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Alina Reh - 2017 European Cross Country Championships Samorin, Slovakia December 10, 2017 Photo: Giancarlo Colombo@PhotoRun Victah1111@aol.com www.photorun.NET #run.photo

Alina Reh großartiges Comeback nach zwei schwierigen Jahren – Eine zusammenfassende Betrachtung über die Cross-Europameisterschaften in Dublin –  von Wilfried Raatz

By GRR 0

– Die frühere U23-Cross-Europameisterin Alina Reh läuft überraschend zur Bronzemedaille

– Die als Mitfavoritin gehandelte Konstanze Klosterhalfen mußte ihrem eigenen Tempodiktat etwas Tribut zollen und wird Fünfte

– Norweger dominieren mit Jakob Ingebrigtsen und Karoline Grovdal auf den beiden Langstrecken-Wettbewerben

– U20-Juniorinnen um die Individual-Dritte Emma Heckel reihen sich mit Team-Gold in die Reihe der großartigen Erfolge in diesem Wettbewerb

– Cross-Europameisterschaften in der irischen Hauptstadt Dublin werden zu einem glänzenden Fest mit packenden Entscheidungen um die europäischen Titel

Das war ein beeindruckender Doppelschlag für Norwegens Langstreckler:

Mit Jakob Ingebrigtsen und Karoline Grovdal gingen beide Langstreckentitel bei den Crosslauf-Europameisterschaften in Dublin an die Skandinavier. Mit insgesamt fünf Medaillen (zudem zwei Silber- und eine Bronzemedaille) rangiert Norwegen final im Medaillenspiegel hinter dem einmal mehr überragenden Großbritannien (5x Gold, 1x Silber, 2x Bronze) auf Position zwei vor Italien (2x Gold) und Frankreich (5/1-2-2.

Hinter den in „ihrem Terrain“ mächtig auftrumpfenden Iren folgt Deutschland auf Position sechs mit vier Medaillen, die ausschließlich dem weiblichen Bereich zuzuordnen sind. Doch der Medaillenspiegel ist nur die halbe Wahrheit, vielmehr ist die Analyse für die einzelnen Wettbewerbe ausschlaggebend. Und hier überstrahlen die Erfolge bei den Frauen durch das großartige Comeback von Alina Reh zurück auf die internationale Bühne mit Rang drei bei den Frauen und im Verbund mit Konstanze Klosterhalfen und Domenika Mayer die Silbermedaille sowie die Goldmedaille der U20-Girls sowie der dritte Platz für Emma Heckel eine Bilanz, die letztlich vor allem im männlichen Bereich nicht zufriedenstellen kann.

Zum ersten Mal seit 2019 konnten diese Titelkämpfe wieder stattfinden.

Und zwar exakt auf diesem idealen Geländeparcours des Sport Ireland Campus in Blanchardstown an der nördlichen Peripherie von Dublin, der typisch britisch stellenweise „tief“ war und mit zwei leichten Steigungen cross-spezifische Schwierigkeiten aufwiesen. Und vor allem vor einem begeisterungsfähigen Publikum stattfanden, was angesichts der in Irland und weiten Teilen Europas ausgewiesenen Hochrisikogebieten mehr als erstaunlich war.

Aus deutscher Sicht ist natürlich das Langstreckenrennen der Frauen über 8.000 m vorrangig zu sehen. Konstanze Klosterhalfen sortierte sich vom Start weg in der Spitze des Feldes ein, während Alina Reh mit vorsichtigem Beginn eher in der großen Verfolgergruppe wie auch die anderen deutschen Läuferinnen Domenika Mayer, Vera Coutellier und Celine Kaiser lief. In der Mitte des Rennens fiel dann überraschend die Titelverteidigerin Yasemin Can zurück, die sogar viermal in Folge EM-Gold gewonnen hatte, und am Ende nur Vierzehnte wurde. An der Spitze entwickelte sich zunächst ein Dreikampf zwischen Konstanze Klosterhalfen, der norwegischen Hindernis-Spezialistin Karoline Grovdal und der Schwedin Meraf Bahta, nachdem Samrawit Teferi und die zumeist anfangs führende Yasemin Can zurückgefallen waren.

Nach knapp 5000 Metern mußte dann auch Konstanze Klosterhalfen ihrem schnellen Anfangstempo Tribut zollen und kurz später von dem stark agierenden Duo Alina Reh und Jessica Judd überholt. Und Alina, die 2017 das Rennen der unter 23jährigen in Samorin (Slowakei) gewonnen hatte, witterte ihre Chance auf einen Medaillenrang und gab unvermindert weiter Gas. Die 24jährige gab diese Position nicht mehr ab und war in der Schlussphase deutlich schneller als Jessica Judd, dahinter eine sichtlich abgekämpfte Konstanze Klosterhalfen.

