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20
08
2007

Bartels sitzt massig auf einem Sofa an der Kantine des Bundesleistungszentrums Kienbaum, er hat die Hände entspannt hinter seinem Kopf gefaltet

Gewichtige Gedanken – Frank Bachner im Tagesspiegel

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Ralf Bartels trägt ein ärmelloses T-Shirt, deshalb kann man besonders gut sehen, dass seine Arme dick sind wie junge Baumstämme. Jetzt winkelt er seinen rechten Arm an. „Alles wieder okay“, sagt er. Er meint den Ellenbogen. Es gab einige Irritationen um Bartels Ellenbogen, weil er schmerzte. Und irgendwann kursierte öffentlich das Gerücht, der Kugelstoßer Bartels könne wegen der Verletzung nicht zur Leichtathletik-Weltmeisterschaft in Osaka fahren, die am nächsten Sonnabend beginnt.

Und dass deshalb eine Medaille für Deutschland fehlen könne. Blödsinn, erwidert Bartels angesäuert. Gut, er hatte Schmerzen, weil der Arm nach der Deutschen Meisterschaft überlastet war, aber dann haben sie, der Trainer Gerold Bergmann und er, das Training eine Woche lang reduziert. Und jetzt ist alles in Ordnung. In Eberswalde hatte der 29-Jährige am vergangenen Dienstag noch einen Wettkampf, als Gesundheitstest. 20,34 Meter, zufriedenstellend.

Bartels sitzt massig auf einem Sofa an der Kantine des Bundesleistungszentrums Kienbaum, er hat die Hände entspannt hinter seinem Kopf gefaltet und sagt: „Ich halte es vom Gefühl her für möglich, dass ich bei der WM auf 21 Meter komme. Ich habe ja im Training gesehen, wie weit ich stoßen kann.“ Mit 21,13 Meter wurde er 2006 Europameister, mit 20,99 Meter 2005 WM-Dritter. 21 Meter, das ist Medaillenweite.

Aber da ist noch etwas anderes, mehr als ein Gefühl, eine Tatsache, und sie treibt Bartels gerade mehr um als alles andere: Er ist zum falschen Zeitpunkt bärenstark, im Training, beim Stoßen. In den entscheidenden Sekunden aber, im Wettkampf, ist er nur Durchschnitt, ein Mitläufer. Einer ohne Medaillenchance. Und das Schlimmste ist: „Ich weiß nicht, warum.“ Er ist so hilflos wie Bergmann. „Wenn im Wettkampf plötzlich ein Mensch im Ring steht, den es im Training vorher nie gegeben hat, dann kann auch der Trainer nichts machen“, sagt Bartels. Jetzt ist er nicht mehr entspannt, jetzt hat er sich aufgerichtet, die Handflächen drücken fest ins Polster.

Ende Juni stieß Bartels in Engen 20,75 Meter. Weiter ist er nie gekommen in dieser Saison. Im Wettkampf jedenfalls nicht. Im Training allerdings schon, beim Einstoßen auch. In Halle an der Saale zum Beispiel. Rund 21 Meter wuchtete er die Kugel beim Warmmachen weit, im Wettkampf landete sie dann nur auf 20,53 Meter. Oder in Bad Köstritz. „Ich habe mich toll eingestoßen. Aber statt locker zu bleiben, wollte ich unbedingt etwas Besonderes machen. Dann ging das Gewürge los.“ Es endete bei 20,73 Metern.

Bartels fühlt sich, als ob irgendein Schalter bei ihm umgelegt wird. Irgendetwas passiert in den Sekunden zwischen Einstoßen und Wettkampf. Er weiß nur nicht, was. Er weiß nur, dass er nicht mehr viel Zeit hat. Am Samstag ist das Kugelstoß-Finale der WM.

Er könnte sich natürlich an der Dramatik aufbauen, die inzwischen als sein Markenzeichen gilt. Er könnte abrufen, wie oft er im letzten Versuch explodiert ist. Im sechsten Versuch holte er EM-Gold, im sechsten Versuch gewann er WM-Bronze. Aber so läuft das nicht. „Du fängst immer wieder beim Punkt null an“, sagt Bartels. „Da hilft dir die Erfahrung von 2005 und 2006 gar nichts.“ Er hatte auch bei der Deutschen Meisterschaft im Juli einen starken sechsten Versuch. Aber der verhinderte nur, dass sich Bartels völlig blamierte. Die Kugel landete bei 20,38 Meter. Das war Platz zwei, 30 Zentimeter hinter Peter Sack aus Leipzig.

Sie haben ein bisschen was im Training geändert, aber das läuft ja gut. Bartels möchte eine Medaille, unbedingt, aber er kann sie nicht herbeireden. Die ganze Grübelei geht ihm allmählich auf die Nerven. Vielleicht gewinnt er keine Medaille, dann ist das eben so. Irgendwann sagt er fast resigniert: „Bestimmte Dinge muss man halt als gegeben hinnehmen.“

Frank Bachner
Der Tagesspiegel
Sonntag, dem 19. August 2007

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