Österreicher steigerte im Sog der Kenianer in Frankfurt den 23 Jahre alten Staatsrekord auf 2:10:47 Stunden – und gilt als EM Medaillenkandidat für Barcelona
Allroundläufer Günther Weidlinger nun auch Marathonass – Wilfried Raatz berichtet
In der „Gudd Stubb“ bebte der Boden, regnete es Konfetti. Hier der umjubelte Sieger Gilbert Kirwa mit einer phantastischen Leistungssteigerung auf die neue Frankfurter Streckenbestzeit von 2:06:14 Stunden, dort ein nicht minder gefragter Günther Weidlinger, der als Zehnter und bester Nicht-Afrikaner mit 2:10:47 Stunden für einen neuen österreichischen Rekord sorgen konnte.
Parallelität allenthalben. Denn für beide Athleten ging ein Traum in Erfüllung, der so nicht unbedingt zu erwarten war. Vor sechs Monaten standen beide nämlich beim Vienna-City-Marathon bereits im Mittelpunkt des Interesses, Kirwa als siegreicher Debütant mit 2:08:21, Weidlinger als Neunter bei seiner Marathonpremiere und dem mit 2:12:39 Stunden um 17 Sekunden knapp verpassten 23 Jahre alten Staatsrekord.
„Pain is only temporary, victory is forever!“ steht es auf dem T-Shirt, das Günther Weidlinger in der Lobby des Athletenhotels trägt, das idealerweise nur wenige hundert Meter hinter der Frankfurter Festhalle liegt. Gewiss hat auch er Schmerzen gehabt, doch im Ziel überwog die Freude über das über das Ziel hinaus schießende Ergebnis. „Mein großes Ziel ist es, das EM-Limit von 2:16 für Barcelona nächstes Jahr zu schaffen!“
So jedenfalls stapelte der Oberösterreicher noch zwei Tage zuvor tief. Denn zu lange war Weidlinger nach einem schmerzhaften Marathondebüt beim Wien-Marathon von Mediziner zu Mediziner gerannt. Zuversicht jedenfalls sah im Frühsommer anders aus, denn die ärztlichen Diagnosen schwankten zwischen Leistenbruch, Ermüdungsbruch im Becken, Aduktorenzerrung und Entzündung im Muskelansatz. Alternativtraining mit Aqua jogging führte zudem noch in die falsche Richtung.
„In 11 Wochen zum Marathon“ oder besser: „In 11 Wochen zur Europäischen Marathon-Spitze“, so oder ähnlich müsste das Rezept des Günther Weidlinger überschrieben werden. Viel mehr Zeit jedenfalls hatte der Allroundläufer mit den österreichischen Rekorden zwischen 1500 m (3:34,69), 5000 m (13:13,44), 10.000 m (27:36,46), 3000 m-Hindernis (8:10,83) und Halbmarathon (1:01:42) nicht zur Vorbereitung auf den Frankfurt-Marathon.
Seit dem 7. August erst konnte Günther Weidlinger mit Lauftraining beginnen. „Mein Arzt hatte mir einen Einstieg mit 40 bis 50 Kilometer in der Woche empfohlen, mit 140 Kilometern habe ich mich allerdings nicht ganz so dran gehalten!“ grinste Günther Weidlinger verschmitzt. Im Nachhinein hat er alles richtig gemacht, weil das Trainingsprogramm seines Vaters Heinrich Weidlinger, bestens angeschlagen hatte. „Ich habe es riskiert. Und es ging gut! Und ohne Schmerzen!“
Frankfurts Rennleiter Christoph Kopp hatte dann neben zwei kompakten Spitzengruppen für Zielzeiten von 2:06 und 2:10 Stunden auch für eine „Weidlinger-Gruppe“ mit einem Halbmarathontempo von 1:06:00 und den entsprechenden Tempomachern zusammen gestellt. „Das habe ich mir zugetraut, nach den Ergebnissen im Training und bei den wenigen Wettkämpfen“.
Hinter 5 afrikanischen Tempomachern wurde es aber bei idealen Marathonbedingungen zu schnell, so dass sich Weidlinger schon nach 8 km aus der Gruppe „nach hinten“ verabschiedete. „30:50 für die ersten 10 km wären Harakiri mit Anlauf. Das wollte ich nicht“, kommentierte er seine überaus weise Entscheidung. „Nach Halbmarathon war es dann der pure Wahnsinn, einen nach dem anderen Läufer einsammeln zu können. Ich war vielleicht Fünfundzwanzigster – und am Ende bin ich nun Zehnter und total glücklich!“
„Mit den nötigen Vorleistungen kannst du dir auch hohe Ziele setzen“, blickt Weidlinger schon weiter in Richtung Barcelona. „Die EM 2010 war schon immer so geplant“. Plötzlich tun sich Medaillenchancen auf für den mit 1,69 m „kleinen“ Österreicher, schließlich lief 2009 nur der Italiener Ruggero Pertile mit 2:09:53 unter die 2:10er Marke. „Warum soll es bei mir nicht im 2-Minuten-Rhythmus weiter gehen?“ Dies könnte bereits im Frühjahr 2010 der Fall sein, wenn er erneut beim Wien-Marathon an der Startlinie stehen wird.
Günther Weidlinger ist schneller als gedacht Marathonläufer geworden. „Das ist meine Strecke. Es macht mir irrsinnig Spaß! Natürlich werde ich auch Unterdistanzen laufen. Aber auf die Bahn zieht es mich nicht mehr!“ Er möchte beim Laufen Spaß haben, sich nicht in seinem Sport verwissenschaftlicht sehen. „Die Kenianer laufen auch nach Gefühl. Das brauche ich, so wie heute, als ich mich nach acht Kilometern zurückfallen ließ. Natürlich musste ich mich als eigentlicher Vorfußläufer umstellen und mich beim Wettkampf darauf mächtig konzentrieren. Aber das ist mir ganz ordentlich gelungen“.
Kenia reizt das neue Marathonass nicht („Nur zur Safari!“), deshalb wird er bereits in der kommenden Woche zu einem sechswöchigen Aufenthalt nach Australien aufbrechen. In Falls Creek hat der frühere Weltklassemann Steve Moneghetti auf 1650 m Höhe ein Höhencamp errichtet, in dem Topathleten aus aller Herren Länder trainieren.
Zu Silvester möchte er wieder zurück sein, denn in Peuerbach wartet das nächste Heimspiel auf den 31jährigen, der gerade ein Fernstudium der Wirtschaftswissenschaft erfolgreich abgeschlossen hat.
Wilfried Raatz in "leichtathletik" vom 28. Oktober 2009 – Nr. 43