An der Spitze hatte sich Karoline Grovdal auf dem letzten Kilometer gelöst und gewann in 26:34 Minuten vor der Meraf Bahta (26:44). Alina Reh folgte als Dritte in 26:53 vor letztlich Jessica Judd (27:01) und Konstanze Klosterhalfen (27:12).

Nach zwei schwierigen Jahren mit Trainerwechsel und Verletzungen meldete sich Alina Reh nun in Dublin auch international zurück. Ihre Medaille ist die erste einer deutschen Läuferin bei den Crosslauf-Europameisterschaften seit dem Jahr 2005. In Tilburg wurde seinerzeit Sabrina Mockenhaupt Zweite. „Ich hatte zwei sehr schwierige Jahre, ich war verletzt und habe Olympia verpasst. Deswegen bedeutet mir diese Medaille enorm viel nach einer schweren Zeit. Ich wollte heute etwas zeigen und bin sehr, sehr froh über das Resultat“, sagte Alina Reh nach der grandiosen Aufholjagd in der zweiten Streckenhälfte. Zwei Wochen zuvor hatte die Läuferin von der Schwäbischen Alb bei der EM-Qualifikation in Pforzheim noch ein deutliches Nachsehen gegen ihre Dauerrivalin Konstanze Klosterhalfen.

„Ich hatte mich super gefreut, hier am Start zu stehen“, wird die Leverkusenerin bei leichtathletik.de zitiert. „Ich weiß nicht ganz genau, woran es gelegen hat. Es war ganz schön tough. Aber ich freue mich über die Silbermedaille für das Team und über die Medaille für Alina! Jetzt kann ich es kaum erwarten, in der Hallen-Saison zu zeigen, was ich draufhabe. Denn eigentlich bin ich in guter Form!“

Eine kämpferisch starke Leistung lieferte nach einer durch Verletzungen geprägten zweiten Saisonhälfte Domenika Mayer ab, die als 21. in 28:47 Minuten die eigentlich schon erwartete Silbermedaille für den DLV absichern konnte. Mit 29 Punkten lag Deutschland lediglich vier Punkte hinter Großbritannien, Bronze sicherte sich mit deutlichem Abstand Schweden (38) vor Irland (47), Spanien (59) und der Türkei (66).

Im Männerrennen über 10 km setzten sich nach rund 3.000 Metern vier Athleten ab: Neben dem türkischen Titelverteidiger Aras Kaya liefen Jimmy Gressier, Yemaneberhan Crippa und der norwegische 1.500-m-Olympiasieger Jakob Ingebrigtsen an der Spitze. Angetrieben von dem aus Kenia stammenden Aras Kaya vergrößerte das Quartett den Vorsprung kontinuierlich. Gut zwei Kilometer vor dem Ziel ging Crippa überraschend aus dem Rennen, auch der frühere U23-Cross-Europameister Gressier fiel zurück. An der Spitze machte Kaya weiter Tempo, konnte aber Ingebrigtsen nicht abschütteln. Es war dann der Norweger, der sich rund 1.500 Meter vor dem Ziel  absetzte und zu seinem ersten Cross-EM-Titel stürmte. Diesen hatte übrigens 2018 Jakobs Bruder Filip schon gewonnen. Der 21jährige siegte schließlich in 30:15 Minuten vor Aras Kaya (30:29) und Jimmy Gressier (30:34). Als Vierter folgte Hugo Hay (Frankreich) in 30:38 vor dem zeitgleichen Michael Somers (Belgien).

Und die Deutschen, die mit viel Selbstvertrauen ins Rennen gegangen waren?

Achtbar schlug sich vor allem Filimon Abraham, der vor wenigen Wochen überraschend die inoffizielle Berglauf-Weltmeisterschaft, den Nations-Cup des Berglauf-Weltverbandes WMRA, gewonnen hatte, auf Platz vierzehn. Samuel Fitwi hingegen, der mit großen Erwartungen ins Rennen gegangen war, wurde nur Neunzehnter. „Ich konnte super mit der Konkurrenz mithalten. Zwischendurch hatte ich Magenprobleme, daher bin ich um so zufriedener mit meiner Leistung“, gestand Filimon Abraham, der für die Saison 2022 von der LG festina Rupertiwinkel zum Branchencrösus LG telis finanz Regensburg wechselt. Ist vorrangig während der vergangenen Jahre eher bei internationalen Bergläufen erfolgreich unterwegs. Die DLV-auswahl mit zudem Johannes Motschmann (39.) belegte Rang sieben mit 72 Punkten und war dabei freilich in bester Gesellschaft hinter Belgien (59) und Großbritannien (65), aber vor so starken Crossnationen wie Portugal und Italien..

