Namen sind eine Ware geworden. In dreißig Jahren, schätze ich, sind die Städte dran, Städte brauchen immer Geld, dann heißt Stuttgart „Mercedes“ und München „BMW“, weil „Erdinger“ aus Gründen des Jugendschutzes und wegen der Gefahren des Alkohols nicht durchzusetzen ist, so sensibel ist man denn doch.
Abschied vom Olympiastadion – Harald Martenstein im TAGESSPIEGEL
Der Berliner Fußball-Bundesligist Hertha BSC kann nicht wirtschaften, hat ein Unmaß an Schulden und will deswegen das Olympiastadion „verkaufen“, was ihm allerdings gar nicht gehört. Alljährlich wird deswegen – als ewige Berliner Posse – darum gestritten, das traditionsreiche Stadion – 2009 finden hier die 12. IAAF Weltmeisterschaften der Leichtathleten statt – zu Geld zu machen.
Der Name des Berliner Olympiastadions soll also verkauft werden. So, wie das Hamburger Volksparkstadion jetzt „AOL-Arena“ heißt und das Dortmunder Westfalenstadion neuerdings „Signal-Iduna- Park“, so wird auch das Berliner Olympiastadion demnächst wahrscheinlich irgendwie anders heißen, gut passen würde zweifellos „Schultheiss-Schüssel“.
Namen sind eine Ware geworden. In dreißig Jahren, schätze ich, sind die Städte dran, Städte brauchen immer Geld, dann heißt Stuttgart „Mercedes“ und München „BMW“, weil „Erdinger“ aus Gründen des Jugendschutzes und wegen der Gefahren des Alkohols nicht durchzusetzen ist, so sensibel ist man denn doch. Hamburg wird niemals „Beate Uhse“ heißen. Eltern aber, die ebenfalls immer Geld brauchen, werden ihre Töchter „Nivea“, „Bisley“ oder „Iduna“ nennen und ihre Söhne „Karl Lagerfeld“, „Focus“ oder „Ferrero“ – ehrlich gesagt, diese Namen klingen gar nicht so übel. „Grieneisen“ ginge sogar für beide Geschlechter.
Ich meine das gar nicht satirisch, ich halte es tatsächlich für möglich, wenn nicht wahrscheinlich, dass es so weit kommt. Karl Marx hatte in dieser Hinsicht recht: Der Kapitalismus frisst alle Traditionen auf, er ist unersättlich. Ganz früher wurden Personennamen meistens bei Heiligen, Städtenamen bei historischen Ereignissen oder bei der Geografie entlehnt, das alles spielt heute im Alltag keine wichtige Rolle mehr. Trotzdem sträubt sich wahrscheinlich in fast jedem von uns etwas gegen diese neue Tendenz, man spürt, dass etwas daran nicht richtig ist. Wir denken ja auch immer noch hartnäckig „Auto“ statt „Toyota“, wir denken „Drogerie“ statt „Drospa“ oder „Schlecker“, obwohl, nein, das ist im Fluss und unser Denken entwickelt sich bereits in diese Richtung.
Ist es nur Romantik, die uns vor Namen wie „AOL-Arena“ zurückzucken lässt? Nein, ich glaube, es ist Freiheitsliebe, ein Gefühl dafür, dass dieses System aufgehört hat, die Menschen autonomer zu machen, was es zweifellos eine Zeit lang getan hat, und dass wir zu einem Spielball von Kräften geworden sind, die wir uns nicht ausgesucht haben und die uns in einer zugleich schmierigen und totalitären Weise auf die Pelle rücken.
Vor 70, 100, 150 Jahren wurden Städte und Orte oft von den jeweiligen Herrschern benannt, vom Kaiser, vom Diktator, schließlich vom Stadtrat. Deswegen ist ein Name wie „AOL-Arena“ ein unübersehbarer Beweis dafür, dass Macht in diesem System käuflich ist, und so hatte man sich die Demokratie einfach nicht vorgestellt, damals, als sie in der Schule behandelt wurde.
Harald Martenstein
Der TAGESSPIEGEL
Freitag, dem 29.12.2006