Um Schlimmeres zu verhindern, hatten die Veranstalter viel mehr Ärzte an der Strecke postiert als sonst und dazu noch mehr als 3000 Helfer.
Kurz vor dem Kollaps – Am ersten Tag der WM in Osaka macht den Athleten die schwüle Hitze schwer zu schaffen – Friedhard Teuffel im Tagesspiegel – Sprinten gegen den Weltrekord
Osaka – So früh haben Weltmeisterschaften in der Leichtathletik noch nie begonnen. Um vier Uhr morgens sind die Marathonläufer aufgestanden, damit sie pünktlich um sieben Uhr in Osaka am Start stehen konnten. Das Klima dürfte ihnen das Aufstehen leichter gemacht haben – je früher, desto erträglicher. Doch selbst um sieben Uhr waren es schon 29 Grad, und die Luftfeuchtigkeit betrug 78 Prozent. Für Martin Beckmann war die WM auch früh wieder vorbei. Nach Kilometer 30 konnte er nicht mehr und stieg aus. „Ich bin mit dem Trinken einfach nicht mehr hinterhergekommen“, sagte er, „ich war schon nach einem Kilometer völlig durchgeschwitzt.“
So wie dem Deutschen ging es vielen Läufern, und das Ziel erreichten von 85 Läufern auch nur 58. Als Erster war es der Kenianer Luke Kibet nach 2:15:59 Stunden – nicht als schnellster, aber als frühester Marathon-Weltmeister.
Um Schlimmeres zu verhindern, hatten die Veranstalter viel mehr Ärzte an der Strecke postiert als sonst und dazu noch mehr als 3000 Helfer. Der deutsche Mannschaftsarzt Uwe Wegner hatte aber auch nach dem Lauf noch viel zu tun. Ulrich Steidl, der zweite deutsche Teilnehmer, kam als 37. ins Ziel. Da ging es ihm noch gut, zumal er mit seiner Leistung in 2:30:03 Stunden zufrieden sein konnte. „Er hat unwahrscheinlich viel Flüssigkeit verloren und im Ziel dann relativ schnell viel getrunken, danach musste er sich mehrfach übergeben und sein Kreislauf ist zusammengebrochen“, berichtete Wegner.
Nach Infusionen erholte sich Steidl dann wieder. Bundestrainer Detlef Uhlemann erzählte: „Steidl hat sich das Rennen klasse eingeteilt. Aber es waren brutale Bedingungen. Extremer als hier kann ein Marathon nicht sein.“ Und das auch noch in einem Land, in dem der Marathon herausragender Teil der Sportkultur ist. Tsuyoshi Ogata verpasste allerdings als Fünfter in 2:17:42 eine Medaille für Japan um 17 Sekunden. Die Leichtathletik ist den Japanern so wichtig, dass gestern der Kaiser die Weltmeisterschaften im Nagai-Stadion eröffnete.
Ein Kenianer ist also der erste Weltmeister von Osaka. Die erste Weltmeisterin ist eine Äthiopierin. Als die Temperatur am Abend ganz leicht heruntergegangen war, gewann sie das Rennen über 10 000 Meter in 31:55,41 Minuten vor Elvan Abeylegesse, die für die Türkei startet. Schon in Helsinki bei der WM vor zwei Jahren hatte Dibaba den Titel gewonnen.
So wie in Helsinki hätte es gerne auch Ralf Bartels gemacht. Im letzten Stoß hatte der Kugelstoßer aus Neubrandenburg da noch die Bronzemedaille gewonnen, und weil ihm das mit dem letzten Versuch offenbar gefällt, holte er sich ein Jahr später in Göteborg so auch noch den EM-Titel. Diesmal landete die Kugel in seinem letzten Versuch nur bei 20,09 Metern. Sein bester war 20,45 Meter weit. Am Ende fehlten ihm mehr als eineinhalb Meter zum Sieg, den sich der Amerikaner Reese Hoffa mit 22,04 Metern sicherte, und achtzig Zentimeter zu Bronze.
Platz sieben hielt Bartels für ein angemessenes Ergebnis: „Der Platz ist okay, es hätte nur ein bisschen weiter sein dürfen.“ Weil die Saison nicht in seinem Sinne verlaufe, habe er es zwischendurch auch mit Gewalt probiert, weiter gebracht hat ihn das aber auch nicht. „Mir fehlt einfach die Wettkampflockerheit der vergangenen beiden Jahre.“ Das ist ein treffendes Wort, und vielleicht lag es auch beim Leverkusener Hammerwerfer Markus Esser an fehlender Lockerheit, dass er sich durch die Qualifikation mit 76,36 Metern ein wenig durchmogelte.
Danach sagte er: „In der Qualifikation und im DFB-Pokalfinale kann alles passieren.“
Friedhard Teuffel
Der Tagesspiegel
Sonntag, dem 26.08.2007
Sprinten gegen den Weltrekord
Nur nicht zu schnell sein: Eine Bestmarke im WM-Duell über 100 Meter würde Dopinggerüchte schüren.
