Das ist das Dilemma, in das deutsche Leichtathleten immer wieder geraten, und die Läufer besonders oft, weil die WM-Normen des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (über 5000 Meter 13:20,50) erstens nah an ihren Leistungsgrenzen liegen und Läufer zweitens nicht beliebig viele Wettkämpfe vertragen.
Das Ziel hinter dem Ziel – Nach seinem Saisonhöhepunkt reist Jan Fitschen zur WM – Thomas Hahn in der Süddeutschen Zeitung
Das Schlimmste wäre, wenn Jan Fitschen sich jetzt zufrieden geben würde mit diesem Endspiel, das er gewonnen hat. Das heißt: Natürlich ist es Jan Fitschen nicht verboten, zufrieden zu sein. Er muss sogar zufrieden sein nach diesem fulminanten Lauf von Heusden am vorigen Samstag, den er selbst „ein Super-Ding” nennt und bei dem er nicht nur seine Stellung als bester deutscher Langstreckler bestätigte, sondern seine Bestzeit um zwölf (!) Sekunden verbesserte. 13:14,85 Minuten.
Wer hätte das gedacht nach diesem holprigen Saisonverlauf des 10 000-Meter-Europameisters? Es wäre sogar geradezu perfide, wenn Fitschen jetzt nicht zufrieden wäre. Aber zu zufrieden darf er nicht sein. Denn der eigentliche Höhepunkt kommt ja erst: Die WM in Osaka, für die er sich erst in Heusden qualifizierte. „Jetzt muss ich mich auf die WM vorbereiten”, sagt Jan Fitschen, „spontan.”
Das ist das Dilemma, in das deutsche Leichtathleten immer wieder geraten, und die Läufer besonders oft, weil die WM-Normen des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (über 5000 Meter 13:20,50) erstens nah an ihren Leistungsgrenzen liegen und Läufer zweitens nicht beliebig viele Wettkämpfe vertragen. Tatsächlich hat Jan Fitschen früh in der Saison festgestellt, dass er sich ganz auf das Meeting in Belgien konzentrieren musste, wenn er noch eine WM-Chance haben wollte. 2007 hatte er immer als „Übergangsjahr” bezeichnet, er trainierte ausgiebig, aber trieb zudem sein Physikstudium voran. Ihm fehlten Erholungszeiten, in seinen Wettkämpfen verfehlte er die Norm klar. „Ich war ein bisschen übertrainiert”, sagt er.
Also änderte er seine Pläne. Er verzichtete sogar darauf, seinen deutschen Meistertitel über 5000 Meter zu verteidigen und leistete sich in Erfurt stattdessen zwei Einheiten Hinterherrennen in Vor- und Endlauf der 1500-Meter-Konkurrenz, sozusagen als verschärftes Tempotraining. Es war, als wäre das Rennen von Heusden sein eigentlicher Saison-Höhepunkt, zumal der DLV den Wettkampf als Ausscheidung zwischen ihm und dem Tübinger Arne Gabius ausgeschrieben hatte, der während der Saison deutlich schneller war als Fitschen und in Erfurt den 5000-Meter-Titel gewann.
Und nun stellt sich Jan Fitschen die Frage, wie man sich auf den Höhepunkt nach dem Höhepunkt vorbereitet. Seine Strategie ging auf, auch dank eines seltenen Sportlerglücks. Denn die Bedingungen in Heusden waren so gut, dass Arne Gabius’ Aufgabe fast erstaunlicher war als Fitschens Bestzeit: kein Wind, keine Hitze, dafür ein gleichmäßiges Rennen, in dem die Tempomacher zuverlässig Regie führten. „Es war genau das Rennen, das ich brauchte”, sagt Fitschen.
Wie im Sommer 2006, als die Favoriten bei der EM in Göteborg ihre Tempohärte nicht ausspielten und Fitschen sie am Ende überspurten konnte.
In Japan bei der WM wird alles anders. In Osaka wird es Hitze geben, eine hohe Luftfeuchtigkeit, schon im Vorlauf Gegner, die weit bessere Bestzeiten haben als Jan Fitschen. Und im Unterbewusstsein könnte Fitschen der Gedanke bremsen, dass er sein wichtigstes Rennen in diesem Jahr schon hinter sich hat. Aber Jan Fitschen nimmt das nicht so schwer. Was bleibt ihm auch übrig, er war in Heusden ja nicht angetreten, um die Qualifikation zu verpassen, er wollte zur WM, unbedingt. Sein Ziel für Osaka ist das Finale, damit zeigt er schon, dass ihm das reine Dabeisein nicht reicht. Und was die unmittelbare WM-Vorbereitung angeht, kann er jetzt ohnehin nichts anderes tun, als irgendwie versuchen, mit gedrosseltem Pensum und seltenen Belastungsspitzen seine Form zu halten und sich gut zu akklimatisieren vor den Titelkämpfen, die vom 25. August bis 2. September dauern. „Das muss irgendwie gehen”, sagt er, „und es wird gehen.”
Vielleicht setzt das Erlebnis von Heusden ja auch neue Energie frei. Jan Fitschen, 30, fühlt sich jedenfalls mittlerweile entschädigt für das Unglück mit Verletzungen und Krankheiten, das er in seiner Karriere auch schon erlebt hat. „Das ist die Bestätigung dafür, dass man das Positive sehen soll”, sagt er, also denkt er auch im Hoch nichts Schlechtes, sondern bewahrt sich ein gutes Gefühl für seine nächsten Ziele. Ende das Jahres will Jan Fitschen sein Studium abgeschlossen haben, danach peilt er Olympia in Peking an und die WM in Berlin 2009.
Er weiß ja jetzt, dass er mit Normen umgehen kann.
Thomas Hahn
Süddeutsche Zeitung