Sitzen kann auch sportlich sein. © ATP
„AlltagsTrainingsProgramm“ gegen rumsitzen
Über 60 Jahre alt muss man sein. Dann kann im "AlltagsTrainingsProgramm“ (ATP) gelernt werden, wie man das tägliche Umfeld nutzen kann, um im Alter fitter, gesünder und mobiler zu sein.
Die Halbstarken, die im Park in Emsdetten um die Ecke biegen, stutzen – und grinsen. Was sie sehen, ist eine Gruppe älterer Damen und Herren, die konzentriert im Storchenschritt um ein Beet mit Tulpen stolziert. Ein paar lockere Worte wandern hin und her. Was passiert hier? Schauspielerei?
Nein, was in den Augen der jungen Leute so seltsam wirkt, ist das äußerst sinnvolle Verhalten des ATP-Kurses von Christel Düsterbeck-Kerfers.
„Trainieren beim Spazieren“ heißt die Übungsstunde des TV Emsdetten, die die Gruppe bei bestem Frühlingswetter absolviert. Sie ist eine von insgesamt zwölf Einheiten, die das „AlltagsTrainingsProgramm“ beinhaltet. Wären die jungen Zuschauer früher gekommen, hätten sie beobachten können, auf wie viele verschiedene Arten man gehen kann: rückwärts, seitwärts, auf Fußballen und Fersen, mit schwingenden Armen, gebeugt und gestreckt…
„Mit einfachen Mitteln werden im ATP Kraft, Ausdauer, Gleichgewicht und Koordination geübt“, erklärt Übungsleiterin Christel Düsterbeck-Kerfers. Ideal für ältere Sporteinsteiger. Mit weiteren Kursinhalten, die in der Sporthalle absolviert werden, mit Themen wie „Das Wohnviertel als Fitnessstudio“, „Der Bewegte Haushalt“, oder „Sitzen und Stehen“, wird das tägliche Umfeld rundum abgeklopft. „Wichtig ist der Transfer des Geübten in den Alltag der Teilnehmer“, erläutert die Übungsleiterin.
Auch jetzt beim „Storchenschritt“ regt sie an: „Ich stelle mir vor, ich steige über Zäune in einem Kleingartenverein.“ Nun, solange es erlaubt ist – der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Im Park bieten sich alltagstaugliche Möglichkeiten von alleine an. Seien es Treppen, über die man in Schlangenlinien gehen kann, oder Bänke, die sich für Dehnübungen eignen.
Über Zäune und mit Kisten
Die ATP-Kurse des TV Emsdetten kommen gut an im Ort. „Wir bieten das jetzt im zweiten Jahr an“, sagt Christel Düsterbeck-Kerfers, „der Kurs war in zwei Tagen ausgebucht.“ Besonders freut sie: „Eine Reihe von Teilnehmern hat den Weg in unsere Regelkurse gefunden oder sie treffen sich regelmäßig.“
Teilnehmerin Anita Schmidding (65) freut sich: „Ich habe von Anfang an Anregungen mit nach Hause nehmen können.“ Dem 63-jährigen Johannes Webels kam der Kurs gerade recht. Er hatte während seines Arbeitslebens keine Zeit zum Sport und stellt jetzt fest: „Man kann nicht nur rumsitzen.“ Lernerfolge haben sich bei ihm schon eingestellt: „Zuerst hebe ich eine Kiste wie gewohnt. Dann denke ich, ach, ich mach das jetzt mal anders.“ Oder öfter, um Muskelkraft zu stärken oder was einem so einfällt. „Mal anders machen“ – den Alltag in seiner Vielfalt als Bewegungsoption begreifen, die man aktiv nutzen kann:
So könnte man das Geheimrezept des ATP umschreiben. Es braucht nur ein bisschen Bewusstsein – und Anleitung dazu. „ATP ermöglicht es Vereinen, sportfernen Menschen ab 60 Jahren in nur zwölf Kurstunden das Handwerkszeug zu vermitteln, sich nachhaltig mehr im Alltag zu bewegen. Es gibt derzeit kein vergleichbares Konzept“, verdeutlicht auch LSB-Vorstand Martin Wonik.
Seit dem 1. Januar kann in NRW eine finanzielle Unterstützung zur Durchführung eines ATP-Kurses beim LSB beantragt werden. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung unterstützt mit einer Fördersumme von maximal 800 Euro/Kurs. Alle Informationen und Fördervoraussetzungen finden Sie hier >>>
Zum Hintergrund: ATP wurde in einer bisher einmaligen Konstellation von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), der Deutschen Sporthochschule Köln (DSHS), dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB), dem Deutschen Turner-Bund (DTB) und dem Landessportbund NRW konzipiert.
Es wurde nach aktuellen sportwissenschaftlichen Erkenntnissen entwickelt und 2016 in zwölf Vereinen in NRW erprobt. In NRW können derzeit bis zu 60 ATP-Kurse über den Landessportbund NRW beantragt werden.
Quelle: LSB NRW