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17
07
2007

Auf der langen Sprintstrecke wird Sanya Richards in Osaka starten; wie wurde in Indianapolis Zweite. Die Weltmeisterschaft soll ihre Vorbereitung auf einen Coup sein, wie er ihrem Vorbild Marie-José Perec 1996 in Atlanta gelang: Olympiasiegerin auf beiden Strecken zu werden

Auf der Jagd nach einem verdächtigen Weltrekord – Die Amerikanerin Sanya Richards bereitet sich auf ihren großen 400-Meter-Coup vor – MICHAEL REINSCH in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung

By GRR 0

PARIS. Die Aktien von Sanya Richards sind gestiegen. Mit dem Sieg im 400-Meter-Lauf von Paris wuchs ihr Anteil an der Chance auf den Jackpot auf ein Viertel: 250 000 Dollar. „Ich will das Geld“, sagt sie. Heißt die Devise nun Geld statt Gold? Bei den amerikanischen Ausscheidungen von Indianapolis wurde Sanya Richards auf der Stadionrunde Vierte. Die Qualifikation für die Weltmeisterschaft in Osaka war dahin.
Ihr neuer Plan für die Saison lautet nun so: „Die Golden League hat absolute Priorität. Ich will unbesiegt bleiben und den Jackpot holen.“

Am Freitagabend zeigte Sanya Richards im Stade de France auf der zweiten der sechs Stationen, dass sie es ernst meint. Sie gewann in 49,52 Sekunden, so schnell war noch keine Frau in dieser Saison gewesen. Dee Dee Trotter, die Siegerin von Indianapolis, kam mit 51,12 Sekunden auf Platz sechs. „Die Zeit ist nicht wichtig“, sagte die Siegerin, die vor 22 Jahren auf Jamaika geboren wurde, mit ihren Eltern nach Florida zog und nun mit ihnen nahe Austin in Texas lebt. Dort trainiert sie bei Clyde Hart, dem legendären Coach, der Michael Johnson zur Legende und auch dessen Nachfolger Jeremy Wariner Beine gemacht hat.

Coach Hart sei in Indianapolis nicht so enttäuscht gewesen wie sie selbst; er habe gewusst, dass die Vorbereitung nach einer schweren Infektion zu kurz gewesen sei, sagt sie. Ohnehin habe der Trainer seinen beiden Stars in dieser Saison verordnet, kürzerzutreten – nicht zur Schonung, sondern um sie noch schneller zu machen. „Um den Weltrekord zu laufen, müssen wir an der Grundschnelligkeit arbeiten“, sagt Sanya Richards. „Wenn ich auf den 200 Metern unter 22 Sekunden komme, und das traue ich mir zu, bin ich auch über 400 Meter schneller.“ Trainingspartner Wariner – von seinem Verband unabhängig von den Trials für die WM nominiert – erspart sich derzeit die Stadionrunde und wird, nächste Woche in Lausanne, 200 Meter laufen.

Auf der langen Sprintstrecke wird Sanya Richards in Osaka starten; wie wurde in Indianapolis Zweite. Die Weltmeisterschaft soll ihre Vorbereitung auf einen Coup sein, wie er ihrem Vorbild Marie-José Perec 1996 in Atlanta gelang: Olympiasiegerin auf beiden Strecken zu werden. Nicht, dass sie sich in Osaka mit einer Goldmedaille zufriedengeben will. „Wenn ich Weltmeisterin über 200 Meter bin“, sagt Sanya Richards in Paris und lacht fröhlich, „müssen sie mich auch in die Sprintstaffel nehmen.“
Sanya Richards und Jeremy Wariner sollen auf den halben Distanzen zu ihren großen Zielen sprinten: den Weltrekorden über 400 Meter. Bei den Männern hält ihn Michael Johnson mit 43,18 Sekunden, bei den Frauen steht er seit 22 Jahren bei den hoch verdächtigen 47,60 Sekunden von Marita Koch. Zunächst will Sanya Richard ihre Bestzeit von 48,70 auf die 48,25 Sekunden verbessern, die Marie-José Perec erreichte. Die junge Amerikanerin und die von Guadeloupe stammende Altmeisterin trafen sich in Paris zum Abendessen. „Ich habe sie immer bewundert für ihre Geschmeidigkeit beim Lauf und für das Double von Atlanta“, sagt Sanya Richards. „Jetzt mag ich sie noch mehr. Sie war so eine phänomenale Läuferin und ist so bescheiden. Ich möchte die moderne Marie-José Perec sein.“

Vielleicht will sie aber auch die Marita Koch des 21. Jahrhunderts werden. Intensiv befragte sie Marie-José Perec über deren Erfahrung mit Wolfgang Meier, dem Trainer und Ehemann der Rostocker Läuferin. Die Französin hatte sich an der Ostsee auf die Olympischen Spiele von Sydney 2000 vorbereitet, von denen sie dann geradezu floh. Über die Gründe ist viel spekuliert worden. Was Sanya Richards Marita Koch bei einer Begegnung im Winter wegen der unüberwindlichen Sprachbarriere nicht fragen konnte, ließ sie sich nun von der Französin erzählen. „Ich habe von unglaublichen workouts gehört“, staunte Sanya Richards. „Ich würde sie gern fragen, wie sie das ausgehalten hat.“
Die einst in geheimen Aufzeichnungen dokumentierte Antwort Oral-Turinabol, das Dopingmittel der DDR schlechthin, will Sanya Richards nicht gelten lassen. Der Rekord sei auch sauber zu erreichen, wiederholt sie immer wieder. Auf Fragen nach ihren eigenen Doping-Tests antwortet sie, dass sie praktisch ständig dazu angehalten werde, im Wettkampf und im Training. Sie strahlt geradezu, als sie die Arbeit der amerikanischen und der internationalen Doping-Kontrolleure lobt:
„USADA und Wada machen einen phantastischen Job.“
Sagt’s, bedankt sich für das Gespräch und ist schon aus der Tür.

MICHAEL REINSCH
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung
Sonntag, dem 8.Juli. 2007

author: GRR

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