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15
09
2007

Außerdem stammt er aus dem Volk der knapp eine Million Nandi, einem sogenannten Läufervolk aus den Bergen, das Teil einer Gruppe von sieben Stämmen ist.

Der Lauf des Lebens – Doppel-Weltmeister Bernard Lagat, ein kenianischer Amerikaner, ist ein außergewöhnlicher Athlet mit außergewöhnlicher Biografie – Robert Hartmann in der Berliner Zeitung

By GRR 0

MAINTAL. Kaum war Bernard Lagat zum zweiten Mal Weltmeister geworden, wurde er gleich beim ersten Interview sein dringendstes Anliegen los. In die Notizblöcke der Journalisten diktierte er deshalb: „Ich bin so stolz, Amerikaner zu sein.“ In dem Land seiner Wahl lebt er schon seit zehn Jahren. Lagat wohnt mit seiner Familie in Tucson, im US-Bundesstaat Arizona.
Aber er wird jedem zustimmen, der sagt, er sei ein Weltbürger.

In seinem Beruf hat Lagat (32), der am Sonntagnachmittag (live auf Premiere/Zusammenfassung ab 16 Uhr im ZDF) beim Istaf im Berliner Olympiastadion antritt, alle gängigen Klischees erfüllt. Ursprünglich kommt er aus Kenia, das bei den Weltmeisterschaften in Osaka vor zwei Wochen hinter den übermächtigen USA mit seinen 13 Medaillen den zweiten Platz in der Nationenwertung belegte.
Außerdem stammt er aus dem Volk der knapp eine Million Nandi, einem sogenannten Läufervolk aus den Bergen, das Teil einer Gruppe von sieben Stämmen ist.
Zu diesen drei Millionen Menschen gehören fast alle zu Ruhm und Ehren gelangten Läufer ihres Landes.

Das jüngste kenianische Wunder der WM ist auf die Ankunft ehemaliger bekannter Weltstars in der neuen Athletenkommission ihres Verbandes zurückzuführen. Dafür stehen Namen wie der ehemalige Hindernisläufer Moses Kiptanui und Patrick Sang. Zum ersten Mal seit mehr als zehn Jahren unterbrachen die besten Athleten ihr ausdauerndes Tingeln durch Europa und Amerika, um auf Verbandsgeheiß in einem dreiwöchigen Trainingslager in Nairobi nichts anderes zu tun als zu trainieren.

Die schmerzhaften Zeiten

Der Erfolg kam wie auf Bestellung. Lagat war lange hinter seinem marokkanischen Gegner Hicham El Guerrouj auf zweite Plätze abonniert. Olympiazweiter wurde er in Athen 2004, und auch mit seiner 1 500-Meter-Bestzeit von 3:26,34 Minuten lag er knapp zurück. Nach dem Doppelsieg in Osaka über 1 500 und 5 000 Meter und seinem Lobpreis auf die neue Heimat bekannte er auch noch: „Ich habe nie um die kenianische Staatsbürgerschaft getrauert.“ Er sagte nicht: Um meine Heimat. Denn das ist etwas ganz anderes.

Seine kenianischen Leichtathletik-Funktionäre hatten ihn nämlich im August 2003 fallen gelassen wie eine heiße Kartoffel. Damals war er bei einem seiner üblichen Sommeraufenthalte in Tübingen in eine unangemeldete Dopingkontrolle geraten, auf das Blutdopingmittel Erythropoietin getestet und für positiv erklärt worden.

Das wussten anfangs aber nur der Leichtathletik-Weltverband IAAF und der kenianische Verband. Er sperrte Lagat in der Nacht vor seinem 1 500-Meter-Vorlauf bei der WM 2003 schier aus heiterem Himmel. Hilflos stammelte Management-Student Lagat, er sei plötzlich an Fieber erkrankt. Sein Schaden hatte nicht auf die Mannschaftskollegen zurückfallen sollen. Er war ihr Kapitän, und bei der feierlichen Abreise hatte er noch die Landesfahne aus der Hand des Staatspräsidenten erhalten.
Und er hatte extra seine Eltern auf eigene Kosten nach Paris eingeladen.

Bald landete das Resultat der A-Probe Lagats auf dem Tisch des Heidelberger Doping-Bekämpfers Werner Franke. Der fand die Angelegenheit so auffällig, dass er zur Öffnung der B-Probe sogar seinen Mitarbeiter im Deutschen Krebsforschungszentrum, Hans Heid, zum Kölner Dopinglabor schickte.

Im Herbst 2003 wurde Lagat vom Verdacht freigesprochen. Die Zeit vom 8. August bis 1. Oktober 2003 brannte sich jedoch in sein Gedächtnis ein. Danach lehnte die IAAF Lagats Wunsch nach Schadensersatz in Höhe von einer halben Million Euro ab. Das Kölner Landgericht gab dem Verband zwar Recht, erklärte sich aber in großen Teilen für gar nicht zuständig. Inzwischen heiratete Lagat die Japanerin Gladis Tom. Bald stellte sich auch Nachwuchs ein.
Der Sohn Miika Kimutai heißt in seinem dritten Namen Kipchirchir. Kip steht für Sohn, der Rest des Namens heißt: Der nach einer schwierigen Geburt Geborene. Bei den Nandi ist es üblich, dass sie ihre Kinder nach Alltäglichkeiten benennen.

Bernard Lagat wird für seine Eltern und Freunde immer der Kipchirchir sein. Der Zweite des 5 000-Meter-Laufs von Osaka heißt so ähnlich, Eliud Kipchoge. Das heißt: Geboren neben dem Lagerhaus. „Wir haben hier unsere Dorfmeisterschaft ausgetragen, wir kommen nämlich aus dem gleichen Dorf in den Nandi-Hills“, erzählte Lagat in Japan. Das Örtchen heißt Kaptel und liegt auf 2 000 Metern. Höhenmenschen nennen sich die Athleten deshalb auch.
Das Laufen ist ihnen in die Wiege gelegt.

Robert Hartmann
Berliner Zeitung
Sonnabend, dem 15.09.2007

Berliner Zeitung

author: GRR

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