In der 4×1500 m Mixed-Staffel verteidigte Großbritannien den Titel. Im Mittelteil des Rennens noch auf Rang sechs platziert, siegten die Briten am Ende in 18:01 Minuten vor Frankreich (18:05), Belgien (18:06) und den in der ersten Hälfte noch führenden Iren (18:06). Ein deutsches Team war in diesem Wettbewerb nicht am Start, nach aktueller Planung wird der DLV aber 2022 wieder mit einem starken Team am Start stehen.

Das „obligatorische Gold“ bei Cross-Europameisterschaften holten einmal mehr die U20-Girls.

Mit Emma Heckel (3.), Anneke Vortmeier (5.), Mia Jurenka (7.)und Johanna Pulte (9.) liefen gleich vier deutsche Starterinnen unter die Top Ten und unterstrichen einmal mehr die große Leistungsbilanz im weiblichen Nachwuchsbereich. An der Spitze präsentierte sich mit Emma Heckel eine 19jährige, die nach dem vor wenigen Tagen in Boston mit 15:41,07 Minuten aufgestellten U20-Europarekord über 5000 m vor Selbstvertrauen nur so strotzte und Mitte des Rennens das Rennen zusammen mit der Britin Megan Keith bestimmte. Die an der New Mexico University in Albuquerque studierende junge Regensburgerin wurde zwar für ihren Übermut etwas bestraft, doch reichte es zu Bronze hinter Megan Keith und der Norwegerin Ingeborg Ostgard. „Das war ein hartes Rennen gegen starke Konkurrenz. Aber diese ist wichtig, um bis zum Ende zu kämpfen. Ich bin glücklich, eine Medaille im Einzeln gewonnen zu haben! Und dies vor dem Hintergrund, dass mein Hauptziel eigentlich eine Teammedaille war!“

Emma Heckel (LG Telis Finanz Regensburg), Anneke Vortmeier (ASV Duisburg), Mia Jurenka (Vfl Sindelfingen) und Johanna Pulte (SG Wenden) gewinnen GOLD in der Mannschaft – Foto: Horst Milde

Damit setzten die deutschen U20-Girls die großartige Erfolgsbilanz im Cross nun in Dublin fort, die über ein Jahrzehnt hinweg stets zumindest eine Medaille, oftmals auch darunter auch Mannschaftsgold, einbrachten.

Ein rauher Wind wehte hingegen den U20-Junioren im Rennen entgegen. Das deutsche Team schaffte mit 107 Punkten lediglich Rang neun, Sieger wurde Großbritannien (34) mit einem Punkt Vorsprung vor Gastgeber Irland (35) und Israel (37). Die beste Platzierung schaffte Benjamin Dern, der sich bei der U20-EM-Qualifikation in Darmstadt die Nominierung für Dublin sichern konnte, auf Rang 20 mit einer knappen Minute Rückstand auf den Sieger Axel Vang Christensen, Bastian Mrochen (34.) und Hamza Hariri (53) komplettierten die DLV-Auswahl.

Mit Malte Popp (32.), Julius Hild (36.) und Maximilian Pingpank (42) liefen die deutschen U23-Junioren auf Rang neun der Teamwertung, die spektalulär mit dem Sieg für die Gastgeber mit 21 Punkten vor Großbritannien (24) und Frankreich (36) endete. Die Einzelwertung sicherte sich der Brite Charles Hicks vor dem Iren Darragh Mcelhinney und dem überraschend stark auftrumphenden Luxemburger Ruben Querinjean.

So sehr sich auch die Konkurrenz mit Klara Lukan und Mariana Machado auch mühte, am Ende entschied die letztmals U19-Europameisterin gewordene Nadia Battocletti das Rennen der U23-Juniorinnen nach Belieben. Das Covergirl der italienischen Modebranche führte auch das Azzuri-Team zu Gold mit 18 Punkten vor Frankreich (25) und Großbritannien (37).

Die deutsche Auswahl mit Eva Dieterich, die als Zehnte mit viel Mut lange Zeit in der Spitzengruppe mithalten konnte, Kim Bödi (44.) und Selma Benfares (45.) belegte final mit 99 Punkten Rang sieben unter neun Teams.

Wilfried Raatz

 

author: GRR