OSAKA – Asafa Powell und Tyson Gay rennen heute auf ein kleines Unglück zu. Das Unglück wäre der Weltrekord im größten Spektakel der Leichtathletik, den 100 Metern (15.20 Uhr, live in der ARD). Einen Weltrekord auf dieser Strecke könnte die Sportart bei ihren Weltmeisterschaften in Osaka am wenigsten gebrauchen. Er würde nur die Zweifel schüren, ob alles mit rechten Dingen zugeht. So faszinierend der Rekord sein mag, der Sprint ist ein ziemlich krummes Gewerbe. Rekordhalter Asafa Powell musste sich zwar noch nicht gegen schärfere Betrugsvorwürfe wehren. Aber hinter ihm steht eine ganze Ahnenreihe von überführten Dopern: Ben Johnson, Carl Lewis, Tim Montgomery und zuletzt Justin Gatlin, mit dem er sich den Rekord kurz teilen musste. Bis Gatlins Testosteronbefund aus dem Dopinglabor kam. Nun heißt Powells großer Gegner Tyson Gay.
Der Amerikaner will seinem Konkurrenten aus Jamaika unbedingt die Berufsbezeichnung „Schnellster Mann der Welt“ abnehmen und schneller laufen als Powells bestehende Bestzeit von 9,77 Sekunden. Aber eigentlich sollte den beiden etwas anderes wichtiger sein: die Weltmeisterschaft. Bisher haben beide schließlich noch keinen großen Titel gewonnen. Vor allem Powell gab auf den größten Bühnen der Leichtathletik bislang nicht die glücklichste Figur ab. Bei der WM 2003 in Paris wurde ihm ein Fehlstart im Zwischenlauf zum Verhängnis, zur WM 2005 in Helsinki schaffte er es wegen einer Leistenzerrung nicht, und bei den Olympischen Spielen in Athen 2004 wurde er Fünfter. Tyson Gay, wie Powell 24 Jahre alt, gewann in Helsinki Bronze, in diesem Jahr war keiner schneller als er, 9,84 Sekunden, und einmal hat er den Weltrekord sogar schon unterboten. Nur dass er bei seinem Lauf in 9,76 Sekunden zu viel Wind im Rücken hatte, der Rekord zählte nicht.
Das Duell zwischen Powell und Gay könnte der Höhepunkt dieser WM werden, auch weil aus der internationalen Leichtathletik im Moment eigentlich so gut wie keine Athleten herausragen. Und manchmal reichern die Gerüchte um mögliches Doping sogar die Neugier auf die Sprinter an. Sie geben den Muskelmännern die Note des Verruchten. Noch gilt gerade Powell jedoch als anständiger Kerl. Wie könnte man ihm auch Betrug zutrauen? Seine Mutter und sein Vater sind Pastoren. Als er noch nicht so viel durch die Stadien der Welt gelaufen ist, ging er regelmäßig zu seinen Eltern in den Gottesdienst und spielte in der Gospel-Band Bass. Er hat eine zurückhaltende Art. „Sei weise und achte darauf, auf dem richtigen Weg zu bleiben“, hat ihm sein Vater geraten, und seine Mutter hat gesagt: „Guck dir an, was bei Justin Gatlin passiert ist, mit einem Schlag ist alles vorbei.“
Powell selbst sagt: „Schon meine Religion verbietet mir Doping.“
Wenn da nur nicht sein Trainer Charlie Francis wäre, der sich in der Öffentlichkeit kaum zeigt und nicht mitmacht, wenn Powell öffentlich gegen das Doping redet. Tyson Gay hat dagegen zurzeit nur eine eingeschränkte Betreuung. Sein Trainer Lance Brauman sitzt im Gefängnis. Die Haftstrafe von einem Jahr endet im November, er hatte Studenten auf illegalem Weg zu Stipendien verholfen. Daher muss er Gay seine Trainingstipps per Telefon übermitteln.
Powell und Gay laufen fast gleich schnell, doch mit seiner etwas größeren und schlankeren Figur bewegt sich Powell geschmeidiger, Gay wirkt etwas bulliger. Was an ihnen so besonders ist, dass gerade sie schneller sind als alle anderen auf der Welt, das können sie nicht so genau erklären. Talent? Training? Technik? Auch dieser Erklärungsnotstand, wer warum wie schnell laufen kann, ist wohl Teil des Problems.
Für die schwierige Lage der Leichtathletik insgesamt hat Powell jedoch ein gutes Gespür entwickelt: „Die Leute kommen hauptsächlich zur Leichtathletik, um Weltrekorde zu sehen“, sagte er der „Süddeutschen Zeitung“, „sie sollten noch etwas anderes sehen wollen als Weltrekorde. Wir müssen die Leichtathletik zu einem besseren Sport machen, damit die Leute auch wegen der großartigen Leistungen der Athleten kommen.“ Den Amerikaner Gay hindert das dennoch nicht daran, eifrig über seine Zeitpläne zu reden: „Immer wenn ich laufe, bin ich auf Weltrekord aus.“
In Osaka hat sein Vorhaben erst einmal mit einer kleinen Niederlage begonnen. Im ersten Vorlauf kam er nur als Zweiter ins Ziel, sehr zur Freude der Zuschauer. Denn vor ihm überquerte der Japaner Nobuharo Asahara die Linie. Trotzdem sprach Gay schon einmal von einem anderen Weltrekord. „Das ist wirklich die schnellste Bahn, auf der ich je gelaufen bin.“ Der Boden ist also bereitet.
Friedhard Teuffel
Der Tagesspiegel
Sonntag, dem 26.08.2007