstellen? Die Autorin, Dr. Sabine Pamperrien, eine freie Publizistin, die 2014 mit „Helmut Schmidt und der Scheißkrieg“ einen Spiegel-Bestseller landete, beschreibt auf leichte Weise die durchaus schwerwiegenden, weil folgenreichen Ereignisse, von denen einige als zeithistorischer Vorläufer dessen bezeichnet werden können, was wir hierzulande bis heute unter dem terminus technicus politicus mit der „68er Zeit“ zusammenfassen.
Das Buch geht nach Prolog und Vorwort kalendarisch vor und schildert der Reihe nach von Januar bis Dezember 1967, was bei uns und anderswo in der Welt passierte: Der Schah von Persien ist in Berlin zu Gast, der Student Benno Ohnesorg wird erschossen. Eine Frau namens Twiggy ist das Star-Model des Jahres. Gudrun Ensslin wird Mutter. Die Beatles erobern mit „Penny Lane“ Platz eins der deutschen Charts.
Friedliche Gammler gehören zum Stadtbild. Konrad Adenauer stirbt mit 91 Jahren. Das Zeitalter des Farbfernsehens beginnt etc. etc. Das Jahr der zwei Sommer ist ein Jahr der Veränderungen, des Wandels, des Aufbruchs, des Neubeginns … und da kommt der Sport ins Spiel:
Am 19. April 1967 findet in Boston der 71. Marathon über 42,195 km statt. Genau 739 Läufer haben sich dafür angemeldet. In Wirklichkeit sind es aber nur 738, weil sich erstmals mit der 20-jährigen „K. V. Switzer“ eine Frau eingeschlichen hat, die mit der Startnummer 261 mitten im Feld der Männer und beschützt von ihrem Freund, dem 115 Kg schweren Footballspieler Tom Miller unterwegs ist. Dieser leistet an ihrer Seite treue Dienste als Bodyguard, weil Rennleiter Jock Semple Frau Switzer plötzlich persönlich attackiert, um sie aus dem Rennen zu nehmen.
Dazu muss man wissen: Bis dato war der 800m Lauf die längste „Mittelstrecke“, die Frauen offiziell wettkampfmäßig bei Meisterschaften und Olympischen Spielen laufen durften. Für Kathrine Virgina Switzer endet der Boston-Marathon jedoch mit Happyend: Nach 4:20 Stunden erreicht sie das Ziel und wird fortan Protagonistin des Frauenlaufes, und zwar nicht nur in den USA, sondern mit weltweiten „Ausläufen“ auch bei uns … einige Jahrzehnte später werden in ihrem „Marathon Woman. Die Frau, die den Laufsport revolutionierte“ (Hamburg 2011) die Verdienste der in Amberg (Oberpfalz) geborenen Tochter eines US-Majors als die Pionierin und Förderin des Frauenlaufens ausführlich nachgezeichnet. Übrigens: Nach genau 50 Jahren ist sie am 18. April 2017 als 70-Jährige den Bosten-Marathon in respektablen 4:36 (!) Stunden noch einmal gelaufen.
Zurück zu den zwei Sommern des Jahres 1967: Sucht man im Buch nach weiteren sportlichen Ereignissen, wird man eher auf Umwegen fündig: Im Personenregister ist zumindest von einem Muhammad Ali die Rede, der seine Titel als Boxer verliert, weil er nicht als Soldat in den Vietnam-Krieg ziehen will. Dazu passen die weiteren Namen der Boxer Karl Mildenberger und Floyd Patterson, von denen beiläugig auf S. 64 bis 67 die Rede ist. Bei den Namen Rudolf Hagelstange, Walter Jens und Uwe Johnson kann man zwar auch an Sport denken, allerdings kommen sie im Buch nur „unsportlich“ vor – genau wie Josef Neckermann mit seinem neuen Versandhauskatalog erwähnt wird, aber weder als erfolgreicher Dressurreiter noch in Zusammenhang mit der Stiftung Deutsche Sporthilfe, die am 26. Mai 1967 in Berlin gegründet wurde und dessen erster Vorsitzender er war.
Das alles war allerdings (soviel zur chronistischen Fairness!) in einem solchen Sommer- und Nicht-Sportbuch auch nicht unbedingt anders zu erwarten gewesen, genauso wie der im Buch überraschenderweise enthaltene Hinweis auf Seite 192, dass in Mexiko City bereits Tanzgruppen und Sänger mit folkloristischen Darbietungen die heimische Bevölkerung auf Olympia ein Jahr später einzustimmen versuchen.
Und dann sind da noch die durchgängig am Ende jeden Monats notierten Familien-Nachrichten, die man jahreszeitlich bedingt zwischendurch auch mit Sport im weitesten Sinne in Verbindung bringen kann: Die Autorin bezieht sich dabei auf den damals 32-jährigen Bahninspektor Kurt Drechsler und seine vierköpfige Familie aus Erbendorf im Landkreis Tirschenreuth in der Oberpfalz. Kurt Drechsler notiert in einem Haushalts-Büchlein alle wichtigen Ausgaben für Anschaffungen und Unternehmungen etc., wie das damals in vielen Haushalten bei uns so üblich war. Im Januar 1967 kann sich Kurt Drechsler immerhin Skifahren leisten: 5 Mark allein muss er für die Fahrten mit dem Skilift abdrücken.
Im Mai wird Geld für Badebekleidung ausgegeben. Im Juni kann ein Bocciaspiel für die ganze Familie angeschafft werden. Und im Dezember geht es wieder zum Skifahren. Der Lift kostet immer noch 5 Mark. Die „kostenlose“ Trimm-Dich-Bewegung kommt später – ob Familie Drechsler auch zu ihr findet?
Sabine Pamperrien: 1967. Das Jahr der zwei Sommer. München 2017: dtv. 382 S.; 24,- €
Prof. Detlef Kuhlmann