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2006

Dreißig Jahre Vorreiter im Behindertensport: Paralympicssieger, Marathon-Ass und Konstrukteur von Rennrollstühlen – Nun folgt der Abschluss einer großen Karriere beim 33. real,- BERLIN-MARATHON

Die Vorschau … und das frustierende Ergebnis – Errol Marklein beim BERLIN-MARATHON: Ein Rollstuhl-Pionier tritt am Sonntag von der aktiven Bühne ab. Wilfried Raatz dokumentiert den Sportler Erroll Marklein vor dem Rennen – Erroll Marklein schreibt über die erreichten 1.74 Meter beim BERLIN-MARATHON

By GRR 0

Fit ist er, unbestritten. Doch dreißig Jahre sind genug im Leistungssport. Sagt sich Errol Marklein, der 49 Jahre alte frühere Paralympicssieger, deutsche Marathonrekordhalter und Sieger zahlreicher Marathonrennen wie Köln (2004) und Berlin (2004). Als Chefkonstrukteur von Sunrise Medical, des international führenden Unternehmens von Rennrollstühlen, die unter der Marke „Sopur“ höchste Akzeptanz unter den Elitefahrern genießen, ist er ebenso ein Pionier wie auch in den Bemühungen, Nichtbehinderte und Behinderte bei großen Veranstaltungen gemeinsam an die Startlinie zu führen. Wenn am 24. September um 8.50 Uhr beim 33. real,- BERLIN-MARATHON 147 Teilnehmer im Handbike-Rennen am Start stehen werden, dann wird für Errol Marklein letztmals der Startschuss bei einem derartigen Galaauftritt fallen.

Beeindruckende Karriere

Schlusspunkt unter eine beeindruckende Karriere, die 1975 nach einem Autounfall zunächst mit den traditionellen Behindertensportarten Basketball, Schwimmen, Tischtennis und Bogenschießen begann, 1988 mit dem dreifachen Triumph bei den Paralympics in Seoul in den Sprintwettbewerben einen ersten Höhepunkt hatte. Der schnelle Berliner Kurs ist für Errol Marklein längst zum Heimspiel geworden. Zwanzig Starts kann er inzwischen vorzeigen, darunter auch den nach dem Wechsel vom Rennrollstuhl zum Handbike eingefahrenen Sieg im Jahr 2004.

Am Wilden Eber angreifen

„Die Berliner Strecke liegt mir“, gesteht der in Malsch bei Heidelberg lebende Marklein, „am Wilden Eber werde ich angreifen, dort, wo mich bislang andere zumeist erfolgreich attackiert hatten!“ Mehr möchte der mit der Startnummer H 101 ins Rennen gehende Topfavorit nicht verraten. Dass der Tüftler aus dem Nordbadischen dabei noch einmal alle Register seines Könnens ziehen wird, das dürfte auf der Hand liegen. So stand ein zweiwöchiges Trainingslager auf Kreta auf dem Programm. Aber auch so manche Stunde in der Montagehalle seines Unternehmens, um die eine oder andere (noch nicht serienreife) Verbesserung an seiner Rennmaschine zu tätigen.

Mit der Konstruktion von Behinderten-Sportgeräten ist Errol Marklein übrigens seit 1980 beschäftigt, als er in St. Leon bei Heidelberg die Sopur-Eigentümer Hugo Sorg und Erich Purkott, die bislang ihr Geschäft mit der Herstellung von Gartenrosten verdienten, begeisterte, mit ihm erste Rahmen für Behinderten-Rollstühle zu bauen. Aus der kleinen Scheune als Produktionsstätte ist längst nun im nahen Malsch ein europaweit exportierendes Unternehmen mit 175 Mitarbeitern geworden, das seit 1992 unter der Firmierung Sunrise Medical GmbH tätig ist.

Tüftler und Ratgeber

Errol Marklein ist nicht nur Tüftler und Taktgeber für neue Entwicklungen auf dem Rennrollstuhl- und Handbike-Sektor, sondern selbst stets auf der Suche nach neuen Abenteuern, nach dem Ausloten eigener Grenzbereiche. „Ich mache gerne das, was noch kein anderer Behinderter zuvor gemacht hat. Ich sehe mich dabei im wahrsten Sinne als Eisbrecher. Anderen Mut zu machen, sich auch etwas zuzutrauen, was bislang als nicht möglich im Raum gestanden hat. Und über meine Erfahrungen reden und damit andere zu motivieren, sich neuen Herausforderungen zu stellen!“

So entstand vor drei Jahren bei einem Trainingslager auf Mallorca die Vision, als erster Handbiker beim berühmten Radrennen Styrkeproven von Trondheim nach Oslo über 540 km teilzunehmen. Dabei fordert nicht alleine die Ultradistanz heraus, sondern vielmehr sind es die 1200 Höhenmeter mit zum Teil Kilometer langen Steigungen von knapp 20 Prozent. Bei Regen, niedrigen Temperaturen bis zum Gefrierpunkt im rauhen Westen Norwegens und erheblichen Störungen im Verdauungstrakt schaffte der querschnittgelähmte Ausnahmeathlet im Juni dieses Jahres diese Herausforderung mit Bravour und eisernem Willen.

5 Behinderte aus der Ecke holen

Nach 38 Stunden und 52 Minuten hatte Errol Marklein seinen Traum zur Realität werden lassen. „Ich möchte keine Sekunde davon missen“, gestand er noch Wochen nach dieser großen Herausforderung, beeindruckt von seinem Start unter 4000 Radfahrern. Ein Team der Sporthochschule Köln begleitete dabei Marklein beim Unternehmen Styrkeproven (auf deutsch: Stärkeprüfung), um wissenschaftliche Auswertungen vorzunehmen.

„Wenn es mir gelingt“, so schließt Errol Marklein unser Gespräch, „fünf Behinderte aus der Ecke zu holen und ihnen neuen Mut für das Leben zu geben, dann hat sich für mich der Aufwand schon gelohnt.“

Wilfried Raatz
(das war der Bericht über Erroll Marklein am 20. September 2006 vor dem BERLIN-MARATHON) –
anschließend beschreibt hier jetzt Erroll Marklein mit eigenen Worten nach seinem Rennen über 1.74 Meter, statt 42.195 Kilometer, über seine Gefühle:

Ich hatte mir vorgenommen beim letzten Rennen meiner langen Karriere in Berlin das Rennen mit Streckenrekord zu gewinnen.
2007 hatte ich mich sehr professionell vorbereitet und ca. 7500 Trainingskilometer abgespult.
Mit Wim Decleir hatte sich der Vorjahressieger angekündigt. Er war gesund und motiviert und ich hoffte auf ihn als „harten Hund“der mich zu Höchstleistung treiben würde.

Erstmals war es mir gelungen 2 toptrainierte Pacemaker zu finden. Nicht nur dieser Luxus, sondern die Tatsache dass beide mir uneigennützig und unentgeltlich zu einem Eintrag in die Rekordlisten verhelfen wollten war eine unendliche große Motivation.

ICH STAND IM WORT!!!!

6 Wochen vor Berlin stellte sich bei mir schon der Tunnelblick ein.
Die Presse war über den Rekordversuch informiert und der Druck stieg abermals.
Ich hatte alle Componenten die je an meinem Bike Verschleiß gezeigt hatten eine oche vor dem Event gegen neue ausgetauscht und eingefahren.
Ich war schon 4 Tage vorher in der Stadt um mich zu akklimatisieren.
Am Tag hatten wir Kaiserwetter und für mich optimale Windverhältnisse.
Meine Physis und Psyche waren DA.

Tränen

Als der Starter noch einmal meine Historie auf der Startlinie propagierte liefen mir die Tränen übers Gesicht.
Berlin ist für mich Geburtsstätte von Meilensteinen der Sportgeschichte und nun durfte ICH einen eigenen Meilenstein setzen.
Alles war mundgerecht angerichtet, ich war BEREIT und sicher.

Beim Startschuß legte ich alles was ich hatte auf die Kurbel denn ich wollte vom ersten Meter, keinen Zweifel darüber aufkommen lassen das ich es ernst meinte und umsetzen würde.

Ich hatte in dem Moment dermaßen viel zusätzliche Energie abgerufen dass die Kurbelwelle der Belastung nicht mehr standhielt.
Ich scherte die Kettenblatthalterung von der Welle und hatte somit Freilauf sowohl nach hinten als auch nach vorne.
Ich hatte mich 1 Meter 74 in die Strecke bewegt und war jetzt nicht mehr in der Lage mich irgendwie fortzubewegen.

Keine Möglichkeiten ein Notprogramm zu aktivieren oder einen Reparaturversuch zu unternehmen.

NICHTS.

Hilflos/ratlos/machtlos musste ich mit ansehen wie sich das Feld entfernte. ich war raus und keine Chance einen solchen Tag zu wiederholen.

Ich war geschockt.
Ich bin immer an besonderen Dingen interessiert. alles bis dato war besonders schnell oder besonders erfolgreich gewesen.
An dem Tag war es besonders tragisch.
Von solchen Elementen war ich im Laufe der Karriere fast ausschließlich verschont geblieben, doch an dem Tag hatte es mich erwischt.

Ich bin heute dafür dankbar denn es gehört zum Sport dazu.

Es hätte mir eine Erfahrung gefehlt und wenn ich einmal Trainer werden sollte oder sonst wie jemand zum Sport animieren möchte, muß ich auch selbst eine solche Erfahrung gemacht haben.
Am 8. Oktober bin ich dann tatsächlich meinen letzten Wettkampf gefahren.
Meine Motivation war ausschließlich, den Pacemakern gegenüber mein Wort einzuhalten und wir konnten das Thema dann zufrieden abschließen.

Berlin 2006, der PERFEKTE TAG, ist durch nichts zu ersetzen.

Erroll Marklein

author: GRR

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